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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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dritten Tage wurde mit ähnlicher Feierlichkeit und einem frommen Festmahl
das Ganze beschlossen."

Wir unterlassen es, auf diese Mysterien, so interessant sie sind, näher ein¬
zugehen, um Raum zu ausführlicher Schilderung derjenigen zu behalten, welche
unter allen die erste Stelle einnehmen, der eleusinischen Mysterien,
die sich an den Dienst der Demeter, der Persephone und des Bakchos oder,
wie er in der Sprache dieser geheimen Gottesdienste hieß, des Jakchos an¬
lehnten.

Die Erde ist in allen Naturreligionen ein Bild des Wechsels der Dinge
auch im Menschenleben. Im Frühling mit seinen grünwerdenden Bäumen und
seiner aufsprießenden Saat erblickt der sinnende Geist Geburt und junges Leben
überhaupt; die Zeit der versengenden Sonnengluth, der Ernte und des Winters
ist ihm mit ihren Erscheinungen das Gebiet des Todes, des Zurückweichens
alles Gewachseueu und Gebornen in die Tiefe, in das Grab. Aus der Erde
gekommen, wie das Getreide, geht der Mensch nach Verlauf seines Lebens in
die Erde zurück, um -- so ahnte man später -- wieder zurückzukehren an das
Licht. Die göttlich gedachte Erde war sein immer offenes Grab, aber auch
seine ewige Mutter in dieser Zeit der Erhebung über die unterste Stufe re¬
ligiösen Empfindens, Phantasirens und Denkens. Auch bei den Griechen war
es so, und darum hatte die Art von religiöser Anschauung, welche mit der Zeit
zu den soeben genannten Geheimdiensten und ähnlichen Culten führte, die Ver¬
ehrung der Erde und ihres Lebens zum Mittelpunkte. Das Charakteristische
an den Mysterien ist, wie Preller mit Recht bemerkt, das Sentimentale, das
Ekstatische, Mystische, eine Stimmung, welche mit heftiger Erregung des Ge°
müthes und jähem Wechsel von Lust und Schmerz verbunden und der an¬
deutenden Naturoffenbarnng mehr wie jede andere aufgeschlossen war. "Das
Göttliche wurde überwiegend als Geheimniß und Wunder aufgefaßt, das man
schweigend hinnehmen müsse und uur in leisen symbolischen Andeutungen ver¬
gegenwärtigen könne. Diese Symbole ließen die emportreibenden und schaffenden,
wie die zerstörenden Kräfte des Lebens der Erde mit denen des menschlichen
Entstehens und Vergehens, seiner geschlechtlichen und sittlichen Entwickelung
zusammenfallen und wiesen in inhaltreichen Analogien ans sie hin."

In uralter Zeit war in Eleusis, einer Stadt vier Wegstunden von Athen,
die geehrteste Gottheit Demeter, die Personification der Erde als Mutter der
Dinge, mit ihrer Tochter Kore, welche den Gedanken der alljährlich nenergrnnenden
und im Herbst wieder verschwindenden Vegetation verkörperte. Dieses Kommen,
Gehen und Wiederkehren von Land und Gras wurde vom unbewußt dichtenden
Volksgeist in die Mythe verwandelt, daß die Tochter der Demeter von Pluton
dem Beherrscher der Unterwelt, geraubt und von der Mutter lange vergebens


dritten Tage wurde mit ähnlicher Feierlichkeit und einem frommen Festmahl
das Ganze beschlossen."

Wir unterlassen es, auf diese Mysterien, so interessant sie sind, näher ein¬
zugehen, um Raum zu ausführlicher Schilderung derjenigen zu behalten, welche
unter allen die erste Stelle einnehmen, der eleusinischen Mysterien,
die sich an den Dienst der Demeter, der Persephone und des Bakchos oder,
wie er in der Sprache dieser geheimen Gottesdienste hieß, des Jakchos an¬
lehnten.

Die Erde ist in allen Naturreligionen ein Bild des Wechsels der Dinge
auch im Menschenleben. Im Frühling mit seinen grünwerdenden Bäumen und
seiner aufsprießenden Saat erblickt der sinnende Geist Geburt und junges Leben
überhaupt; die Zeit der versengenden Sonnengluth, der Ernte und des Winters
ist ihm mit ihren Erscheinungen das Gebiet des Todes, des Zurückweichens
alles Gewachseueu und Gebornen in die Tiefe, in das Grab. Aus der Erde
gekommen, wie das Getreide, geht der Mensch nach Verlauf seines Lebens in
die Erde zurück, um — so ahnte man später — wieder zurückzukehren an das
Licht. Die göttlich gedachte Erde war sein immer offenes Grab, aber auch
seine ewige Mutter in dieser Zeit der Erhebung über die unterste Stufe re¬
ligiösen Empfindens, Phantasirens und Denkens. Auch bei den Griechen war
es so, und darum hatte die Art von religiöser Anschauung, welche mit der Zeit
zu den soeben genannten Geheimdiensten und ähnlichen Culten führte, die Ver¬
ehrung der Erde und ihres Lebens zum Mittelpunkte. Das Charakteristische
an den Mysterien ist, wie Preller mit Recht bemerkt, das Sentimentale, das
Ekstatische, Mystische, eine Stimmung, welche mit heftiger Erregung des Ge°
müthes und jähem Wechsel von Lust und Schmerz verbunden und der an¬
deutenden Naturoffenbarnng mehr wie jede andere aufgeschlossen war. „Das
Göttliche wurde überwiegend als Geheimniß und Wunder aufgefaßt, das man
schweigend hinnehmen müsse und uur in leisen symbolischen Andeutungen ver¬
gegenwärtigen könne. Diese Symbole ließen die emportreibenden und schaffenden,
wie die zerstörenden Kräfte des Lebens der Erde mit denen des menschlichen
Entstehens und Vergehens, seiner geschlechtlichen und sittlichen Entwickelung
zusammenfallen und wiesen in inhaltreichen Analogien ans sie hin."

In uralter Zeit war in Eleusis, einer Stadt vier Wegstunden von Athen,
die geehrteste Gottheit Demeter, die Personification der Erde als Mutter der
Dinge, mit ihrer Tochter Kore, welche den Gedanken der alljährlich nenergrnnenden
und im Herbst wieder verschwindenden Vegetation verkörperte. Dieses Kommen,
Gehen und Wiederkehren von Land und Gras wurde vom unbewußt dichtenden
Volksgeist in die Mythe verwandelt, daß die Tochter der Demeter von Pluton
dem Beherrscher der Unterwelt, geraubt und von der Mutter lange vergebens


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[0117] dritten Tage wurde mit ähnlicher Feierlichkeit und einem frommen Festmahl das Ganze beschlossen." Wir unterlassen es, auf diese Mysterien, so interessant sie sind, näher ein¬ zugehen, um Raum zu ausführlicher Schilderung derjenigen zu behalten, welche unter allen die erste Stelle einnehmen, der eleusinischen Mysterien, die sich an den Dienst der Demeter, der Persephone und des Bakchos oder, wie er in der Sprache dieser geheimen Gottesdienste hieß, des Jakchos an¬ lehnten. Die Erde ist in allen Naturreligionen ein Bild des Wechsels der Dinge auch im Menschenleben. Im Frühling mit seinen grünwerdenden Bäumen und seiner aufsprießenden Saat erblickt der sinnende Geist Geburt und junges Leben überhaupt; die Zeit der versengenden Sonnengluth, der Ernte und des Winters ist ihm mit ihren Erscheinungen das Gebiet des Todes, des Zurückweichens alles Gewachseueu und Gebornen in die Tiefe, in das Grab. Aus der Erde gekommen, wie das Getreide, geht der Mensch nach Verlauf seines Lebens in die Erde zurück, um — so ahnte man später — wieder zurückzukehren an das Licht. Die göttlich gedachte Erde war sein immer offenes Grab, aber auch seine ewige Mutter in dieser Zeit der Erhebung über die unterste Stufe re¬ ligiösen Empfindens, Phantasirens und Denkens. Auch bei den Griechen war es so, und darum hatte die Art von religiöser Anschauung, welche mit der Zeit zu den soeben genannten Geheimdiensten und ähnlichen Culten führte, die Ver¬ ehrung der Erde und ihres Lebens zum Mittelpunkte. Das Charakteristische an den Mysterien ist, wie Preller mit Recht bemerkt, das Sentimentale, das Ekstatische, Mystische, eine Stimmung, welche mit heftiger Erregung des Ge° müthes und jähem Wechsel von Lust und Schmerz verbunden und der an¬ deutenden Naturoffenbarnng mehr wie jede andere aufgeschlossen war. „Das Göttliche wurde überwiegend als Geheimniß und Wunder aufgefaßt, das man schweigend hinnehmen müsse und uur in leisen symbolischen Andeutungen ver¬ gegenwärtigen könne. Diese Symbole ließen die emportreibenden und schaffenden, wie die zerstörenden Kräfte des Lebens der Erde mit denen des menschlichen Entstehens und Vergehens, seiner geschlechtlichen und sittlichen Entwickelung zusammenfallen und wiesen in inhaltreichen Analogien ans sie hin." In uralter Zeit war in Eleusis, einer Stadt vier Wegstunden von Athen, die geehrteste Gottheit Demeter, die Personification der Erde als Mutter der Dinge, mit ihrer Tochter Kore, welche den Gedanken der alljährlich nenergrnnenden und im Herbst wieder verschwindenden Vegetation verkörperte. Dieses Kommen, Gehen und Wiederkehren von Land und Gras wurde vom unbewußt dichtenden Volksgeist in die Mythe verwandelt, daß die Tochter der Demeter von Pluton dem Beherrscher der Unterwelt, geraubt und von der Mutter lange vergebens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/117>, abgerufen am 23.07.2024.