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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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waren, traten sie beide frühzeitig in das hessische Jägerbataillon, damals
"Jägercorps" genannt, welches nur aus gelernten Jägern, meist Söhnen von
Forstbeamten, bestand und sich durch seine Tapferkeit im siebenjährigen Krieg,
bei der Erstürmung des von Franzosen besetzten Frankfurt (1792) und in
dem gegen die französische Republik geführten sog. Brabanter Krieg (1793
und 94) rühmlich hervorgethan hat. Beide Brüder Grau verheiratheten sich
dann mit den beiden einzigen Töchtern des Oberförsters Böttger zu Kirch-
ditmold, des Nachfolgers ihres Vaters, und der ältere von ihnen wurde in
Folge dessen Adjunct seines Schwiegervaters und später, nach dessen Tod,
Oberförster zu Kirchditmold. Als solcher hat er in der Geschichte der hessischen
Jägerei eine gewisse Berühmtheit erlangt; zahlreiche, noch jetzt im Munde des
Volkes fortlebende Anecdoten geben davon Zeugniß, welch' eine populäre Ge¬
stalt der "alte Oberförster Grau" im Hessenlande war. Er war ein großer
stattlicher Mann von schönen Gesichtszügen, nach Leib und Seele das Muster
eines alten Hessen von echtem Schrot und Korn.

Kurz nach der Verheirathung beider Brüder brach der siebenjährige Krieg
aus. In diesem gehörte bekanntlich der Landgraf von Hessen-Kassel zu den
wenigen Bundesgenossen des großen Preußenkönigs, welche diesem in seinem
heldenmüthigen Kampf gegen das verbündete Europa beistanden. Durch den
Ausbruch des Krieges wurden beide Brüder als junge Förster gezwungen,
wieder in das hessische Jägercorps einzutreten, und in diesem machten sie den
ganzen siebenjährigen Krieg, unter Führung des tapferen Herzogs Ferdinand
von Braunschweig, von Anfang bis zu Ende mit, während ihre beiden Frauen
in dem elterlichen Försterhaus zu Kirchditmold verblieben. Aus den Kriegs-
ereignisien jener Zeit heben sich hauptsächlich drei Begebenheiten heraus, bei
welchen die Gebrüder Grau eine Rolle spielten.

Die Franzosen hatten sich in den Besitz von Kassel gesetzt und auf dem
nahegelegenen Kratzenberg ein verschanztes Lager angelegt. Ihre Vorposten
lagen in dem Dorfe Kirchditmold, dessen Friedhof von ihnen befestigt worden
war. Eines Abends lagerte auf dem dortigen Försterhof um ein mächtiges
Bivouakfeuer eine französische Grenadier-Compagnie, und der Hauptmann
derselben saß gerade mit dem Schwiegervater der Gebrüder Grau, dem Ober¬
förster Böttger. beim Schach. Da machten plötzlich die hessischen Jäger, von
dem benachbarten Dorf Hohenktrchen herkommend, den Versuch. Kirchditmold
zu überrumpeln, wobei die Gebrüder Grau die ortskundigen Führer abgaben.
In dunkler Nacht überstiegen die Jäger die Hecken des am äußersten Ende
des Dorfes gelegenen Försterhauses und griffen die auf dem Hof liegenden,
völlig arglosen Franzosen, ohne einen Schuß zu thun, mit aufgepflanzten
Hirschfänger an. Ein wildes Handgemenge beginnt, in' welchem der fran¬
zösische Hauptmann mit der Mehrzahl seiner Leute niedergestochen wird.


Grenzboten UI. 1876. 10

waren, traten sie beide frühzeitig in das hessische Jägerbataillon, damals
„Jägercorps" genannt, welches nur aus gelernten Jägern, meist Söhnen von
Forstbeamten, bestand und sich durch seine Tapferkeit im siebenjährigen Krieg,
bei der Erstürmung des von Franzosen besetzten Frankfurt (1792) und in
dem gegen die französische Republik geführten sog. Brabanter Krieg (1793
und 94) rühmlich hervorgethan hat. Beide Brüder Grau verheiratheten sich
dann mit den beiden einzigen Töchtern des Oberförsters Böttger zu Kirch-
ditmold, des Nachfolgers ihres Vaters, und der ältere von ihnen wurde in
Folge dessen Adjunct seines Schwiegervaters und später, nach dessen Tod,
Oberförster zu Kirchditmold. Als solcher hat er in der Geschichte der hessischen
Jägerei eine gewisse Berühmtheit erlangt; zahlreiche, noch jetzt im Munde des
Volkes fortlebende Anecdoten geben davon Zeugniß, welch' eine populäre Ge¬
stalt der „alte Oberförster Grau" im Hessenlande war. Er war ein großer
stattlicher Mann von schönen Gesichtszügen, nach Leib und Seele das Muster
eines alten Hessen von echtem Schrot und Korn.

Kurz nach der Verheirathung beider Brüder brach der siebenjährige Krieg
aus. In diesem gehörte bekanntlich der Landgraf von Hessen-Kassel zu den
wenigen Bundesgenossen des großen Preußenkönigs, welche diesem in seinem
heldenmüthigen Kampf gegen das verbündete Europa beistanden. Durch den
Ausbruch des Krieges wurden beide Brüder als junge Förster gezwungen,
wieder in das hessische Jägercorps einzutreten, und in diesem machten sie den
ganzen siebenjährigen Krieg, unter Führung des tapferen Herzogs Ferdinand
von Braunschweig, von Anfang bis zu Ende mit, während ihre beiden Frauen
in dem elterlichen Försterhaus zu Kirchditmold verblieben. Aus den Kriegs-
ereignisien jener Zeit heben sich hauptsächlich drei Begebenheiten heraus, bei
welchen die Gebrüder Grau eine Rolle spielten.

Die Franzosen hatten sich in den Besitz von Kassel gesetzt und auf dem
nahegelegenen Kratzenberg ein verschanztes Lager angelegt. Ihre Vorposten
lagen in dem Dorfe Kirchditmold, dessen Friedhof von ihnen befestigt worden
war. Eines Abends lagerte auf dem dortigen Försterhof um ein mächtiges
Bivouakfeuer eine französische Grenadier-Compagnie, und der Hauptmann
derselben saß gerade mit dem Schwiegervater der Gebrüder Grau, dem Ober¬
förster Böttger. beim Schach. Da machten plötzlich die hessischen Jäger, von
dem benachbarten Dorf Hohenktrchen herkommend, den Versuch. Kirchditmold
zu überrumpeln, wobei die Gebrüder Grau die ortskundigen Führer abgaben.
In dunkler Nacht überstiegen die Jäger die Hecken des am äußersten Ende
des Dorfes gelegenen Försterhauses und griffen die auf dem Hof liegenden,
völlig arglosen Franzosen, ohne einen Schuß zu thun, mit aufgepflanzten
Hirschfänger an. Ein wildes Handgemenge beginnt, in' welchem der fran¬
zösische Hauptmann mit der Mehrzahl seiner Leute niedergestochen wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/77>, abgerufen am 27.09.2024.