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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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wohl bekommen! Sprach's und wandte sich ab. Furchtbar!--Weiter sagt der
Große zum Kleinen, ihn wieder ans falschem Wege findend, "Herodot" sei
"durch die Inschriften glänzend bestätigt worden." Endlich erreicht die Ab¬
kanzelung ihre Klimax in folgenden Worten: "Der ernsteste Vorwurf, der ge¬
rade Duncker zu machen ist, ist, daß er der ganz grundlosen Schrader-
schen Theorie gehuldigt hat. Herrn Schrader ist sein Lyrismus zu
verzeihen; der Historiker Duncker ist unbegreiflich." "Beckers Weltgeschichte ist
gerade nach assyrischen Quellen der Wahrheit gemäßer als Duncker, der
Schraders Verwirrung vulgarisirt hat." Sich selbst Geschichte einreden --
eigenmächtige Geschichtsersindnng -- die ganz grundlose Theorie Schraders --
sein Lyrismus -- seine Verwirrung -- man sieht, Eimer ans Eimer kältesten
Wassers. Ob es den Brand wohl löschen wird? Jedenfalls wird der in solchem
Ton Desavouirte Herrn Oppert wenig Dank wissen, daß er auf diese Art "für
seinen wissenschaftlichen Schüler eingetreten" ist; vielleicht wird er sogar be¬
dauern, daß er uicht durch Schweigen zu v. Gutschmids erstem Angriff sich diesen
-- nun, wie sollen wir sagen -- diesen groben Rüssel von oben herab er¬
spart hat.

Wir lassen nun v. Gutschmid noch einmal kurz zusammenfassen, was er
an der Assyriologie in Deutschland und speziell an Schrader, "demjenigen Ge¬
lehrten, der hier in seinem Fache der Erste ist", auszusetzen hatte. "Ich tadle,
daß Entzifferung und Deutung des Entzifferten in einer Weise mit historischen
Combinationen verquickt wird, daß die Sicherheit sowohl der Entzifferung als
der historischen Combinationen darunter leidet. Ich tadle die Leichtigkeit, mit
der am Ende jeder Sackgasse, in welche zu großes Sicherheitsgefühl den Ent¬
zifferer geführt hat, ein allgemeines Theorem bereit gehalten wird, das für
den einzelnen Fall heraus ins Freie führt, aber die Willkür vermehrt und
damit die Verläßlichkeit der Entzifferung im Ganzen gefährdet. Ich tadle,
daß zwischen dem, was sicher, und dem, was nicht sicher ist, nur in sehr un¬
genügender Weise geschieden wird und so die, welche die assyriologischeu Ergebnisse
benutzen wollen, irre geführt werden. Ich tadle das Mundrechtmachen der fremden
Eigennamen für das große Publikum durch "geschmackvolle" Uebersetzungen,
die Behandlung der geographischen Nomenclatur, die auf ungefähren Gleich¬
klang hin in ganz autoschediastischer Weise gedeutet wird, und die Ignorirung
oder Geringschätzung aller griechischen Quellen, sowie die Ueberschätzung alles
durch die assyrischen Entdeckungen zu Tage geförderten Materials, namentlich
den Mißbrauch des Argumentum a silentio. Ich tadle ferner den Mangel an
Methode, der in der vorschnellen Aufstellung und ausgiebigen Verwendung
kritisch verpönter Auskunftsmittel, wie der Polyonymie von Königen, der Homo¬
nymie von Ländern zu Tage tritt, und kann in der vermeintlichen Nöthigung


Grenzboten I. 1877. 18

wohl bekommen! Sprach's und wandte sich ab. Furchtbar!—Weiter sagt der
Große zum Kleinen, ihn wieder ans falschem Wege findend, „Herodot" sei
„durch die Inschriften glänzend bestätigt worden." Endlich erreicht die Ab¬
kanzelung ihre Klimax in folgenden Worten: „Der ernsteste Vorwurf, der ge¬
rade Duncker zu machen ist, ist, daß er der ganz grundlosen Schrader-
schen Theorie gehuldigt hat. Herrn Schrader ist sein Lyrismus zu
verzeihen; der Historiker Duncker ist unbegreiflich." „Beckers Weltgeschichte ist
gerade nach assyrischen Quellen der Wahrheit gemäßer als Duncker, der
Schraders Verwirrung vulgarisirt hat." Sich selbst Geschichte einreden —
eigenmächtige Geschichtsersindnng — die ganz grundlose Theorie Schraders —
sein Lyrismus — seine Verwirrung — man sieht, Eimer ans Eimer kältesten
Wassers. Ob es den Brand wohl löschen wird? Jedenfalls wird der in solchem
Ton Desavouirte Herrn Oppert wenig Dank wissen, daß er auf diese Art „für
seinen wissenschaftlichen Schüler eingetreten" ist; vielleicht wird er sogar be¬
dauern, daß er uicht durch Schweigen zu v. Gutschmids erstem Angriff sich diesen
— nun, wie sollen wir sagen — diesen groben Rüssel von oben herab er¬
spart hat.

Wir lassen nun v. Gutschmid noch einmal kurz zusammenfassen, was er
an der Assyriologie in Deutschland und speziell an Schrader, „demjenigen Ge¬
lehrten, der hier in seinem Fache der Erste ist", auszusetzen hatte. „Ich tadle,
daß Entzifferung und Deutung des Entzifferten in einer Weise mit historischen
Combinationen verquickt wird, daß die Sicherheit sowohl der Entzifferung als
der historischen Combinationen darunter leidet. Ich tadle die Leichtigkeit, mit
der am Ende jeder Sackgasse, in welche zu großes Sicherheitsgefühl den Ent¬
zifferer geführt hat, ein allgemeines Theorem bereit gehalten wird, das für
den einzelnen Fall heraus ins Freie führt, aber die Willkür vermehrt und
damit die Verläßlichkeit der Entzifferung im Ganzen gefährdet. Ich tadle,
daß zwischen dem, was sicher, und dem, was nicht sicher ist, nur in sehr un¬
genügender Weise geschieden wird und so die, welche die assyriologischeu Ergebnisse
benutzen wollen, irre geführt werden. Ich tadle das Mundrechtmachen der fremden
Eigennamen für das große Publikum durch „geschmackvolle" Uebersetzungen,
die Behandlung der geographischen Nomenclatur, die auf ungefähren Gleich¬
klang hin in ganz autoschediastischer Weise gedeutet wird, und die Ignorirung
oder Geringschätzung aller griechischen Quellen, sowie die Ueberschätzung alles
durch die assyrischen Entdeckungen zu Tage geförderten Materials, namentlich
den Mißbrauch des Argumentum a silentio. Ich tadle ferner den Mangel an
Methode, der in der vorschnellen Aufstellung und ausgiebigen Verwendung
kritisch verpönter Auskunftsmittel, wie der Polyonymie von Königen, der Homo¬
nymie von Ländern zu Tage tritt, und kann in der vermeintlichen Nöthigung


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[0145] wohl bekommen! Sprach's und wandte sich ab. Furchtbar!—Weiter sagt der Große zum Kleinen, ihn wieder ans falschem Wege findend, „Herodot" sei „durch die Inschriften glänzend bestätigt worden." Endlich erreicht die Ab¬ kanzelung ihre Klimax in folgenden Worten: „Der ernsteste Vorwurf, der ge¬ rade Duncker zu machen ist, ist, daß er der ganz grundlosen Schrader- schen Theorie gehuldigt hat. Herrn Schrader ist sein Lyrismus zu verzeihen; der Historiker Duncker ist unbegreiflich." „Beckers Weltgeschichte ist gerade nach assyrischen Quellen der Wahrheit gemäßer als Duncker, der Schraders Verwirrung vulgarisirt hat." Sich selbst Geschichte einreden — eigenmächtige Geschichtsersindnng — die ganz grundlose Theorie Schraders — sein Lyrismus — seine Verwirrung — man sieht, Eimer ans Eimer kältesten Wassers. Ob es den Brand wohl löschen wird? Jedenfalls wird der in solchem Ton Desavouirte Herrn Oppert wenig Dank wissen, daß er auf diese Art „für seinen wissenschaftlichen Schüler eingetreten" ist; vielleicht wird er sogar be¬ dauern, daß er uicht durch Schweigen zu v. Gutschmids erstem Angriff sich diesen — nun, wie sollen wir sagen — diesen groben Rüssel von oben herab er¬ spart hat. Wir lassen nun v. Gutschmid noch einmal kurz zusammenfassen, was er an der Assyriologie in Deutschland und speziell an Schrader, „demjenigen Ge¬ lehrten, der hier in seinem Fache der Erste ist", auszusetzen hatte. „Ich tadle, daß Entzifferung und Deutung des Entzifferten in einer Weise mit historischen Combinationen verquickt wird, daß die Sicherheit sowohl der Entzifferung als der historischen Combinationen darunter leidet. Ich tadle die Leichtigkeit, mit der am Ende jeder Sackgasse, in welche zu großes Sicherheitsgefühl den Ent¬ zifferer geführt hat, ein allgemeines Theorem bereit gehalten wird, das für den einzelnen Fall heraus ins Freie führt, aber die Willkür vermehrt und damit die Verläßlichkeit der Entzifferung im Ganzen gefährdet. Ich tadle, daß zwischen dem, was sicher, und dem, was nicht sicher ist, nur in sehr un¬ genügender Weise geschieden wird und so die, welche die assyriologischeu Ergebnisse benutzen wollen, irre geführt werden. Ich tadle das Mundrechtmachen der fremden Eigennamen für das große Publikum durch „geschmackvolle" Uebersetzungen, die Behandlung der geographischen Nomenclatur, die auf ungefähren Gleich¬ klang hin in ganz autoschediastischer Weise gedeutet wird, und die Ignorirung oder Geringschätzung aller griechischen Quellen, sowie die Ueberschätzung alles durch die assyrischen Entdeckungen zu Tage geförderten Materials, namentlich den Mißbrauch des Argumentum a silentio. Ich tadle ferner den Mangel an Methode, der in der vorschnellen Aufstellung und ausgiebigen Verwendung kritisch verpönter Auskunftsmittel, wie der Polyonymie von Königen, der Homo¬ nymie von Ländern zu Tage tritt, und kann in der vermeintlichen Nöthigung Grenzboten I. 1877. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/145>, abgerufen am 23.07.2024.