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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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des Hierophanten antworteten die Geweihten mit einer Formel, die zugleich
als ihr Erkennungszeichen diente, und die folgendermaßen lautete: "Ich habe
gefastet, ich habe den Kykeon getrunken, ich habe aus der Kiste genommen
und gekostet, ich habe in den Korb gelögt und aus dem Korbe in die Kiste."

Was dieser Gebrauch bedeuten sollte, ist Räthsel. Duncker meint, "die
Kiste war der Sarg, der den Todten barg, das Symbol der Unterwelt, der
Korb war der Fruchtkorb der Demeter, ein Symbol der fruchtbaren Kraft der
Erde. Das Hineinlegen aus der Kiste in den Korb (nachdem das aus der
Kiste Genommene "gekostet" worden?) und aus dem Korbe in die Kiste war
der Wechsel zwischen Absterben und Keimen, zwischen Tod und Leben, ein
Symbol des aus dem Tode neu erstehenden Lebens". Vorsichtiger äußert sich
Schömann: "Es konnte einer sagen, die Kiste bedeute die Erde, aus welcher
der Mensch seine Nahrung nimmt; von dieser verzehrt er einen Theil, den
andern verwahrt er in der Scheuer, um ihn dann als Saatkorn der Erde
wiederzugeben -- ein Anderer könnte etwas Anderes, keiner aber etwas Ge¬
wisses sagen." Wir meinen, daß das Nehmen aus der Kiste, das Kosten des
Geronnenen, das Legen des Restes in den Korb und das Wiederhineinlegen
desselben in die Kiste offenbar wie das Fasten und das Trinken des Kykeon
zu den symbolischen Handlungen des Festrituals gehörten. Ueber die
Bedeutung der Ceremonie wagen wir bescheiden kein Urtheil abzugeben.

Die Geweihten stiegen dann -- bei ihrer großen Zahl jedenfalls in Ab¬
theilungen -- selbst in die Unterwelt hinab, d. h. wohl in die Krypta des
Tempels, wo diejenigen liturgischen Acte stattfanden, die nur für die Epopeen
bestimmt waren und das Letzte und Höchste (r^-rA auffaßten. Sie bestan¬
den vermuthlich zunächst wieder im Vorzeigen heiliger Dinge, wie eines immer¬
grünen Myrthenkranzes, des Sinnbildes ewiger Lebensfülle, ferner eines Rades,
welches den rastlosen Umschwung alles Existirenden von oben nach unten und
empor bezeichnen mochte, und der Aepfel des Lebens, lauter Gegenständen, über
welche es Ueberlieferungen gab, die zum Theil in poetischer Form und in Ge¬
sängen, entweder vom Hierophanten allein oder von Sängerchören nnter Be¬
gleitung von Instrumenten vorgetragen wurden. Ausdrückliche Zeugnisse lassen
ferner kaum daran zweifeln, daß ans diese Vorträge auch dramatische Vorstel¬
lungen folgten, welche den Schauenden das Leben und Leiden der betreffenden
Gottheiten lebendig vergegenwärtigten, und ebenso sicher ist, daß die Priester
in der späteren Zeit sich hierbei der Scenerie und Maschinerie bedienten, welche
die ätherische Schaubühne zu ziemlicher Vollkommenheit ausgebildet hatte. Die
Epopeen blickten -- vielleicht, nachdem ein Vorhang gefallen war -- wirklich
in die Unterwelt und sahen dann wirklich über dieser Schattenwelt das neue


des Hierophanten antworteten die Geweihten mit einer Formel, die zugleich
als ihr Erkennungszeichen diente, und die folgendermaßen lautete: „Ich habe
gefastet, ich habe den Kykeon getrunken, ich habe aus der Kiste genommen
und gekostet, ich habe in den Korb gelögt und aus dem Korbe in die Kiste."

Was dieser Gebrauch bedeuten sollte, ist Räthsel. Duncker meint, „die
Kiste war der Sarg, der den Todten barg, das Symbol der Unterwelt, der
Korb war der Fruchtkorb der Demeter, ein Symbol der fruchtbaren Kraft der
Erde. Das Hineinlegen aus der Kiste in den Korb (nachdem das aus der
Kiste Genommene „gekostet" worden?) und aus dem Korbe in die Kiste war
der Wechsel zwischen Absterben und Keimen, zwischen Tod und Leben, ein
Symbol des aus dem Tode neu erstehenden Lebens". Vorsichtiger äußert sich
Schömann: „Es konnte einer sagen, die Kiste bedeute die Erde, aus welcher
der Mensch seine Nahrung nimmt; von dieser verzehrt er einen Theil, den
andern verwahrt er in der Scheuer, um ihn dann als Saatkorn der Erde
wiederzugeben — ein Anderer könnte etwas Anderes, keiner aber etwas Ge¬
wisses sagen." Wir meinen, daß das Nehmen aus der Kiste, das Kosten des
Geronnenen, das Legen des Restes in den Korb und das Wiederhineinlegen
desselben in die Kiste offenbar wie das Fasten und das Trinken des Kykeon
zu den symbolischen Handlungen des Festrituals gehörten. Ueber die
Bedeutung der Ceremonie wagen wir bescheiden kein Urtheil abzugeben.

Die Geweihten stiegen dann — bei ihrer großen Zahl jedenfalls in Ab¬
theilungen — selbst in die Unterwelt hinab, d. h. wohl in die Krypta des
Tempels, wo diejenigen liturgischen Acte stattfanden, die nur für die Epopeen
bestimmt waren und das Letzte und Höchste (r^-rA auffaßten. Sie bestan¬
den vermuthlich zunächst wieder im Vorzeigen heiliger Dinge, wie eines immer¬
grünen Myrthenkranzes, des Sinnbildes ewiger Lebensfülle, ferner eines Rades,
welches den rastlosen Umschwung alles Existirenden von oben nach unten und
empor bezeichnen mochte, und der Aepfel des Lebens, lauter Gegenständen, über
welche es Ueberlieferungen gab, die zum Theil in poetischer Form und in Ge¬
sängen, entweder vom Hierophanten allein oder von Sängerchören nnter Be¬
gleitung von Instrumenten vorgetragen wurden. Ausdrückliche Zeugnisse lassen
ferner kaum daran zweifeln, daß ans diese Vorträge auch dramatische Vorstel¬
lungen folgten, welche den Schauenden das Leben und Leiden der betreffenden
Gottheiten lebendig vergegenwärtigten, und ebenso sicher ist, daß die Priester
in der späteren Zeit sich hierbei der Scenerie und Maschinerie bedienten, welche
die ätherische Schaubühne zu ziemlicher Vollkommenheit ausgebildet hatte. Die
Epopeen blickten — vielleicht, nachdem ein Vorhang gefallen war — wirklich
in die Unterwelt und sahen dann wirklich über dieser Schattenwelt das neue


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[0122] des Hierophanten antworteten die Geweihten mit einer Formel, die zugleich als ihr Erkennungszeichen diente, und die folgendermaßen lautete: „Ich habe gefastet, ich habe den Kykeon getrunken, ich habe aus der Kiste genommen und gekostet, ich habe in den Korb gelögt und aus dem Korbe in die Kiste." Was dieser Gebrauch bedeuten sollte, ist Räthsel. Duncker meint, „die Kiste war der Sarg, der den Todten barg, das Symbol der Unterwelt, der Korb war der Fruchtkorb der Demeter, ein Symbol der fruchtbaren Kraft der Erde. Das Hineinlegen aus der Kiste in den Korb (nachdem das aus der Kiste Genommene „gekostet" worden?) und aus dem Korbe in die Kiste war der Wechsel zwischen Absterben und Keimen, zwischen Tod und Leben, ein Symbol des aus dem Tode neu erstehenden Lebens". Vorsichtiger äußert sich Schömann: „Es konnte einer sagen, die Kiste bedeute die Erde, aus welcher der Mensch seine Nahrung nimmt; von dieser verzehrt er einen Theil, den andern verwahrt er in der Scheuer, um ihn dann als Saatkorn der Erde wiederzugeben — ein Anderer könnte etwas Anderes, keiner aber etwas Ge¬ wisses sagen." Wir meinen, daß das Nehmen aus der Kiste, das Kosten des Geronnenen, das Legen des Restes in den Korb und das Wiederhineinlegen desselben in die Kiste offenbar wie das Fasten und das Trinken des Kykeon zu den symbolischen Handlungen des Festrituals gehörten. Ueber die Bedeutung der Ceremonie wagen wir bescheiden kein Urtheil abzugeben. Die Geweihten stiegen dann — bei ihrer großen Zahl jedenfalls in Ab¬ theilungen — selbst in die Unterwelt hinab, d. h. wohl in die Krypta des Tempels, wo diejenigen liturgischen Acte stattfanden, die nur für die Epopeen bestimmt waren und das Letzte und Höchste (r^-rA auffaßten. Sie bestan¬ den vermuthlich zunächst wieder im Vorzeigen heiliger Dinge, wie eines immer¬ grünen Myrthenkranzes, des Sinnbildes ewiger Lebensfülle, ferner eines Rades, welches den rastlosen Umschwung alles Existirenden von oben nach unten und empor bezeichnen mochte, und der Aepfel des Lebens, lauter Gegenständen, über welche es Ueberlieferungen gab, die zum Theil in poetischer Form und in Ge¬ sängen, entweder vom Hierophanten allein oder von Sängerchören nnter Be¬ gleitung von Instrumenten vorgetragen wurden. Ausdrückliche Zeugnisse lassen ferner kaum daran zweifeln, daß ans diese Vorträge auch dramatische Vorstel¬ lungen folgten, welche den Schauenden das Leben und Leiden der betreffenden Gottheiten lebendig vergegenwärtigten, und ebenso sicher ist, daß die Priester in der späteren Zeit sich hierbei der Scenerie und Maschinerie bedienten, welche die ätherische Schaubühne zu ziemlicher Vollkommenheit ausgebildet hatte. Die Epopeen blickten — vielleicht, nachdem ein Vorhang gefallen war — wirklich in die Unterwelt und sahen dann wirklich über dieser Schattenwelt das neue

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/122>, abgerufen am 23.07.2024.