Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

seitigen Parteihasse alte Stichwörter über die angebliche Herkunft aus der
Fremde, mit welcher die Bewohner der Urschweiz sich zu brüsten pflegten.
Den nächsten Anlaß dazu gab der Landschreiber von Schwyz. Johann Fründ,
mit seiner 1441 erschienenen Tendenzschrift "Vom Herkommen der Schwyzer."
In derselben erzählte er: Eine Hungersnoth hatte 6000 Schweden und 1200
Friesen genöthigt, mit Weib und Kind die Heimath zu verlassen und neue
Wohnsitze aufzusuchen. Sie schlugen si h tapfer durch und kamen in die da¬
mals noch unbewohnten Alpen, wo sie sich in der Gegend des Pilatus mit
Erlaubniß des Grafen von Habsburg, dem das Land gehörte, niederließen.
Unter ihren drei Häuptern Switerus, Remus und Wadislaus vertheilten sie
sich in die Landschaften Schwyz. Uri und Unterwalden-Hasli. Nach ihrer
alten Heimath Suetia nannten sie die neue Suitia. Bald wurden sie als
tüchtige Kriegsleute vom Papst und Kaiser gegen die durch einen abtrünnigen
Priester verführten Römer zu Hülfe gerufen, zogen mit des Gothenkönigs
Alarich Heere nach Rom, eroberten die Stadt, erschlugen die Heiden und
ernteten großen Ruhm. Statt des ihnen angebotenen Soldes verlangten sie
in ihrem Lande steuerfrei und einzig dem Kaiser unterworfen zu sein, und
da sie zum Schutze des Glaubens aufgebrochen waren, begehrten und erhielten
sie ein rothes Banner mit dem Zeichen des Kreuzes. Mit dieser Geschichte,
die ohne Zweifel aus dem 9. Buch der dänischen Chronik Saxo's abgeleitet
ist, war der Anfang der Schwyzer Freiheit in das fünfte Jahrhundert hin¬
aufgerückt und unmittelbar an das römische Reich geknüpft. In diesem Sinne
schrieb der Stand Schwyz während des erwähnten Streites mit Zürich an
die Reichsstände, um deren Parteinahme für Oesterreich abzuwenden, und
bald faßten die Fabeleien Fründ's in den Waldstätten allenthalben Wurzel.
Vergebens schrieb der Züricher Chorherr Felix Hemmerlin in seiner 14S0 voll
endeten, dem Herzog Albrecht von Oesterreich gewidmeten Schrift "ve iwbi-
liwto et rustieitÄte" dagegen. Sein Werk wimmelt von schimpflichen An¬
klagen und beleidigenden Anekdoten gegen die Urkantone. und in Betreff der
Einwanderungssage behauptet es, die Schwyzer seien Abkömmlinge der unter
Karl dem Großen in die Alpen deportirten heidnischen Sachsen und noch
ebenso roh und unchristltch, wie ihre Urväter. Ihren Namen trügen sie von
dem blutigen Schweiße, den sie in fremden Kriegsdiensten geschwitzt, und des¬
halb habe ihnen jener Kaiser die rothe Fahne zum Banner gegeben. Dem
Grafen von Habsburg, der ihnen Wohnsitze eingeräumt, hätten sie übel ge¬
dankt, indem sie seinen Vogt zu Lowerz erschlagen, sein Schloß zerstört hätten,
von der Herrschaft abgefallen seien und eine Eidgenossenschaft gestiftet hätten,
der die Nachbarn in Uri und Unterwalden dann beigetreten seien. Kurz, ihre
ganze Geschichte sei eine Kette von Empörungen und Freveln.


seitigen Parteihasse alte Stichwörter über die angebliche Herkunft aus der
Fremde, mit welcher die Bewohner der Urschweiz sich zu brüsten pflegten.
Den nächsten Anlaß dazu gab der Landschreiber von Schwyz. Johann Fründ,
mit seiner 1441 erschienenen Tendenzschrift „Vom Herkommen der Schwyzer."
In derselben erzählte er: Eine Hungersnoth hatte 6000 Schweden und 1200
Friesen genöthigt, mit Weib und Kind die Heimath zu verlassen und neue
Wohnsitze aufzusuchen. Sie schlugen si h tapfer durch und kamen in die da¬
mals noch unbewohnten Alpen, wo sie sich in der Gegend des Pilatus mit
Erlaubniß des Grafen von Habsburg, dem das Land gehörte, niederließen.
Unter ihren drei Häuptern Switerus, Remus und Wadislaus vertheilten sie
sich in die Landschaften Schwyz. Uri und Unterwalden-Hasli. Nach ihrer
alten Heimath Suetia nannten sie die neue Suitia. Bald wurden sie als
tüchtige Kriegsleute vom Papst und Kaiser gegen die durch einen abtrünnigen
Priester verführten Römer zu Hülfe gerufen, zogen mit des Gothenkönigs
Alarich Heere nach Rom, eroberten die Stadt, erschlugen die Heiden und
ernteten großen Ruhm. Statt des ihnen angebotenen Soldes verlangten sie
in ihrem Lande steuerfrei und einzig dem Kaiser unterworfen zu sein, und
da sie zum Schutze des Glaubens aufgebrochen waren, begehrten und erhielten
sie ein rothes Banner mit dem Zeichen des Kreuzes. Mit dieser Geschichte,
die ohne Zweifel aus dem 9. Buch der dänischen Chronik Saxo's abgeleitet
ist, war der Anfang der Schwyzer Freiheit in das fünfte Jahrhundert hin¬
aufgerückt und unmittelbar an das römische Reich geknüpft. In diesem Sinne
schrieb der Stand Schwyz während des erwähnten Streites mit Zürich an
die Reichsstände, um deren Parteinahme für Oesterreich abzuwenden, und
bald faßten die Fabeleien Fründ's in den Waldstätten allenthalben Wurzel.
Vergebens schrieb der Züricher Chorherr Felix Hemmerlin in seiner 14S0 voll
endeten, dem Herzog Albrecht von Oesterreich gewidmeten Schrift „ve iwbi-
liwto et rustieitÄte" dagegen. Sein Werk wimmelt von schimpflichen An¬
klagen und beleidigenden Anekdoten gegen die Urkantone. und in Betreff der
Einwanderungssage behauptet es, die Schwyzer seien Abkömmlinge der unter
Karl dem Großen in die Alpen deportirten heidnischen Sachsen und noch
ebenso roh und unchristltch, wie ihre Urväter. Ihren Namen trügen sie von
dem blutigen Schweiße, den sie in fremden Kriegsdiensten geschwitzt, und des¬
halb habe ihnen jener Kaiser die rothe Fahne zum Banner gegeben. Dem
Grafen von Habsburg, der ihnen Wohnsitze eingeräumt, hätten sie übel ge¬
dankt, indem sie seinen Vogt zu Lowerz erschlagen, sein Schloß zerstört hätten,
von der Herrschaft abgefallen seien und eine Eidgenossenschaft gestiftet hätten,
der die Nachbarn in Uri und Unterwalden dann beigetreten seien. Kurz, ihre
ganze Geschichte sei eine Kette von Empörungen und Freveln.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136733"/>
          <p xml:id="ID_252" prev="#ID_251"> seitigen Parteihasse alte Stichwörter über die angebliche Herkunft aus der<lb/>
Fremde, mit welcher die Bewohner der Urschweiz sich zu brüsten pflegten.<lb/>
Den nächsten Anlaß dazu gab der Landschreiber von Schwyz. Johann Fründ,<lb/>
mit seiner 1441 erschienenen Tendenzschrift &#x201E;Vom Herkommen der Schwyzer."<lb/>
In derselben erzählte er: Eine Hungersnoth hatte 6000 Schweden und 1200<lb/>
Friesen genöthigt, mit Weib und Kind die Heimath zu verlassen und neue<lb/>
Wohnsitze aufzusuchen. Sie schlugen si h tapfer durch und kamen in die da¬<lb/>
mals noch unbewohnten Alpen, wo sie sich in der Gegend des Pilatus mit<lb/>
Erlaubniß des Grafen von Habsburg, dem das Land gehörte, niederließen.<lb/>
Unter ihren drei Häuptern Switerus, Remus und Wadislaus vertheilten sie<lb/>
sich in die Landschaften Schwyz. Uri und Unterwalden-Hasli. Nach ihrer<lb/>
alten Heimath Suetia nannten sie die neue Suitia. Bald wurden sie als<lb/>
tüchtige Kriegsleute vom Papst und Kaiser gegen die durch einen abtrünnigen<lb/>
Priester verführten Römer zu Hülfe gerufen, zogen mit des Gothenkönigs<lb/>
Alarich Heere nach Rom, eroberten die Stadt, erschlugen die Heiden und<lb/>
ernteten großen Ruhm. Statt des ihnen angebotenen Soldes verlangten sie<lb/>
in ihrem Lande steuerfrei und einzig dem Kaiser unterworfen zu sein, und<lb/>
da sie zum Schutze des Glaubens aufgebrochen waren, begehrten und erhielten<lb/>
sie ein rothes Banner mit dem Zeichen des Kreuzes. Mit dieser Geschichte,<lb/>
die ohne Zweifel aus dem 9. Buch der dänischen Chronik Saxo's abgeleitet<lb/>
ist, war der Anfang der Schwyzer Freiheit in das fünfte Jahrhundert hin¬<lb/>
aufgerückt und unmittelbar an das römische Reich geknüpft. In diesem Sinne<lb/>
schrieb der Stand Schwyz während des erwähnten Streites mit Zürich an<lb/>
die Reichsstände, um deren Parteinahme für Oesterreich abzuwenden, und<lb/>
bald faßten die Fabeleien Fründ's in den Waldstätten allenthalben Wurzel.<lb/>
Vergebens schrieb der Züricher Chorherr Felix Hemmerlin in seiner 14S0 voll<lb/>
endeten, dem Herzog Albrecht von Oesterreich gewidmeten Schrift &#x201E;ve iwbi-<lb/>
liwto et rustieitÄte" dagegen. Sein Werk wimmelt von schimpflichen An¬<lb/>
klagen und beleidigenden Anekdoten gegen die Urkantone. und in Betreff der<lb/>
Einwanderungssage behauptet es, die Schwyzer seien Abkömmlinge der unter<lb/>
Karl dem Großen in die Alpen deportirten heidnischen Sachsen und noch<lb/>
ebenso roh und unchristltch, wie ihre Urväter. Ihren Namen trügen sie von<lb/>
dem blutigen Schweiße, den sie in fremden Kriegsdiensten geschwitzt, und des¬<lb/>
halb habe ihnen jener Kaiser die rothe Fahne zum Banner gegeben. Dem<lb/>
Grafen von Habsburg, der ihnen Wohnsitze eingeräumt, hätten sie übel ge¬<lb/>
dankt, indem sie seinen Vogt zu Lowerz erschlagen, sein Schloß zerstört hätten,<lb/>
von der Herrschaft abgefallen seien und eine Eidgenossenschaft gestiftet hätten,<lb/>
der die Nachbarn in Uri und Unterwalden dann beigetreten seien. Kurz, ihre<lb/>
ganze Geschichte sei eine Kette von Empörungen und Freveln.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] seitigen Parteihasse alte Stichwörter über die angebliche Herkunft aus der Fremde, mit welcher die Bewohner der Urschweiz sich zu brüsten pflegten. Den nächsten Anlaß dazu gab der Landschreiber von Schwyz. Johann Fründ, mit seiner 1441 erschienenen Tendenzschrift „Vom Herkommen der Schwyzer." In derselben erzählte er: Eine Hungersnoth hatte 6000 Schweden und 1200 Friesen genöthigt, mit Weib und Kind die Heimath zu verlassen und neue Wohnsitze aufzusuchen. Sie schlugen si h tapfer durch und kamen in die da¬ mals noch unbewohnten Alpen, wo sie sich in der Gegend des Pilatus mit Erlaubniß des Grafen von Habsburg, dem das Land gehörte, niederließen. Unter ihren drei Häuptern Switerus, Remus und Wadislaus vertheilten sie sich in die Landschaften Schwyz. Uri und Unterwalden-Hasli. Nach ihrer alten Heimath Suetia nannten sie die neue Suitia. Bald wurden sie als tüchtige Kriegsleute vom Papst und Kaiser gegen die durch einen abtrünnigen Priester verführten Römer zu Hülfe gerufen, zogen mit des Gothenkönigs Alarich Heere nach Rom, eroberten die Stadt, erschlugen die Heiden und ernteten großen Ruhm. Statt des ihnen angebotenen Soldes verlangten sie in ihrem Lande steuerfrei und einzig dem Kaiser unterworfen zu sein, und da sie zum Schutze des Glaubens aufgebrochen waren, begehrten und erhielten sie ein rothes Banner mit dem Zeichen des Kreuzes. Mit dieser Geschichte, die ohne Zweifel aus dem 9. Buch der dänischen Chronik Saxo's abgeleitet ist, war der Anfang der Schwyzer Freiheit in das fünfte Jahrhundert hin¬ aufgerückt und unmittelbar an das römische Reich geknüpft. In diesem Sinne schrieb der Stand Schwyz während des erwähnten Streites mit Zürich an die Reichsstände, um deren Parteinahme für Oesterreich abzuwenden, und bald faßten die Fabeleien Fründ's in den Waldstätten allenthalben Wurzel. Vergebens schrieb der Züricher Chorherr Felix Hemmerlin in seiner 14S0 voll endeten, dem Herzog Albrecht von Oesterreich gewidmeten Schrift „ve iwbi- liwto et rustieitÄte" dagegen. Sein Werk wimmelt von schimpflichen An¬ klagen und beleidigenden Anekdoten gegen die Urkantone. und in Betreff der Einwanderungssage behauptet es, die Schwyzer seien Abkömmlinge der unter Karl dem Großen in die Alpen deportirten heidnischen Sachsen und noch ebenso roh und unchristltch, wie ihre Urväter. Ihren Namen trügen sie von dem blutigen Schweiße, den sie in fremden Kriegsdiensten geschwitzt, und des¬ halb habe ihnen jener Kaiser die rothe Fahne zum Banner gegeben. Dem Grafen von Habsburg, der ihnen Wohnsitze eingeräumt, hätten sie übel ge¬ dankt, indem sie seinen Vogt zu Lowerz erschlagen, sein Schloß zerstört hätten, von der Herrschaft abgefallen seien und eine Eidgenossenschaft gestiftet hätten, der die Nachbarn in Uri und Unterwalden dann beigetreten seien. Kurz, ihre ganze Geschichte sei eine Kette von Empörungen und Freveln.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/94>, abgerufen am 27.09.2024.