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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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hübschen Anaßka tiefe Grübeleien ein, sondern hielt alle Herzen im ganzen
Hans für vortrefflich. Es war schon Mittagszeit, und es wurde ein einfacher
alter Tisch von Kiefernholz in der Mitte der großen Stube gedeckt. Wir nahmen
daran auf verschiedenen Stühlen und Schemeln, zum Theil mit abgebrochenen
Lehnen, Platz. Außer Paulina fehlten dabei aber auch die beiden jungem
Sohne. Wie ich später erfuhr, wurden sie in der Küche abgespeist, weil es
an Tischgeschirr für sie fehlte. Es war alles aufgetragen, was Hof und Keller
zu liefern vermochten, das Beste darunter war ein Ferkelbraten. Dieses
Wildpret bedürfte nicht vieler Pflege und war in Rasselwitz zur Verwendung
jederzeit zahlreich zur Hand. Diese Tugenden, auch die Treue, mit der sie
immer wieder in ihren Stall zurückkehren, die Müßigkeit im Gebrauch ihrer
Freiheit, die Dienstwilligkeit, mit der sie ihren Herren das Forträumen ge¬
wisser Widerwärtigkeiten abnehmen, haben die Schweine von den ältesten Zeiten
an zu den Liebliugshausthieren der Slaven gemacht.

Der Ferkelbraten nun, der mir damals zum ersten Mal vor die Gabel
kam, schmeckte zwar etwas weichlich, dennoch aber mit den aufgesprungenen
Pellkartoffeln gut, sehr gut. Was sollte uns nicht gut schmecken in dem glück¬
lichen Alter von 16 Jahren, wenn wir zum Mittag eine Reise auf das Land
machen!

Die Unterhaltung wurde hauptsächlich von dem Hausherrn geführt, indem
er uns einzelne Erlebnisse, am meisten aber Schnurren und schlechte Witze
vortrug, ohne Rücksicht auf seine erwachsene Tochter, geschweige seine Frau zu
nehmen. Daß er sich dadurch selbst um jeden Respect bei seinen Kindern brachte,
abgesehen von der Mißachtung, die ihnen von der Mutter gegen ihn beigebracht
wurde, davon schien er keine Ahnung zu besitzen. Zwischen den Eheleuten
selbst fiel fast nie ein Wort; es blieb auch jeder Theil außer beim Mittag und
Abendbrot, wenn Gäste da waren, auf sein Revier eingeschränkt.

Die Sprache, in der man sich bei Tisch unterhielt, war die deutsche, die
alle Mitglieder der Familie fast wie ihre Muttersprache in ihrer Gewalt hatten,
was um so weniger auffallen konnte, als die Dienst- und Arbeitsleute des
Guts und der nächsten Umgebung ebenfalls dieser Zunge angehörten. Unter
sich sprach die Familie Kowalski indeß polnisch und bewahrte so ein gewisses
polnisches Nationalgefühl, welches meine halbknabenhaften Gefühle für Ana-
staschka zuerst abkühlte, als es mir von ihr bemerklich gemacht wurde. Ich ge¬
Horte nicht zu den Tausenden von deutschen Jünglingen, die sich durch die
zärtlichen Blicke feuriger Polinnen und dnrch die bevorzugte Stellung, die
ihnen die polnischen Männer einräumen, wie wenn sie selbst schon Männer
wären, die etwas geleistet haben, in einen Taumel versetzen lassen, in welchem
sie die unschätzbaren Errungenschaften ihrer Väter, ihre höhere Gesittung, Bil-


hübschen Anaßka tiefe Grübeleien ein, sondern hielt alle Herzen im ganzen
Hans für vortrefflich. Es war schon Mittagszeit, und es wurde ein einfacher
alter Tisch von Kiefernholz in der Mitte der großen Stube gedeckt. Wir nahmen
daran auf verschiedenen Stühlen und Schemeln, zum Theil mit abgebrochenen
Lehnen, Platz. Außer Paulina fehlten dabei aber auch die beiden jungem
Sohne. Wie ich später erfuhr, wurden sie in der Küche abgespeist, weil es
an Tischgeschirr für sie fehlte. Es war alles aufgetragen, was Hof und Keller
zu liefern vermochten, das Beste darunter war ein Ferkelbraten. Dieses
Wildpret bedürfte nicht vieler Pflege und war in Rasselwitz zur Verwendung
jederzeit zahlreich zur Hand. Diese Tugenden, auch die Treue, mit der sie
immer wieder in ihren Stall zurückkehren, die Müßigkeit im Gebrauch ihrer
Freiheit, die Dienstwilligkeit, mit der sie ihren Herren das Forträumen ge¬
wisser Widerwärtigkeiten abnehmen, haben die Schweine von den ältesten Zeiten
an zu den Liebliugshausthieren der Slaven gemacht.

Der Ferkelbraten nun, der mir damals zum ersten Mal vor die Gabel
kam, schmeckte zwar etwas weichlich, dennoch aber mit den aufgesprungenen
Pellkartoffeln gut, sehr gut. Was sollte uns nicht gut schmecken in dem glück¬
lichen Alter von 16 Jahren, wenn wir zum Mittag eine Reise auf das Land
machen!

Die Unterhaltung wurde hauptsächlich von dem Hausherrn geführt, indem
er uns einzelne Erlebnisse, am meisten aber Schnurren und schlechte Witze
vortrug, ohne Rücksicht auf seine erwachsene Tochter, geschweige seine Frau zu
nehmen. Daß er sich dadurch selbst um jeden Respect bei seinen Kindern brachte,
abgesehen von der Mißachtung, die ihnen von der Mutter gegen ihn beigebracht
wurde, davon schien er keine Ahnung zu besitzen. Zwischen den Eheleuten
selbst fiel fast nie ein Wort; es blieb auch jeder Theil außer beim Mittag und
Abendbrot, wenn Gäste da waren, auf sein Revier eingeschränkt.

Die Sprache, in der man sich bei Tisch unterhielt, war die deutsche, die
alle Mitglieder der Familie fast wie ihre Muttersprache in ihrer Gewalt hatten,
was um so weniger auffallen konnte, als die Dienst- und Arbeitsleute des
Guts und der nächsten Umgebung ebenfalls dieser Zunge angehörten. Unter
sich sprach die Familie Kowalski indeß polnisch und bewahrte so ein gewisses
polnisches Nationalgefühl, welches meine halbknabenhaften Gefühle für Ana-
staschka zuerst abkühlte, als es mir von ihr bemerklich gemacht wurde. Ich ge¬
Horte nicht zu den Tausenden von deutschen Jünglingen, die sich durch die
zärtlichen Blicke feuriger Polinnen und dnrch die bevorzugte Stellung, die
ihnen die polnischen Männer einräumen, wie wenn sie selbst schon Männer
wären, die etwas geleistet haben, in einen Taumel versetzen lassen, in welchem
sie die unschätzbaren Errungenschaften ihrer Väter, ihre höhere Gesittung, Bil-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/158>, abgerufen am 23.07.2024.