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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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das kaum in Decennien ausgeschöpft sein wird, und wo, so sollte man glauben,
auf lange hin als Hauptaufgabe vorgezeichnet ist, das Verständniß des Ent¬
zifferten durch philologische Arbeit, Feststellung des Lexikons, Ausbau der
Grammatik zu vertiefen, hier und da sogar erst zu schaffen, könnte es schwerlich
als ein Glück betrachtet werden, wenn ans dem bisher von der Wissenschaft
mit großer Einseitigkeit eingeschlagenen Wege weiter fortgeschritten würde, auf
welchem thatsächlich neun Zehntel von dem, was Assyriologie heißt, zu einem
historischen Dilettiren herabsinkt, das sich dnrch einen dreifachen Panzer von
Ideogrammen, Polyphonen und Allophvnen gegen die Einwürfe der Kritik zu
schützen meint. Ans diesem Wege wird die "vielleicht brennendste Frage der
altorientalischen Wissenschaft" schwerlich je gelöscht werden. Einige Eimer kalten
Wassers auf den Brand und auf die Köpfe der die brennende Frage jubelnd
umgaukelnden Thhrsusschwinger würden jedenfalls die Löschung rascher bewirken,
als die von Schrader angewendeten Mittel."

Wir unterbrechen hier den Verfasser, um den Lesern die Mittheilung zu
machen, daß zwar der Guß kalten Wassers, den v. Gutschmid dem Schraderschen
Kreise hier applicirt hat, ohne Wirkung bleiben zu wollen scheint, da die Herren
dem Vernehmen nach meinen, ein Historiker habe hier nicht drein zu reden,
es müsse ein Assyriolog oder doch ein genauer Kenner der semitischen Sprachen
sein, wenn sie sich um eine Kritik kümmern sollten, daß aber ein zweiter Eimer
auf die brennenden Köpfe der Korybanten ausgegossen worden ist, der von
einem Assyriologen kommt und zwar von keinem geringeren als von ihrem
Großkophta in Paris, und der an Kälte nichts zu wünschen übrig läßt.

Oppert spricht in einer Recension unsrer Schrift in den Göttinger Gelehrten
Anzeigen vom 1. November in gewohnter geschwollener Weise über einen Theil
der v. Gutschmidschen Angriffe ab, aber das, worauf es bei diesem vor Allem
abgesehen war, acceptirt er und spricht es fast höhnisch in seiner Weise nach.
Schrader muß sich von seinem Herrn und Meister zunächst das zweifelhafte
Compliment machen lassen, er habe "durch seine lichtvolle Behandlung die
Keilschriftforschnng den deutschen Gelehrten mundgerecht gemacht." "schaffend
aufzutreten ist bis jetzt sein Beruf nicht gewesen." O weh! Es kommt aber
besser, kälter. "Sich selbst Geschichte einreden, darf nur ein Roman¬
schriftsteller. Auf diesem Felde wird indeß jeder Assyriologe hinter dem letzten
der dichtenden Autoren zurückbleiben. Seit sechs Jahren habe ich mich ver¬
geblich bemüht, meinem werthen Freunde Schrader ("werthen", wie herablassend
und wie ironisch zugleich!) diese Thatsache klar zu machen. Er hat das Ge¬
fährliche eigenmächtiger Geschichtserfindung nicht erkennen wollen.
Nun sind seine Ansichten den Angriffen ausgesetzt, die man ihm längst voraus¬
gesagt hatte. Haboat. sibi!" Gehaben Sie Sich wohl, und lassen Sie Sich's


das kaum in Decennien ausgeschöpft sein wird, und wo, so sollte man glauben,
auf lange hin als Hauptaufgabe vorgezeichnet ist, das Verständniß des Ent¬
zifferten durch philologische Arbeit, Feststellung des Lexikons, Ausbau der
Grammatik zu vertiefen, hier und da sogar erst zu schaffen, könnte es schwerlich
als ein Glück betrachtet werden, wenn ans dem bisher von der Wissenschaft
mit großer Einseitigkeit eingeschlagenen Wege weiter fortgeschritten würde, auf
welchem thatsächlich neun Zehntel von dem, was Assyriologie heißt, zu einem
historischen Dilettiren herabsinkt, das sich dnrch einen dreifachen Panzer von
Ideogrammen, Polyphonen und Allophvnen gegen die Einwürfe der Kritik zu
schützen meint. Ans diesem Wege wird die „vielleicht brennendste Frage der
altorientalischen Wissenschaft" schwerlich je gelöscht werden. Einige Eimer kalten
Wassers auf den Brand und auf die Köpfe der die brennende Frage jubelnd
umgaukelnden Thhrsusschwinger würden jedenfalls die Löschung rascher bewirken,
als die von Schrader angewendeten Mittel."

Wir unterbrechen hier den Verfasser, um den Lesern die Mittheilung zu
machen, daß zwar der Guß kalten Wassers, den v. Gutschmid dem Schraderschen
Kreise hier applicirt hat, ohne Wirkung bleiben zu wollen scheint, da die Herren
dem Vernehmen nach meinen, ein Historiker habe hier nicht drein zu reden,
es müsse ein Assyriolog oder doch ein genauer Kenner der semitischen Sprachen
sein, wenn sie sich um eine Kritik kümmern sollten, daß aber ein zweiter Eimer
auf die brennenden Köpfe der Korybanten ausgegossen worden ist, der von
einem Assyriologen kommt und zwar von keinem geringeren als von ihrem
Großkophta in Paris, und der an Kälte nichts zu wünschen übrig läßt.

Oppert spricht in einer Recension unsrer Schrift in den Göttinger Gelehrten
Anzeigen vom 1. November in gewohnter geschwollener Weise über einen Theil
der v. Gutschmidschen Angriffe ab, aber das, worauf es bei diesem vor Allem
abgesehen war, acceptirt er und spricht es fast höhnisch in seiner Weise nach.
Schrader muß sich von seinem Herrn und Meister zunächst das zweifelhafte
Compliment machen lassen, er habe „durch seine lichtvolle Behandlung die
Keilschriftforschnng den deutschen Gelehrten mundgerecht gemacht." „schaffend
aufzutreten ist bis jetzt sein Beruf nicht gewesen." O weh! Es kommt aber
besser, kälter. „Sich selbst Geschichte einreden, darf nur ein Roman¬
schriftsteller. Auf diesem Felde wird indeß jeder Assyriologe hinter dem letzten
der dichtenden Autoren zurückbleiben. Seit sechs Jahren habe ich mich ver¬
geblich bemüht, meinem werthen Freunde Schrader („werthen", wie herablassend
und wie ironisch zugleich!) diese Thatsache klar zu machen. Er hat das Ge¬
fährliche eigenmächtiger Geschichtserfindung nicht erkennen wollen.
Nun sind seine Ansichten den Angriffen ausgesetzt, die man ihm längst voraus¬
gesagt hatte. Haboat. sibi!" Gehaben Sie Sich wohl, und lassen Sie Sich's


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[0144] das kaum in Decennien ausgeschöpft sein wird, und wo, so sollte man glauben, auf lange hin als Hauptaufgabe vorgezeichnet ist, das Verständniß des Ent¬ zifferten durch philologische Arbeit, Feststellung des Lexikons, Ausbau der Grammatik zu vertiefen, hier und da sogar erst zu schaffen, könnte es schwerlich als ein Glück betrachtet werden, wenn ans dem bisher von der Wissenschaft mit großer Einseitigkeit eingeschlagenen Wege weiter fortgeschritten würde, auf welchem thatsächlich neun Zehntel von dem, was Assyriologie heißt, zu einem historischen Dilettiren herabsinkt, das sich dnrch einen dreifachen Panzer von Ideogrammen, Polyphonen und Allophvnen gegen die Einwürfe der Kritik zu schützen meint. Ans diesem Wege wird die „vielleicht brennendste Frage der altorientalischen Wissenschaft" schwerlich je gelöscht werden. Einige Eimer kalten Wassers auf den Brand und auf die Köpfe der die brennende Frage jubelnd umgaukelnden Thhrsusschwinger würden jedenfalls die Löschung rascher bewirken, als die von Schrader angewendeten Mittel." Wir unterbrechen hier den Verfasser, um den Lesern die Mittheilung zu machen, daß zwar der Guß kalten Wassers, den v. Gutschmid dem Schraderschen Kreise hier applicirt hat, ohne Wirkung bleiben zu wollen scheint, da die Herren dem Vernehmen nach meinen, ein Historiker habe hier nicht drein zu reden, es müsse ein Assyriolog oder doch ein genauer Kenner der semitischen Sprachen sein, wenn sie sich um eine Kritik kümmern sollten, daß aber ein zweiter Eimer auf die brennenden Köpfe der Korybanten ausgegossen worden ist, der von einem Assyriologen kommt und zwar von keinem geringeren als von ihrem Großkophta in Paris, und der an Kälte nichts zu wünschen übrig läßt. Oppert spricht in einer Recension unsrer Schrift in den Göttinger Gelehrten Anzeigen vom 1. November in gewohnter geschwollener Weise über einen Theil der v. Gutschmidschen Angriffe ab, aber das, worauf es bei diesem vor Allem abgesehen war, acceptirt er und spricht es fast höhnisch in seiner Weise nach. Schrader muß sich von seinem Herrn und Meister zunächst das zweifelhafte Compliment machen lassen, er habe „durch seine lichtvolle Behandlung die Keilschriftforschnng den deutschen Gelehrten mundgerecht gemacht." „schaffend aufzutreten ist bis jetzt sein Beruf nicht gewesen." O weh! Es kommt aber besser, kälter. „Sich selbst Geschichte einreden, darf nur ein Roman¬ schriftsteller. Auf diesem Felde wird indeß jeder Assyriologe hinter dem letzten der dichtenden Autoren zurückbleiben. Seit sechs Jahren habe ich mich ver¬ geblich bemüht, meinem werthen Freunde Schrader („werthen", wie herablassend und wie ironisch zugleich!) diese Thatsache klar zu machen. Er hat das Ge¬ fährliche eigenmächtiger Geschichtserfindung nicht erkennen wollen. Nun sind seine Ansichten den Angriffen ausgesetzt, die man ihm längst voraus¬ gesagt hatte. Haboat. sibi!" Gehaben Sie Sich wohl, und lassen Sie Sich's

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/144>, abgerufen am 23.07.2024.