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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Leben aufleuchten. Lukian sagt , daß die Schrecken der Unterwelt und das
Leben der Seligen in den Mysterien zur Anschauung kämen. "Zuerst Jrrgänge",
so berichtet Plutarch, "mühseliges Umherschweifen und gefährliches und ver¬
derbliches Wandeln in der Finsterniß. Dann folgen alle Schrecknisse, Schaudern
und Zittern, Angstschweiß und Entsetzen. Der, welcher zum ersten Male Zu¬
tritt hatte, glaubte sich in deu Zustand eiues Sterbenden versetzt." Man hörte
unheimliche Laute und vernahm den dumpfen Schall der Pauke, man sah die
Gespenster der Todtenwelt und die Fackeln der rächenden Göttinnen. "Dann
brach plötzlich", wie Plutarch weiter berichtet, "ein Helles Licht hervor, man
erblickte strahlende Gegenden und Auen, ans denen Stimmen von jubelnden
Tänzern sich hören ließen und die Herrlichkeit heiliger Worte und Erscheinun¬
gen sich zeigte." Die Nacht war vorüber, und man sah die Frommen mit
Myrthen bekränzt in der Glorie des neuen Lichtes ans den Gefilden der Se¬
ligen wandeln.

Das war der Kern der heiligen Bräuche, der scenischen Darstellungen nach
der dritten Weihe der eleusinischen Geheimenlte. Von predigtartigen Vorträgen
war hier so wenig wie sonst wo in der vorchristlichen Welt die Rede. "Die
kleinen Mysterien waren", wie Preller sagt, "nur eine Vorbereitung auf die
größeren, durch allerlei Reinigungen und Sühnungen, damit an den Mysten
jede Verunreinigung durch den Schmutz des Lebens, der Leidenschaft und des
Verbrechens getilgt werde, ehe sie sich den höheren Anschauungen näherten.
Die großen Mysterien führten darauf vermuthlich in die symbolische und alle¬
gorische Bedeutung der heiligen Geschichte von Eleusis weiter ein, müssen aber
auch gewisse positive Vertröstungen und Beruhigungsmittel gegen die Schrecken
des Todes und der Unterwelt gewährt haben. Wenigstens nehmen die in die
eleusinischen oder gleichartige Mysterien Eingeweihten immer ganz besondere
Auszeichnungen und Privilegien im Reiche des Pluton und der Persephone in
Anspruch, und auch sonst wird von den Elensinien immer ganz vorzüglich
hervorgehoben, daß sie bessere und süßere Hoffnung über des Lebens Ende
und eine beruhigende Ansicht über das ganze menschliche Dasein gewährt hätten.
Die Epoptie endlich wird vielleicht noch sublimere Vorstellungen in so klaren
Bildern und Gleichnissen überliefert haben, als dieß überhaupt innerhalb der
Naturreligion mit ihrem ganz bildlichen und symbolischen Grundcharakter mög¬
lich und thunlich war. Denn über diese beiden Bedingungen, die Natur als
Object und das Bildliche als formalen Ausdruck, hat sich die Religion der
Alten nie erhoben, und deshalb können dogmatische Ueberlieferungen einer
deistischen Gotteserkeuntniß, wie man sie oft den Mysterien zugemuthet hat,
nicht wohl in ihnen stattgefunden haben. Auch erscheint bei alle" verreden-


Leben aufleuchten. Lukian sagt , daß die Schrecken der Unterwelt und das
Leben der Seligen in den Mysterien zur Anschauung kämen. „Zuerst Jrrgänge",
so berichtet Plutarch, „mühseliges Umherschweifen und gefährliches und ver¬
derbliches Wandeln in der Finsterniß. Dann folgen alle Schrecknisse, Schaudern
und Zittern, Angstschweiß und Entsetzen. Der, welcher zum ersten Male Zu¬
tritt hatte, glaubte sich in deu Zustand eiues Sterbenden versetzt." Man hörte
unheimliche Laute und vernahm den dumpfen Schall der Pauke, man sah die
Gespenster der Todtenwelt und die Fackeln der rächenden Göttinnen. „Dann
brach plötzlich", wie Plutarch weiter berichtet, „ein Helles Licht hervor, man
erblickte strahlende Gegenden und Auen, ans denen Stimmen von jubelnden
Tänzern sich hören ließen und die Herrlichkeit heiliger Worte und Erscheinun¬
gen sich zeigte." Die Nacht war vorüber, und man sah die Frommen mit
Myrthen bekränzt in der Glorie des neuen Lichtes ans den Gefilden der Se¬
ligen wandeln.

Das war der Kern der heiligen Bräuche, der scenischen Darstellungen nach
der dritten Weihe der eleusinischen Geheimenlte. Von predigtartigen Vorträgen
war hier so wenig wie sonst wo in der vorchristlichen Welt die Rede. „Die
kleinen Mysterien waren", wie Preller sagt, „nur eine Vorbereitung auf die
größeren, durch allerlei Reinigungen und Sühnungen, damit an den Mysten
jede Verunreinigung durch den Schmutz des Lebens, der Leidenschaft und des
Verbrechens getilgt werde, ehe sie sich den höheren Anschauungen näherten.
Die großen Mysterien führten darauf vermuthlich in die symbolische und alle¬
gorische Bedeutung der heiligen Geschichte von Eleusis weiter ein, müssen aber
auch gewisse positive Vertröstungen und Beruhigungsmittel gegen die Schrecken
des Todes und der Unterwelt gewährt haben. Wenigstens nehmen die in die
eleusinischen oder gleichartige Mysterien Eingeweihten immer ganz besondere
Auszeichnungen und Privilegien im Reiche des Pluton und der Persephone in
Anspruch, und auch sonst wird von den Elensinien immer ganz vorzüglich
hervorgehoben, daß sie bessere und süßere Hoffnung über des Lebens Ende
und eine beruhigende Ansicht über das ganze menschliche Dasein gewährt hätten.
Die Epoptie endlich wird vielleicht noch sublimere Vorstellungen in so klaren
Bildern und Gleichnissen überliefert haben, als dieß überhaupt innerhalb der
Naturreligion mit ihrem ganz bildlichen und symbolischen Grundcharakter mög¬
lich und thunlich war. Denn über diese beiden Bedingungen, die Natur als
Object und das Bildliche als formalen Ausdruck, hat sich die Religion der
Alten nie erhoben, und deshalb können dogmatische Ueberlieferungen einer
deistischen Gotteserkeuntniß, wie man sie oft den Mysterien zugemuthet hat,
nicht wohl in ihnen stattgefunden haben. Auch erscheint bei alle» verreden-


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[0123] Leben aufleuchten. Lukian sagt , daß die Schrecken der Unterwelt und das Leben der Seligen in den Mysterien zur Anschauung kämen. „Zuerst Jrrgänge", so berichtet Plutarch, „mühseliges Umherschweifen und gefährliches und ver¬ derbliches Wandeln in der Finsterniß. Dann folgen alle Schrecknisse, Schaudern und Zittern, Angstschweiß und Entsetzen. Der, welcher zum ersten Male Zu¬ tritt hatte, glaubte sich in deu Zustand eiues Sterbenden versetzt." Man hörte unheimliche Laute und vernahm den dumpfen Schall der Pauke, man sah die Gespenster der Todtenwelt und die Fackeln der rächenden Göttinnen. „Dann brach plötzlich", wie Plutarch weiter berichtet, „ein Helles Licht hervor, man erblickte strahlende Gegenden und Auen, ans denen Stimmen von jubelnden Tänzern sich hören ließen und die Herrlichkeit heiliger Worte und Erscheinun¬ gen sich zeigte." Die Nacht war vorüber, und man sah die Frommen mit Myrthen bekränzt in der Glorie des neuen Lichtes ans den Gefilden der Se¬ ligen wandeln. Das war der Kern der heiligen Bräuche, der scenischen Darstellungen nach der dritten Weihe der eleusinischen Geheimenlte. Von predigtartigen Vorträgen war hier so wenig wie sonst wo in der vorchristlichen Welt die Rede. „Die kleinen Mysterien waren", wie Preller sagt, „nur eine Vorbereitung auf die größeren, durch allerlei Reinigungen und Sühnungen, damit an den Mysten jede Verunreinigung durch den Schmutz des Lebens, der Leidenschaft und des Verbrechens getilgt werde, ehe sie sich den höheren Anschauungen näherten. Die großen Mysterien führten darauf vermuthlich in die symbolische und alle¬ gorische Bedeutung der heiligen Geschichte von Eleusis weiter ein, müssen aber auch gewisse positive Vertröstungen und Beruhigungsmittel gegen die Schrecken des Todes und der Unterwelt gewährt haben. Wenigstens nehmen die in die eleusinischen oder gleichartige Mysterien Eingeweihten immer ganz besondere Auszeichnungen und Privilegien im Reiche des Pluton und der Persephone in Anspruch, und auch sonst wird von den Elensinien immer ganz vorzüglich hervorgehoben, daß sie bessere und süßere Hoffnung über des Lebens Ende und eine beruhigende Ansicht über das ganze menschliche Dasein gewährt hätten. Die Epoptie endlich wird vielleicht noch sublimere Vorstellungen in so klaren Bildern und Gleichnissen überliefert haben, als dieß überhaupt innerhalb der Naturreligion mit ihrem ganz bildlichen und symbolischen Grundcharakter mög¬ lich und thunlich war. Denn über diese beiden Bedingungen, die Natur als Object und das Bildliche als formalen Ausdruck, hat sich die Religion der Alten nie erhoben, und deshalb können dogmatische Ueberlieferungen einer deistischen Gotteserkeuntniß, wie man sie oft den Mysterien zugemuthet hat, nicht wohl in ihnen stattgefunden haben. Auch erscheint bei alle» verreden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/123>, abgerufen am 23.07.2024.