Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.der nennt zuerst die große Inschrift von Behistan, die neben dem persischen der nennt zuerst die große Inschrift von Behistan, die neben dem persischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137307"/> <p xml:id="ID_475" prev="#ID_474" next="#ID_476"> der nennt zuerst die große Inschrift von Behistan, die neben dem persischen<lb/> Originaltext die babylonische Uebersetzung desselben enthält; aber die Hälfte<lb/> der Zeilen, oft mehr, ist durch einen über die betreffende Felswand laufenden<lb/> Gießbach im Laufe der Zeiten zerstört worden, und in Folge dessen ist nicht<lb/> ein einziger babylonischer Satz vollständig erhalten. Schrnder führt ferner die<lb/> Paralleltexte assyrischer Inschriften an, die oft das phonetisch schreiben,<lb/> was auf andern Inschriften durch Ideogramme ausgedrückt ist. Aus¬<lb/> giebigere Hülfe gewähren die aufgefundenen Syllabare, eine Art Wörterbücher<lb/> zur Uebertragung der Ideogramme. Hier liegt ein ungeheures Material für<lb/> spätere Studien vor, welches viele Jahrzehnte zu seiner völligen Verwerthung<lb/> in Anspruch nehmen wird. Fortwährend^ enthüllen sich mit Hülfe dieser Syl¬<lb/> labare Zeichen, die man bisher als phonetische las, als Polyphone, die zu¬<lb/> gleich ideographischen Werth haben, und mit vollem Recht fragen wir uns<lb/> mit v. Gutschmid, ob die Assyriologen nicht besser thäten, erst dieses reiche<lb/> philologische Material zu einem soliden Ausbau der Grundlagen ihrer Wissen¬<lb/> schaft auszunutzen, statt ihre Kraft und Zeit darauf zu verwenden, den Inhalt<lb/> historisch interessanter Inschriften im Allgemeinen zu verstehen, im Einzelnen<lb/> zu errathen und auf diese Art „einen luftigen Oberbau aufzuführen, von dem<lb/> ununterbrochen einzelne Säulen einstürzen und auch künftig noch oft genug<lb/> einstürzen werden." Weiter geben die den Inschriften beigegebenen bildlichen<lb/> Darstellungen für die Deutung des Inhalts jener eine bescheidene Stütze, und<lb/> schließlich nennt uns Schrader als letztes Hülfsmittel die geschichtliche Tradition<lb/> und die freie Combination; seine Beispiele für die letztere beschränken sich jedoch<lb/> auf die paläographische und sprachliche; in Wahrheit ist aber auch die historische<lb/> „Tradition" vielmehr Combination. Daß dieses Hülfsmittel dem Entzifferer<lb/> unentbehrlich, und daß er folglich zu dessen Anwendung berechtigt ist, stellt<lb/> v. Gutschmid natürlich nicht in Abrede. Dagegen tadelt er ebenso natürlich,<lb/> „daß es von den Assyriologen mit einer ganz ausschließlichen Vorliebe in<lb/> Anwendung gebracht wird"; denn das „führt zu einem fortwährenden Schielen<lb/> nach den historischen Folgerungen, die sich etwa aus dem Inhalte einer zu<lb/> lesenden Inschrift Heransstellen könnten", und „ein solches Verfahren setzt<lb/> ein gewisses Maß historischen Wissens, namentlich aber die rechte Uebersicht<lb/> über das ganze Gebiet, Empfänglichkeit für historische Kritik und den sicheren<lb/> Besitz der Technik und Methode der Geschichtsforschung voraus, lauter Kennt¬<lb/> nisse, die sich nun einmal nicht von selbst einstellen und durch bloße Begeiste¬<lb/> rung für die Sache nicht zu ersetzen sind. Kein Wunder daher, daß diese<lb/> Richtung aus der Mehrzahl der Assyriologen historische Dilettanten gemacht<lb/> hat. Es ist dies eine Vermischung der Aufgaben des Entzifferers und des<lb/> Historikers, von der weder der Geschichtsschreibung noch der Assyriologie selbst</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0134]
der nennt zuerst die große Inschrift von Behistan, die neben dem persischen
Originaltext die babylonische Uebersetzung desselben enthält; aber die Hälfte
der Zeilen, oft mehr, ist durch einen über die betreffende Felswand laufenden
Gießbach im Laufe der Zeiten zerstört worden, und in Folge dessen ist nicht
ein einziger babylonischer Satz vollständig erhalten. Schrnder führt ferner die
Paralleltexte assyrischer Inschriften an, die oft das phonetisch schreiben,
was auf andern Inschriften durch Ideogramme ausgedrückt ist. Aus¬
giebigere Hülfe gewähren die aufgefundenen Syllabare, eine Art Wörterbücher
zur Uebertragung der Ideogramme. Hier liegt ein ungeheures Material für
spätere Studien vor, welches viele Jahrzehnte zu seiner völligen Verwerthung
in Anspruch nehmen wird. Fortwährend^ enthüllen sich mit Hülfe dieser Syl¬
labare Zeichen, die man bisher als phonetische las, als Polyphone, die zu¬
gleich ideographischen Werth haben, und mit vollem Recht fragen wir uns
mit v. Gutschmid, ob die Assyriologen nicht besser thäten, erst dieses reiche
philologische Material zu einem soliden Ausbau der Grundlagen ihrer Wissen¬
schaft auszunutzen, statt ihre Kraft und Zeit darauf zu verwenden, den Inhalt
historisch interessanter Inschriften im Allgemeinen zu verstehen, im Einzelnen
zu errathen und auf diese Art „einen luftigen Oberbau aufzuführen, von dem
ununterbrochen einzelne Säulen einstürzen und auch künftig noch oft genug
einstürzen werden." Weiter geben die den Inschriften beigegebenen bildlichen
Darstellungen für die Deutung des Inhalts jener eine bescheidene Stütze, und
schließlich nennt uns Schrader als letztes Hülfsmittel die geschichtliche Tradition
und die freie Combination; seine Beispiele für die letztere beschränken sich jedoch
auf die paläographische und sprachliche; in Wahrheit ist aber auch die historische
„Tradition" vielmehr Combination. Daß dieses Hülfsmittel dem Entzifferer
unentbehrlich, und daß er folglich zu dessen Anwendung berechtigt ist, stellt
v. Gutschmid natürlich nicht in Abrede. Dagegen tadelt er ebenso natürlich,
„daß es von den Assyriologen mit einer ganz ausschließlichen Vorliebe in
Anwendung gebracht wird"; denn das „führt zu einem fortwährenden Schielen
nach den historischen Folgerungen, die sich etwa aus dem Inhalte einer zu
lesenden Inschrift Heransstellen könnten", und „ein solches Verfahren setzt
ein gewisses Maß historischen Wissens, namentlich aber die rechte Uebersicht
über das ganze Gebiet, Empfänglichkeit für historische Kritik und den sicheren
Besitz der Technik und Methode der Geschichtsforschung voraus, lauter Kennt¬
nisse, die sich nun einmal nicht von selbst einstellen und durch bloße Begeiste¬
rung für die Sache nicht zu ersetzen sind. Kein Wunder daher, daß diese
Richtung aus der Mehrzahl der Assyriologen historische Dilettanten gemacht
hat. Es ist dies eine Vermischung der Aufgaben des Entzifferers und des
Historikers, von der weder der Geschichtsschreibung noch der Assyriologie selbst
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