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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Im Keichseisenbaljnfrage.
Max Wirth.") Von

Ein besonderer Vorzug des Staatsbahnsystems in Beziehung auf die
Eigenthumsverhältnisse liegt darin, daß das Eisenbahnnetz rationeller aus¬
gebaut werden kann, daß folglich entbehrliche Concurrenz vermieden und da¬
durch Nationalkapital erspart wird. Das herrschende System der Concessio-
nirung verhütet zwar, daß Concurrenzbahnen dicht bei parallelstehenden angelegt
werden können. Hingegen verhindert es nicht, daß Eisenbahnen gleicher Rich¬
tung in solcher Entfernung angelegt werden, daß sie immer noch in einem ge¬
wissen Grade concnrrenzfähig bleiben. Der Nachtheil, welchen die längere
Linie gegenüber der kürzeren wegen der höheren Fracht erleidet, Pflegt dann
durch Differentialtarife ausgeglichen zu werden, welche, wie wir weiter unter
sehen werden, große Ungerechtigkeiten gegen die lokale Bevölkerung mit sich
bringen. Wir wissen, daß die Concurrenz, d. h. die echte freie Concurrenz
vieler Produzenten, wo solche möglich ist, allerdings eine bessere Bedienung
des Publikums zur Folge hat. Dieß kann aber keineswegs von der Concurrenz
der Eisenbahnen behauptet werden, welche der Natur der Sache nach in ihrem
Wettbewerb ans höchstens zwei oder drei Linien beschränkt bleiben muß. Denn
solche industrielle Wettkämpfe endigen, wie die ältere Erfahrung in Großbritannien
gelehrt hat, doch stets zuletzt mit der Verabredung der Concurrenten zum Nach¬
theil des Publikums. In manchen Fällen, wo die Anlegung einer zweiten
Concurrenzbahn gar nicht durch die Bedürfnisse des Verkehrs geboten war,
hat sie geradezu eine Kapitalvergeudung zur Folge, welche anderen rentableren
Erwerbszweigen die Betriebsmittel schmälert. Auch aus diesem Grunde hat
das Staatsbahnsystem einen großen Vorzug, weil der Staat sich mit den
vorhandenen Linien begnügen kann, so lange sie für den bestehenden Verkehr
ausreichen, weil er erst dann zur Anlage einer neuen Bahn in derselben
zu schreiten braucht, bis die alte mit zwei Geleisen versehen und nach und
nach vollkommen besetzt ist. Auch in der todten Last wird ans diese Weise
gespart und dadurch eine bessere Ausnutzung des Betriebsmaterials herbeige¬
führt. Diese ökonomische Zurathehaltung des Kapitals drückt auf den Zins¬
fuß und hat deshalb die Folge, daß die Betriebsmittel der anderen Industrie¬
zweige geschont werden, daß die Produktion stärker genährt wird, welche
dann rückwirkend auch den Eisenbahnen einen reichlicheren Personen- und
Güterverkehr zuführt.



-) Vgl. Grenzboten I87"i, III. Quartal, S. 281, 352, IV. Quartal S. 499.
Grenzboten I. 1877. 13
Im Keichseisenbaljnfrage.
Max Wirth.») Von

Ein besonderer Vorzug des Staatsbahnsystems in Beziehung auf die
Eigenthumsverhältnisse liegt darin, daß das Eisenbahnnetz rationeller aus¬
gebaut werden kann, daß folglich entbehrliche Concurrenz vermieden und da¬
durch Nationalkapital erspart wird. Das herrschende System der Concessio-
nirung verhütet zwar, daß Concurrenzbahnen dicht bei parallelstehenden angelegt
werden können. Hingegen verhindert es nicht, daß Eisenbahnen gleicher Rich¬
tung in solcher Entfernung angelegt werden, daß sie immer noch in einem ge¬
wissen Grade concnrrenzfähig bleiben. Der Nachtheil, welchen die längere
Linie gegenüber der kürzeren wegen der höheren Fracht erleidet, Pflegt dann
durch Differentialtarife ausgeglichen zu werden, welche, wie wir weiter unter
sehen werden, große Ungerechtigkeiten gegen die lokale Bevölkerung mit sich
bringen. Wir wissen, daß die Concurrenz, d. h. die echte freie Concurrenz
vieler Produzenten, wo solche möglich ist, allerdings eine bessere Bedienung
des Publikums zur Folge hat. Dieß kann aber keineswegs von der Concurrenz
der Eisenbahnen behauptet werden, welche der Natur der Sache nach in ihrem
Wettbewerb ans höchstens zwei oder drei Linien beschränkt bleiben muß. Denn
solche industrielle Wettkämpfe endigen, wie die ältere Erfahrung in Großbritannien
gelehrt hat, doch stets zuletzt mit der Verabredung der Concurrenten zum Nach¬
theil des Publikums. In manchen Fällen, wo die Anlegung einer zweiten
Concurrenzbahn gar nicht durch die Bedürfnisse des Verkehrs geboten war,
hat sie geradezu eine Kapitalvergeudung zur Folge, welche anderen rentableren
Erwerbszweigen die Betriebsmittel schmälert. Auch aus diesem Grunde hat
das Staatsbahnsystem einen großen Vorzug, weil der Staat sich mit den
vorhandenen Linien begnügen kann, so lange sie für den bestehenden Verkehr
ausreichen, weil er erst dann zur Anlage einer neuen Bahn in derselben
zu schreiten braucht, bis die alte mit zwei Geleisen versehen und nach und
nach vollkommen besetzt ist. Auch in der todten Last wird ans diese Weise
gespart und dadurch eine bessere Ausnutzung des Betriebsmaterials herbeige¬
führt. Diese ökonomische Zurathehaltung des Kapitals drückt auf den Zins¬
fuß und hat deshalb die Folge, daß die Betriebsmittel der anderen Industrie¬
zweige geschont werden, daß die Produktion stärker genährt wird, welche
dann rückwirkend auch den Eisenbahnen einen reichlicheren Personen- und
Güterverkehr zuführt.



-) Vgl. Grenzboten I87«i, III. Quartal, S. 281, 352, IV. Quartal S. 499.
Grenzboten I. 1877. 13
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[0105] Im Keichseisenbaljnfrage. Max Wirth.») Von Ein besonderer Vorzug des Staatsbahnsystems in Beziehung auf die Eigenthumsverhältnisse liegt darin, daß das Eisenbahnnetz rationeller aus¬ gebaut werden kann, daß folglich entbehrliche Concurrenz vermieden und da¬ durch Nationalkapital erspart wird. Das herrschende System der Concessio- nirung verhütet zwar, daß Concurrenzbahnen dicht bei parallelstehenden angelegt werden können. Hingegen verhindert es nicht, daß Eisenbahnen gleicher Rich¬ tung in solcher Entfernung angelegt werden, daß sie immer noch in einem ge¬ wissen Grade concnrrenzfähig bleiben. Der Nachtheil, welchen die längere Linie gegenüber der kürzeren wegen der höheren Fracht erleidet, Pflegt dann durch Differentialtarife ausgeglichen zu werden, welche, wie wir weiter unter sehen werden, große Ungerechtigkeiten gegen die lokale Bevölkerung mit sich bringen. Wir wissen, daß die Concurrenz, d. h. die echte freie Concurrenz vieler Produzenten, wo solche möglich ist, allerdings eine bessere Bedienung des Publikums zur Folge hat. Dieß kann aber keineswegs von der Concurrenz der Eisenbahnen behauptet werden, welche der Natur der Sache nach in ihrem Wettbewerb ans höchstens zwei oder drei Linien beschränkt bleiben muß. Denn solche industrielle Wettkämpfe endigen, wie die ältere Erfahrung in Großbritannien gelehrt hat, doch stets zuletzt mit der Verabredung der Concurrenten zum Nach¬ theil des Publikums. In manchen Fällen, wo die Anlegung einer zweiten Concurrenzbahn gar nicht durch die Bedürfnisse des Verkehrs geboten war, hat sie geradezu eine Kapitalvergeudung zur Folge, welche anderen rentableren Erwerbszweigen die Betriebsmittel schmälert. Auch aus diesem Grunde hat das Staatsbahnsystem einen großen Vorzug, weil der Staat sich mit den vorhandenen Linien begnügen kann, so lange sie für den bestehenden Verkehr ausreichen, weil er erst dann zur Anlage einer neuen Bahn in derselben zu schreiten braucht, bis die alte mit zwei Geleisen versehen und nach und nach vollkommen besetzt ist. Auch in der todten Last wird ans diese Weise gespart und dadurch eine bessere Ausnutzung des Betriebsmaterials herbeige¬ führt. Diese ökonomische Zurathehaltung des Kapitals drückt auf den Zins¬ fuß und hat deshalb die Folge, daß die Betriebsmittel der anderen Industrie¬ zweige geschont werden, daß die Produktion stärker genährt wird, welche dann rückwirkend auch den Eisenbahnen einen reichlicheren Personen- und Güterverkehr zuführt. -) Vgl. Grenzboten I87«i, III. Quartal, S. 281, 352, IV. Quartal S. 499. Grenzboten I. 1877. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/105>, abgerufen am 23.07.2024.