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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Diese neutrale Zone, englisch "upper Oxu" 8ta,es" genannt, so wie über¬
haupt das Verhältniß Englands zu Rußland findet eine Beurtheilung in dem
Werke: "Ein Versuch eines militärischen Ueberblicks über die Grenzen Ru߬
lands in Asien." Der Autor dieses Werkes, der russische Artillerie-Oberst
Wenjukow*), wirkliches Mitglied der k. russischen geographischen Gesell¬
schaft zu Petersburg, ist eine Autorität in Bezug ans die asiatischen Angelegen¬
heiten Rußlands; -- und dürfte es somit vielleicht nicht uninteressant sein,
wenn ich die eigenen Worte desselben hier noch folgen lasse: "Wenn die
Engländer nicht wünschen" -- schreibt Wenjukow -- "daß wir durch unser
Erscheinen am Indus Hindostan aufrührerisch machen, haben wir mit
nicht wenigerem Grunde das Recht zu verlangen, daß der politische
Einfluß der Engländer unter den Bewohnern Turkestans vollständig auf¬
höre. Das neutrale Gebiet ist aber danach angethan, namentlich zu einer
dieser Erscheinungen zu führen. Das ist der Grund, weshalb die Theorie des
"uxxer Oxus 8wee", ja auch eines Vasallen Englands, unter keiner Bedin¬
gung unsererseits zugelassen werden kann, um so weniger, da die Engländer mit
der Abhängigkeit von Afghanistan noch nicht zufrieden, anfange", Kafiristan
ihrer Macht unmittelbar zu unterstellen. Es liegt übrigens unter allen Um¬
ständen klar zu Tage, daß früher oder später die beiden Mächte -- Nußland
und England -- an der einzigen natürlichen Grenze, dem Hindukusch, in
gegenseitige Berührung kommen. Erfolgt diese Berührung auf friedliche Weise,
so verspricht sie für die ganze Welt große und wohlthätige Folgen. Wenn
aber eine der beiden Mächte durch unmäßige Forderungen, durch eine unauf¬
richtige Haltung oder durch irgend welche andere Effecte die gerechte Unzu¬
friedenheit der anderen erregt, so ist das Resultat ein Krieg, dessen verheerende
Folgen schwer vorauszusehen sind. Heben wir nur hervor, daß schon jetzt die
Engländer, um sich für den Erfolg in diesem Kriege möglichst große Chancen
zu schaffen, ihre Wacht über den Indus hinaus ausdehnen, und offen sagen,
daß nicht ostindische Truppen, sondern eine turkmenische Reiterei, von ge¬
schickten Offizieren geführt, Indien gegen Rußland vertheidigen wird."


Krahner.



") Oberst Wenjukow: Die russisch asiatischen Grenzlande. Aus dem Russischen übertragen
von Krahner, Hauptmann im Königl. Preuß. Großen Generolstabe, 1874. Leipzig, F. W.
Grunow.

Diese neutrale Zone, englisch „upper Oxu» 8ta,es" genannt, so wie über¬
haupt das Verhältniß Englands zu Rußland findet eine Beurtheilung in dem
Werke: „Ein Versuch eines militärischen Ueberblicks über die Grenzen Ru߬
lands in Asien." Der Autor dieses Werkes, der russische Artillerie-Oberst
Wenjukow*), wirkliches Mitglied der k. russischen geographischen Gesell¬
schaft zu Petersburg, ist eine Autorität in Bezug ans die asiatischen Angelegen¬
heiten Rußlands; — und dürfte es somit vielleicht nicht uninteressant sein,
wenn ich die eigenen Worte desselben hier noch folgen lasse: „Wenn die
Engländer nicht wünschen" — schreibt Wenjukow — „daß wir durch unser
Erscheinen am Indus Hindostan aufrührerisch machen, haben wir mit
nicht wenigerem Grunde das Recht zu verlangen, daß der politische
Einfluß der Engländer unter den Bewohnern Turkestans vollständig auf¬
höre. Das neutrale Gebiet ist aber danach angethan, namentlich zu einer
dieser Erscheinungen zu führen. Das ist der Grund, weshalb die Theorie des
«uxxer Oxus 8wee", ja auch eines Vasallen Englands, unter keiner Bedin¬
gung unsererseits zugelassen werden kann, um so weniger, da die Engländer mit
der Abhängigkeit von Afghanistan noch nicht zufrieden, anfange», Kafiristan
ihrer Macht unmittelbar zu unterstellen. Es liegt übrigens unter allen Um¬
ständen klar zu Tage, daß früher oder später die beiden Mächte — Nußland
und England — an der einzigen natürlichen Grenze, dem Hindukusch, in
gegenseitige Berührung kommen. Erfolgt diese Berührung auf friedliche Weise,
so verspricht sie für die ganze Welt große und wohlthätige Folgen. Wenn
aber eine der beiden Mächte durch unmäßige Forderungen, durch eine unauf¬
richtige Haltung oder durch irgend welche andere Effecte die gerechte Unzu¬
friedenheit der anderen erregt, so ist das Resultat ein Krieg, dessen verheerende
Folgen schwer vorauszusehen sind. Heben wir nur hervor, daß schon jetzt die
Engländer, um sich für den Erfolg in diesem Kriege möglichst große Chancen
zu schaffen, ihre Wacht über den Indus hinaus ausdehnen, und offen sagen,
daß nicht ostindische Truppen, sondern eine turkmenische Reiterei, von ge¬
schickten Offizieren geführt, Indien gegen Rußland vertheidigen wird."


Krahner.



") Oberst Wenjukow: Die russisch asiatischen Grenzlande. Aus dem Russischen übertragen
von Krahner, Hauptmann im Königl. Preuß. Großen Generolstabe, 1874. Leipzig, F. W.
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[0104] Diese neutrale Zone, englisch „upper Oxu» 8ta,es" genannt, so wie über¬ haupt das Verhältniß Englands zu Rußland findet eine Beurtheilung in dem Werke: „Ein Versuch eines militärischen Ueberblicks über die Grenzen Ru߬ lands in Asien." Der Autor dieses Werkes, der russische Artillerie-Oberst Wenjukow*), wirkliches Mitglied der k. russischen geographischen Gesell¬ schaft zu Petersburg, ist eine Autorität in Bezug ans die asiatischen Angelegen¬ heiten Rußlands; — und dürfte es somit vielleicht nicht uninteressant sein, wenn ich die eigenen Worte desselben hier noch folgen lasse: „Wenn die Engländer nicht wünschen" — schreibt Wenjukow — „daß wir durch unser Erscheinen am Indus Hindostan aufrührerisch machen, haben wir mit nicht wenigerem Grunde das Recht zu verlangen, daß der politische Einfluß der Engländer unter den Bewohnern Turkestans vollständig auf¬ höre. Das neutrale Gebiet ist aber danach angethan, namentlich zu einer dieser Erscheinungen zu führen. Das ist der Grund, weshalb die Theorie des «uxxer Oxus 8wee", ja auch eines Vasallen Englands, unter keiner Bedin¬ gung unsererseits zugelassen werden kann, um so weniger, da die Engländer mit der Abhängigkeit von Afghanistan noch nicht zufrieden, anfange», Kafiristan ihrer Macht unmittelbar zu unterstellen. Es liegt übrigens unter allen Um¬ ständen klar zu Tage, daß früher oder später die beiden Mächte — Nußland und England — an der einzigen natürlichen Grenze, dem Hindukusch, in gegenseitige Berührung kommen. Erfolgt diese Berührung auf friedliche Weise, so verspricht sie für die ganze Welt große und wohlthätige Folgen. Wenn aber eine der beiden Mächte durch unmäßige Forderungen, durch eine unauf¬ richtige Haltung oder durch irgend welche andere Effecte die gerechte Unzu¬ friedenheit der anderen erregt, so ist das Resultat ein Krieg, dessen verheerende Folgen schwer vorauszusehen sind. Heben wir nur hervor, daß schon jetzt die Engländer, um sich für den Erfolg in diesem Kriege möglichst große Chancen zu schaffen, ihre Wacht über den Indus hinaus ausdehnen, und offen sagen, daß nicht ostindische Truppen, sondern eine turkmenische Reiterei, von ge¬ schickten Offizieren geführt, Indien gegen Rußland vertheidigen wird." Krahner. ") Oberst Wenjukow: Die russisch asiatischen Grenzlande. Aus dem Russischen übertragen von Krahner, Hauptmann im Königl. Preuß. Großen Generolstabe, 1874. Leipzig, F. W. Grunow.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/104>, abgerufen am 23.07.2024.