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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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ein durchaus privilegirtes und ganz gesetzlich verbrieftes Recht jeuer wackern
Männer sein. Es darf kein Einziger auch nur zu einer größern Probefahrt
oder Uebung commandirt werden, ohne einen Anzug, der ihm im Fall eines
Mißlingens die Möglichkeit giebt, sich zu retten. Sache der Technik wird es
sein, diese Anzüge so zu modificiren, daß sie die Mannschaften bei der Ausübung
des Dienstes wenig hindern und doch ihren Nutzen behalten. Es liegt in der
Natur der Sache, daß die Verwendung aller Torpedoboote fast nur in der
Nähe der Küste stattfinden kann. Hat man also die Möglichkeit, jedem Einzel¬
nen von der Besatzung jener Boote das Mittel zu bieten, sich 20 Stunden
über Wasser zu halten, so ist damit ihm auch seine Rettung beinahe verbürgt.
Wie wir oben schon erwähnten, brauchen die heutigen marinen Expeditionen
ganz besonders ruhiges Wetter, was den Werth jener Rettungsanzüge noch
bedeutend erhöht. Diejenige Regierung, welche recht ausgiebig und liberal mit
der Vertheilnng dieses neuen Hilfsmittels verfährt, wird sicher dadurch eine
gewaltige Steigerung des. moralischen Elements als Dank ihrer Humanität
ernten. Durch drastische und belehrende Experimente muß die neue Einrichtung
dem von Natur conservativen und mißtrauischen Seemann, wenn nöthig gegen
seinen Willen, mit energischer Disciplin klar gemacht werden. Eine Anzahl
solcher Schwimmer, in einer mondhellen Sommernacht als Eclaireurs gegen
feindliche Positionen vorgehend, könnte vortreffliche Dienste leisten, und der
Führer eines Torpedo, der überzeugt ist, mit Hülfe seines Schwimmanzuges
sicher so lange über Wasser zu bleiben, bis seine zwei Meilen entfernte Fregatte
herangedampft ist, wird mit sorgloser Kaltblütigkeit an seine Arbeit gehen. Er
weiß: "Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn mir etwas passiren sollte!"
Das macht ihm sein Herz leicht und seine Hand sicher.

Darum nannten wir die Erfindung des Boyton'schen Schwimmanzuges
eine zeitgemäße. Sind die Leute eines Minen-Bootes mit dem Anzüge ausge¬
rüstet, so ist ihnen damit die Möglichkeit gegeben, sich der Gefangennahme und
damit dem Tode zu entziehen. Darüber dürfen wir uns keinen Illusionen
hingeben: fällt die Bemannung eines Torpedobootes dem Feinde in die Hände,
so wird sie meist niedergemacht werden, viele Officiere werden nicht einmal den
Willen, wenige die Autorität ihren erbitterten Leuten gegenüber haben, sie zu
retten. Wer selbst Schlachten und Gefechte mehrfach mitgemacht, der wird hier
nicht widersprechen! Dazu kommt, daß der Angriff mit einem solchen Torpedo-
Taucher etwas ganz besonders Heimtückisches und Hinterlistiges hat, was den
Angegriffenen erklärlicherweise in die äußerste Erbitterung bringt. -- Sollte
daher irgend eine genfer oder brüsseler Convention ihre papierne Stimme auch
zu Gunsten der Torpedoführer erheben, wir vermuthen, die Matrosen, die einen
erwischen, würden kurzen Proceß mit ihm machen. -- Der einzige Krieg zwischen


Grenzboten I. 1877. 19

ein durchaus privilegirtes und ganz gesetzlich verbrieftes Recht jeuer wackern
Männer sein. Es darf kein Einziger auch nur zu einer größern Probefahrt
oder Uebung commandirt werden, ohne einen Anzug, der ihm im Fall eines
Mißlingens die Möglichkeit giebt, sich zu retten. Sache der Technik wird es
sein, diese Anzüge so zu modificiren, daß sie die Mannschaften bei der Ausübung
des Dienstes wenig hindern und doch ihren Nutzen behalten. Es liegt in der
Natur der Sache, daß die Verwendung aller Torpedoboote fast nur in der
Nähe der Küste stattfinden kann. Hat man also die Möglichkeit, jedem Einzel¬
nen von der Besatzung jener Boote das Mittel zu bieten, sich 20 Stunden
über Wasser zu halten, so ist damit ihm auch seine Rettung beinahe verbürgt.
Wie wir oben schon erwähnten, brauchen die heutigen marinen Expeditionen
ganz besonders ruhiges Wetter, was den Werth jener Rettungsanzüge noch
bedeutend erhöht. Diejenige Regierung, welche recht ausgiebig und liberal mit
der Vertheilnng dieses neuen Hilfsmittels verfährt, wird sicher dadurch eine
gewaltige Steigerung des. moralischen Elements als Dank ihrer Humanität
ernten. Durch drastische und belehrende Experimente muß die neue Einrichtung
dem von Natur conservativen und mißtrauischen Seemann, wenn nöthig gegen
seinen Willen, mit energischer Disciplin klar gemacht werden. Eine Anzahl
solcher Schwimmer, in einer mondhellen Sommernacht als Eclaireurs gegen
feindliche Positionen vorgehend, könnte vortreffliche Dienste leisten, und der
Führer eines Torpedo, der überzeugt ist, mit Hülfe seines Schwimmanzuges
sicher so lange über Wasser zu bleiben, bis seine zwei Meilen entfernte Fregatte
herangedampft ist, wird mit sorgloser Kaltblütigkeit an seine Arbeit gehen. Er
weiß: „Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn mir etwas passiren sollte!"
Das macht ihm sein Herz leicht und seine Hand sicher.

Darum nannten wir die Erfindung des Boyton'schen Schwimmanzuges
eine zeitgemäße. Sind die Leute eines Minen-Bootes mit dem Anzüge ausge¬
rüstet, so ist ihnen damit die Möglichkeit gegeben, sich der Gefangennahme und
damit dem Tode zu entziehen. Darüber dürfen wir uns keinen Illusionen
hingeben: fällt die Bemannung eines Torpedobootes dem Feinde in die Hände,
so wird sie meist niedergemacht werden, viele Officiere werden nicht einmal den
Willen, wenige die Autorität ihren erbitterten Leuten gegenüber haben, sie zu
retten. Wer selbst Schlachten und Gefechte mehrfach mitgemacht, der wird hier
nicht widersprechen! Dazu kommt, daß der Angriff mit einem solchen Torpedo-
Taucher etwas ganz besonders Heimtückisches und Hinterlistiges hat, was den
Angegriffenen erklärlicherweise in die äußerste Erbitterung bringt. — Sollte
daher irgend eine genfer oder brüsseler Convention ihre papierne Stimme auch
zu Gunsten der Torpedoführer erheben, wir vermuthen, die Matrosen, die einen
erwischen, würden kurzen Proceß mit ihm machen. — Der einzige Krieg zwischen


Grenzboten I. 1877. 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/153>, abgerufen am 26.08.2024.