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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Der Büschel heißt der "Fergodentheel", d. ist Fro Woden's oder Herrn
Wuotan's Antheil, die Ceremonie wird der "Erntesegen", der Schmaus, der
dann den Knechten und Tagelöhnern gegeben wird, "Wodelbier" genannt.
Wir haben hier also ganz offenbar ein Opfer und ein Gebet vor uns, bei
welchem Wuotan, der alte Himmelsgott und Erntespender, sogar noch ge¬
nannt wird, und bei dem auch die heidnische Libation nicht fehlt. Sehr ähnlich
ist der im Lippeschen und Hessischen noch hier und da vorkommende Gebrauch,
nach welchem die Schnitter die letzte Garbe, durch die sie einen blumenbe¬
kränzten Stab gesteckt, umtanzen und, dazu an die Sensen schlagend, "Wänden!
Wänden! Wänden!" rufen. Ebenfalls ganz deutlich haben wir das alt¬
deutsche Heidenthum vor den Augen, wenn noch zu Ende des vorigen Jahr¬
hunderts die Erntearbeiter im Schaumburgischen, unmittelbar nachdem die
letzte Garbe gebunden war, den Acker mit Bier begossen, sich entblößten
Hauptes um jene, den "Waulroggen", sammelten und tanzend eine alte Weise
sangen, welche hochdeutsch lautet:


"Wode, Wode, Mode!
Himmelsriese weiß, was geschieht,
Immer nieder vom Himmel sieht.
Volle Krüge und Garben hat er,
Auch im Wald wächst's mannigfalt.
Er ist nicht geboren und wird nicht alt.
Wode, Wode. Wode!"

Aus Süddeutschland gehört eine bayerische Sitte hierher, nach welcher
die stehengelassenen Roggenhalme zu einer Menschengestalt zusammengebunden
und mit Blumen geschmückt werden. Vor dieser Puppe, welche .Oswalo"
(vielleicht der Asenwalter, der Götterherrscher) heißt, fallen die Mäher auf
die Knie und beten: "Heiliger Oswald, wir danken dir, daß wir uns nicht
geschnitten haben." In Franken, Schwaben und wieder im norddeutschen
Westphalen ist der Gott noch mehr verblaßt, die Auszeichnung der letzten
Garbe aber geblieben. In Franken heißt das geschmückte Aehrenbündel der
"Otte" und man umtanzt es mit dem Reim:


"O heiliger Sanct Maha,
Bescher über's Jahr mea!
So viel Köppla, so viel Schockla,
So viel Aehrla, so viel Jährla."

In der Gegend von schwäbisch Gmünd und Ulm kniet der Bauer,
bevor er die Winterfrucht schneidet, mit seinen Leuten auf freiem Felde nieder
und betet fünf Vaterunser und einen Glauben. Auf dem letzten Acker aber
läßt man an einer vorher schon bezeichneten Stelle einige Halme stehen, steckt


Der Büschel heißt der „Fergodentheel", d. ist Fro Woden's oder Herrn
Wuotan's Antheil, die Ceremonie wird der „Erntesegen", der Schmaus, der
dann den Knechten und Tagelöhnern gegeben wird, „Wodelbier" genannt.
Wir haben hier also ganz offenbar ein Opfer und ein Gebet vor uns, bei
welchem Wuotan, der alte Himmelsgott und Erntespender, sogar noch ge¬
nannt wird, und bei dem auch die heidnische Libation nicht fehlt. Sehr ähnlich
ist der im Lippeschen und Hessischen noch hier und da vorkommende Gebrauch,
nach welchem die Schnitter die letzte Garbe, durch die sie einen blumenbe¬
kränzten Stab gesteckt, umtanzen und, dazu an die Sensen schlagend, „Wänden!
Wänden! Wänden!" rufen. Ebenfalls ganz deutlich haben wir das alt¬
deutsche Heidenthum vor den Augen, wenn noch zu Ende des vorigen Jahr¬
hunderts die Erntearbeiter im Schaumburgischen, unmittelbar nachdem die
letzte Garbe gebunden war, den Acker mit Bier begossen, sich entblößten
Hauptes um jene, den „Waulroggen", sammelten und tanzend eine alte Weise
sangen, welche hochdeutsch lautet:


„Wode, Wode, Mode!
Himmelsriese weiß, was geschieht,
Immer nieder vom Himmel sieht.
Volle Krüge und Garben hat er,
Auch im Wald wächst's mannigfalt.
Er ist nicht geboren und wird nicht alt.
Wode, Wode. Wode!"

Aus Süddeutschland gehört eine bayerische Sitte hierher, nach welcher
die stehengelassenen Roggenhalme zu einer Menschengestalt zusammengebunden
und mit Blumen geschmückt werden. Vor dieser Puppe, welche .Oswalo"
(vielleicht der Asenwalter, der Götterherrscher) heißt, fallen die Mäher auf
die Knie und beten: „Heiliger Oswald, wir danken dir, daß wir uns nicht
geschnitten haben." In Franken, Schwaben und wieder im norddeutschen
Westphalen ist der Gott noch mehr verblaßt, die Auszeichnung der letzten
Garbe aber geblieben. In Franken heißt das geschmückte Aehrenbündel der
„Otte" und man umtanzt es mit dem Reim:


„O heiliger Sanct Maha,
Bescher über's Jahr mea!
So viel Köppla, so viel Schockla,
So viel Aehrla, so viel Jährla."

In der Gegend von schwäbisch Gmünd und Ulm kniet der Bauer,
bevor er die Winterfrucht schneidet, mit seinen Leuten auf freiem Felde nieder
und betet fünf Vaterunser und einen Glauben. Auf dem letzten Acker aber
läßt man an einer vorher schon bezeichneten Stelle einige Halme stehen, steckt


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[0066] Der Büschel heißt der „Fergodentheel", d. ist Fro Woden's oder Herrn Wuotan's Antheil, die Ceremonie wird der „Erntesegen", der Schmaus, der dann den Knechten und Tagelöhnern gegeben wird, „Wodelbier" genannt. Wir haben hier also ganz offenbar ein Opfer und ein Gebet vor uns, bei welchem Wuotan, der alte Himmelsgott und Erntespender, sogar noch ge¬ nannt wird, und bei dem auch die heidnische Libation nicht fehlt. Sehr ähnlich ist der im Lippeschen und Hessischen noch hier und da vorkommende Gebrauch, nach welchem die Schnitter die letzte Garbe, durch die sie einen blumenbe¬ kränzten Stab gesteckt, umtanzen und, dazu an die Sensen schlagend, „Wänden! Wänden! Wänden!" rufen. Ebenfalls ganz deutlich haben wir das alt¬ deutsche Heidenthum vor den Augen, wenn noch zu Ende des vorigen Jahr¬ hunderts die Erntearbeiter im Schaumburgischen, unmittelbar nachdem die letzte Garbe gebunden war, den Acker mit Bier begossen, sich entblößten Hauptes um jene, den „Waulroggen", sammelten und tanzend eine alte Weise sangen, welche hochdeutsch lautet: „Wode, Wode, Mode! Himmelsriese weiß, was geschieht, Immer nieder vom Himmel sieht. Volle Krüge und Garben hat er, Auch im Wald wächst's mannigfalt. Er ist nicht geboren und wird nicht alt. Wode, Wode. Wode!" Aus Süddeutschland gehört eine bayerische Sitte hierher, nach welcher die stehengelassenen Roggenhalme zu einer Menschengestalt zusammengebunden und mit Blumen geschmückt werden. Vor dieser Puppe, welche .Oswalo" (vielleicht der Asenwalter, der Götterherrscher) heißt, fallen die Mäher auf die Knie und beten: „Heiliger Oswald, wir danken dir, daß wir uns nicht geschnitten haben." In Franken, Schwaben und wieder im norddeutschen Westphalen ist der Gott noch mehr verblaßt, die Auszeichnung der letzten Garbe aber geblieben. In Franken heißt das geschmückte Aehrenbündel der „Otte" und man umtanzt es mit dem Reim: „O heiliger Sanct Maha, Bescher über's Jahr mea! So viel Köppla, so viel Schockla, So viel Aehrla, so viel Jährla." In der Gegend von schwäbisch Gmünd und Ulm kniet der Bauer, bevor er die Winterfrucht schneidet, mit seinen Leuten auf freiem Felde nieder und betet fünf Vaterunser und einen Glauben. Auf dem letzten Acker aber läßt man an einer vorher schon bezeichneten Stelle einige Halme stehen, steckt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/66>, abgerufen am 27.09.2024.