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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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haben sollte, ist einfach undenkbar. Erst dann hört der Wortlaut auf, ver¬
dächtig zu sein, wenn man den Text als freie Composition eines viele Jahr¬
hunderte später lebenden Schriftstellers ansieht, der die Sage von der wunder¬
baren Kindheit des alten babylonischen Königs Sargon diesem selbst in den
Mund gelegt hat. Das Schriftstück, von welchem Fox Talbot ansprechend
vermuthet, daß es als Aufschrift auf dem Piedestal der Bildsäule des Königs
angebracht gewesen sei, steht auf einer Linie mit den Epigrammen und Elvgieu,
die in den alexandrinischen und römischen Bibliotheken unter den Büsten be¬
rühmter Männer standen, und die Analogie ist um so frappanter, als an
den Namen Dargons des Ersten die Ueberlieferung eines Werkes über Omma
geknüpft ist, das in assyrischer Uebersetzung der Bibliothek des Sardanapal
einverleibt war.

Wir übergehen das Kapitel über die Anwendung der Entzifferungen, da
es sich nicht in dem hier gebotenen Maße abkürzen läßt, und kommen
zum Schlußabschnitte der Schrift, um den Verfasser derselben noch einmal
ausführlich sagen zu lassen, was ihm bei deren Abfassung vor Angen stand,
und was er mit ihr vor Allem bezweckte.

"Kein einziger Assyriolog hat für feine Disciplin so begeistert Propaganda
gemacht wie Schrader. Sie ist ihm die "vielleicht brennendste Frage der
altorientalischen Wissenschaft." Immer von Neuem sucht er den sich noch fern
Haltenden die Verwerflichkeit ihres Zauderns und Zweifelns begreiflich zu
machen. Die jungen Assyriolvgen arbeiten nach ihm "zur Ehre Deutschlands,
das eine alte Schuld nun endlich einzulösen hat." Unermüdlich im Anwerben
von Rekruten, stellt er, damit ja keiner zurückschrecke, die Schwierigkeiten des
Assyrischer als eine kleine Mühe dar, der man sich gern unterziehe, da die
eminente Bedeutung der Keilschriftstudien in geschichtlich-archäologischer Be¬
ziehung so sehr zu Tage liege. Auch die fragwürdigsten Leistungen werden,
sobald sie nur die Assyriologie betreffen oder ihr Concessionen machen, von
Schrader freudig begrüßt und dnrch Lobsprüche ermuthigt. Wenn irgend Einem,
möchte man Schrader die goldene Mahnung Talleyrands zurufen: "M8 trop
ne 2Ac!" Er sehe zu, daß er nicht durch diese Art Propaganda der Sache,
die er fördern will, mehr schadet als nützt.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Nun, es genügt ein Blick in
das erste beste halbwissenschaftliche Journal, um zu erkennen, daß die Früchte,
welche eine der Schraderschen anologe rührige Propaganda für die Assyriologie
in England gezeitigt hat, nichts weniger als erfreulich sind. Was uns Deutschen
bevorsteht, davon können wir uns ein deutliches Bild machen, seitdem in der
Zeitschrift für ägyptische Sprache und Alterthumskunde ein internationaler
Sprechsaal für Assyriologie eröffnet worden ist. Was uns in diesem geboten


haben sollte, ist einfach undenkbar. Erst dann hört der Wortlaut auf, ver¬
dächtig zu sein, wenn man den Text als freie Composition eines viele Jahr¬
hunderte später lebenden Schriftstellers ansieht, der die Sage von der wunder¬
baren Kindheit des alten babylonischen Königs Sargon diesem selbst in den
Mund gelegt hat. Das Schriftstück, von welchem Fox Talbot ansprechend
vermuthet, daß es als Aufschrift auf dem Piedestal der Bildsäule des Königs
angebracht gewesen sei, steht auf einer Linie mit den Epigrammen und Elvgieu,
die in den alexandrinischen und römischen Bibliotheken unter den Büsten be¬
rühmter Männer standen, und die Analogie ist um so frappanter, als an
den Namen Dargons des Ersten die Ueberlieferung eines Werkes über Omma
geknüpft ist, das in assyrischer Uebersetzung der Bibliothek des Sardanapal
einverleibt war.

Wir übergehen das Kapitel über die Anwendung der Entzifferungen, da
es sich nicht in dem hier gebotenen Maße abkürzen läßt, und kommen
zum Schlußabschnitte der Schrift, um den Verfasser derselben noch einmal
ausführlich sagen zu lassen, was ihm bei deren Abfassung vor Angen stand,
und was er mit ihr vor Allem bezweckte.

„Kein einziger Assyriolog hat für feine Disciplin so begeistert Propaganda
gemacht wie Schrader. Sie ist ihm die „vielleicht brennendste Frage der
altorientalischen Wissenschaft." Immer von Neuem sucht er den sich noch fern
Haltenden die Verwerflichkeit ihres Zauderns und Zweifelns begreiflich zu
machen. Die jungen Assyriolvgen arbeiten nach ihm „zur Ehre Deutschlands,
das eine alte Schuld nun endlich einzulösen hat." Unermüdlich im Anwerben
von Rekruten, stellt er, damit ja keiner zurückschrecke, die Schwierigkeiten des
Assyrischer als eine kleine Mühe dar, der man sich gern unterziehe, da die
eminente Bedeutung der Keilschriftstudien in geschichtlich-archäologischer Be¬
ziehung so sehr zu Tage liege. Auch die fragwürdigsten Leistungen werden,
sobald sie nur die Assyriologie betreffen oder ihr Concessionen machen, von
Schrader freudig begrüßt und dnrch Lobsprüche ermuthigt. Wenn irgend Einem,
möchte man Schrader die goldene Mahnung Talleyrands zurufen: «M8 trop
ne 2Ac!« Er sehe zu, daß er nicht durch diese Art Propaganda der Sache,
die er fördern will, mehr schadet als nützt.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Nun, es genügt ein Blick in
das erste beste halbwissenschaftliche Journal, um zu erkennen, daß die Früchte,
welche eine der Schraderschen anologe rührige Propaganda für die Assyriologie
in England gezeitigt hat, nichts weniger als erfreulich sind. Was uns Deutschen
bevorsteht, davon können wir uns ein deutliches Bild machen, seitdem in der
Zeitschrift für ägyptische Sprache und Alterthumskunde ein internationaler
Sprechsaal für Assyriologie eröffnet worden ist. Was uns in diesem geboten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/142>, abgerufen am 26.08.2024.