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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Wir kommen jetzt zur Darstellung unseres Gegenstandes in den Einzeln¬
heiten, wobei wir uns theils Schömann, theils Duncker anschließen und ge¬
legentlich auch Prellers Meinung hören werden. Es gab in der althellenischer
Welt verschiedene Mysterien, je nach den Gottheiten, die ihren Mittelpunkt
bildeten. Auf der Insel Scunothrake gruppirten sie sich um die geheimnißvollen
Kabiren, Götter oder Dämonen, deren Kultus von den phönizischen Ein¬
wanderern der Urzeit eingeführt worden war. Durch ganz Griechenland ferner
waren die gleichfalls im Geheimen arbeitenden Logen der Orphiker verbreitet,
welche als ihren Stifter den fabelhaften Dichterheros Orpheus verehrten und sich
an aus dem Orient nach Hellas verpflanzte Vorstellungen anlehnten, die in der
Hauptsache auf eine Erbsünde des aus der Asche der götterfeindlichen Titanen
entsprossenen Menschengeschlechts, auf einen zur Büßung der alten Schuld noth¬
wendigen Kreislauf der Seele durch irdische Leiber, einen seligen Zustand der
so Geläuterten in einem besseren Leben und ans die Forderung hinausliefen, der
Reinigung und Verklärung durch religiöse Weisen, durch Einhaltung von
Fleischkost und Bohnen, dnrch Waschungen, Gebete n. dergl. zu Hülfe zu kommeu.
Als später, uach Alexander dem Großen, der Dienst der ägyptischen Isis in
Griechenland Eingang gefunden hatte, knüpften sich an deren Tempel geheimni߬
volle Feste mit wundersamen Sühnungen, Symbolisirungen und Offenbarungen,
an denen nur Eingeweihte theilnehmen durften. Andentungen, wie es dabei
zuging, giebt uns ein Wissender, welcher zu Korinth in die Verbrüderung auf¬
genommen worden war. "Höre", sagt er vorsichtig, "aber glaube, was davon
wahr ist. Ich betrat das Gebiet des Todes, überschritt die Schwelle der
Unterweltsgöttin, wurde durch alle Elemente hindurchgeführt. Daun zurück¬
gekehrt, sah ich um Mitternacht die Sonne im hellsten Glänze; ich sah Götter
des Himmels und der Unterwelt gegenwärtig und betete sie in nächster Nähe
an. Hiermit habe ich dir gesagt, was du, obwohl du es gehört hast, doch
nicht begreifen darfst. Nun aber tönt ich dir berichten, was ich ohne Sünde
anch den Uneingeweihten mittheilen darf. Der Morgen war angebrochen, und
nach Vollendung heiliger Gebräuche trat ich vor, angethan mit zwölf leinenen
Behängen. Dann mußte ich mitten im Tempel auf eine Bühne steigen, die
vor dem Bilde der Göttin errichtet ist. Mich schmückte ein buntgeblümtes
Gewand von feiner Leinwand, von meiner Schulter bis zu den Fersen herab
wallte ein prachtvoller Mantel mit Thierbildern in verschiedenen Farben, in¬
dischen Drachen und nordlündischen Greifen. Dieser Mantel hieß der olympische
Ueberwurf. In der rechten Hand trug ich eine Fackel, auf dem Haupte eine
Krone von Palmenzweigen, deren Blätter gleich Strahlen hervorstanden. Dann
fiel ein Vorhang, und ich wurde der versammelten Menge sichtbar. Dann
folgte ein Festmahl, gleichsam zur Geburtsfeier meiner Einweihung, und am


Wir kommen jetzt zur Darstellung unseres Gegenstandes in den Einzeln¬
heiten, wobei wir uns theils Schömann, theils Duncker anschließen und ge¬
legentlich auch Prellers Meinung hören werden. Es gab in der althellenischer
Welt verschiedene Mysterien, je nach den Gottheiten, die ihren Mittelpunkt
bildeten. Auf der Insel Scunothrake gruppirten sie sich um die geheimnißvollen
Kabiren, Götter oder Dämonen, deren Kultus von den phönizischen Ein¬
wanderern der Urzeit eingeführt worden war. Durch ganz Griechenland ferner
waren die gleichfalls im Geheimen arbeitenden Logen der Orphiker verbreitet,
welche als ihren Stifter den fabelhaften Dichterheros Orpheus verehrten und sich
an aus dem Orient nach Hellas verpflanzte Vorstellungen anlehnten, die in der
Hauptsache auf eine Erbsünde des aus der Asche der götterfeindlichen Titanen
entsprossenen Menschengeschlechts, auf einen zur Büßung der alten Schuld noth¬
wendigen Kreislauf der Seele durch irdische Leiber, einen seligen Zustand der
so Geläuterten in einem besseren Leben und ans die Forderung hinausliefen, der
Reinigung und Verklärung durch religiöse Weisen, durch Einhaltung von
Fleischkost und Bohnen, dnrch Waschungen, Gebete n. dergl. zu Hülfe zu kommeu.
Als später, uach Alexander dem Großen, der Dienst der ägyptischen Isis in
Griechenland Eingang gefunden hatte, knüpften sich an deren Tempel geheimni߬
volle Feste mit wundersamen Sühnungen, Symbolisirungen und Offenbarungen,
an denen nur Eingeweihte theilnehmen durften. Andentungen, wie es dabei
zuging, giebt uns ein Wissender, welcher zu Korinth in die Verbrüderung auf¬
genommen worden war. „Höre", sagt er vorsichtig, „aber glaube, was davon
wahr ist. Ich betrat das Gebiet des Todes, überschritt die Schwelle der
Unterweltsgöttin, wurde durch alle Elemente hindurchgeführt. Daun zurück¬
gekehrt, sah ich um Mitternacht die Sonne im hellsten Glänze; ich sah Götter
des Himmels und der Unterwelt gegenwärtig und betete sie in nächster Nähe
an. Hiermit habe ich dir gesagt, was du, obwohl du es gehört hast, doch
nicht begreifen darfst. Nun aber tönt ich dir berichten, was ich ohne Sünde
anch den Uneingeweihten mittheilen darf. Der Morgen war angebrochen, und
nach Vollendung heiliger Gebräuche trat ich vor, angethan mit zwölf leinenen
Behängen. Dann mußte ich mitten im Tempel auf eine Bühne steigen, die
vor dem Bilde der Göttin errichtet ist. Mich schmückte ein buntgeblümtes
Gewand von feiner Leinwand, von meiner Schulter bis zu den Fersen herab
wallte ein prachtvoller Mantel mit Thierbildern in verschiedenen Farben, in¬
dischen Drachen und nordlündischen Greifen. Dieser Mantel hieß der olympische
Ueberwurf. In der rechten Hand trug ich eine Fackel, auf dem Haupte eine
Krone von Palmenzweigen, deren Blätter gleich Strahlen hervorstanden. Dann
fiel ein Vorhang, und ich wurde der versammelten Menge sichtbar. Dann
folgte ein Festmahl, gleichsam zur Geburtsfeier meiner Einweihung, und am


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[0116] Wir kommen jetzt zur Darstellung unseres Gegenstandes in den Einzeln¬ heiten, wobei wir uns theils Schömann, theils Duncker anschließen und ge¬ legentlich auch Prellers Meinung hören werden. Es gab in der althellenischer Welt verschiedene Mysterien, je nach den Gottheiten, die ihren Mittelpunkt bildeten. Auf der Insel Scunothrake gruppirten sie sich um die geheimnißvollen Kabiren, Götter oder Dämonen, deren Kultus von den phönizischen Ein¬ wanderern der Urzeit eingeführt worden war. Durch ganz Griechenland ferner waren die gleichfalls im Geheimen arbeitenden Logen der Orphiker verbreitet, welche als ihren Stifter den fabelhaften Dichterheros Orpheus verehrten und sich an aus dem Orient nach Hellas verpflanzte Vorstellungen anlehnten, die in der Hauptsache auf eine Erbsünde des aus der Asche der götterfeindlichen Titanen entsprossenen Menschengeschlechts, auf einen zur Büßung der alten Schuld noth¬ wendigen Kreislauf der Seele durch irdische Leiber, einen seligen Zustand der so Geläuterten in einem besseren Leben und ans die Forderung hinausliefen, der Reinigung und Verklärung durch religiöse Weisen, durch Einhaltung von Fleischkost und Bohnen, dnrch Waschungen, Gebete n. dergl. zu Hülfe zu kommeu. Als später, uach Alexander dem Großen, der Dienst der ägyptischen Isis in Griechenland Eingang gefunden hatte, knüpften sich an deren Tempel geheimni߬ volle Feste mit wundersamen Sühnungen, Symbolisirungen und Offenbarungen, an denen nur Eingeweihte theilnehmen durften. Andentungen, wie es dabei zuging, giebt uns ein Wissender, welcher zu Korinth in die Verbrüderung auf¬ genommen worden war. „Höre", sagt er vorsichtig, „aber glaube, was davon wahr ist. Ich betrat das Gebiet des Todes, überschritt die Schwelle der Unterweltsgöttin, wurde durch alle Elemente hindurchgeführt. Daun zurück¬ gekehrt, sah ich um Mitternacht die Sonne im hellsten Glänze; ich sah Götter des Himmels und der Unterwelt gegenwärtig und betete sie in nächster Nähe an. Hiermit habe ich dir gesagt, was du, obwohl du es gehört hast, doch nicht begreifen darfst. Nun aber tönt ich dir berichten, was ich ohne Sünde anch den Uneingeweihten mittheilen darf. Der Morgen war angebrochen, und nach Vollendung heiliger Gebräuche trat ich vor, angethan mit zwölf leinenen Behängen. Dann mußte ich mitten im Tempel auf eine Bühne steigen, die vor dem Bilde der Göttin errichtet ist. Mich schmückte ein buntgeblümtes Gewand von feiner Leinwand, von meiner Schulter bis zu den Fersen herab wallte ein prachtvoller Mantel mit Thierbildern in verschiedenen Farben, in¬ dischen Drachen und nordlündischen Greifen. Dieser Mantel hieß der olympische Ueberwurf. In der rechten Hand trug ich eine Fackel, auf dem Haupte eine Krone von Palmenzweigen, deren Blätter gleich Strahlen hervorstanden. Dann fiel ein Vorhang, und ich wurde der versammelten Menge sichtbar. Dann folgte ein Festmahl, gleichsam zur Geburtsfeier meiner Einweihung, und am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/116>, abgerufen am 23.07.2024.