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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Zum Glück war der kühne Gewölbebau der Annenkirche schon das Jahr
vorher vollendet worden, übrigens scheint sich an den Zorn des Straßburger
Meisters niemand gekehrt zu haben. Eine Beschreibung der Kirche und ihres bild¬
nerischen Schmuckes hat Puttrich (Lfg. 19 und 20, S. 32 fg.), eine sehr eingehende
wiederum Waagen (S. 29--SO) gegeben. Hier mögen nur wenige Notizen
herausgehoben sein, die für die bei Andreas abgebildeten Tafeln von Wichtig¬
keit sind. Die auf Tafel 19 wiedergegebene "Goldene Pforte" gehörte
ursprünglich zu dem um 1302--1512 durch Georg den Bärtigen erbauten
Franciskanerkloster und wurde 1577 -- nicht 1604, wie der Herausgeber
angiebt -- zum Schmucke der inneren Seite eines Einganges der Annenkirche
verwendet. Sie ist ein Werk des spätgothischen Stils und reich an bedeutendem
Seulpturenschmuck. Wenn Andreas davon fabelt, daß sie "das Eindringen
der Renaissance in lustiger Weise zeigt", so liegt hier eine sehr wenig lustige
Verwechslung vor mit der alten Sacristeithür vom Jahre 1522, die allerdings
eine reizvolle Mischung von gothischen und Renaissancemotiven bietet. Die
Inschriften an der "Goldenen Pforte" zu lesen und uns mitzutheilen, hat
Andreas sich wieder erlassen. Der Hauptaltar der Annenkirche (Tafel 20),
der in Rundwerken den Stammbaum Christi darstellt, welcher von der Brust
des zuunterst liegenden Abraham ausgeht, ist ein Werk des Augsburger
Bildschnitzers Adolf Dowher und wurde 1522 aufgestellt. Die Sculp-
turen bestehen sämmtlich aus Solenhofer Stein und sind auf einem Grund
von röthlichem Marmor aufgesetzt. Er ist doppelt interessant, als das
früheste nachweisbare Marmorkunstwerk und zugleich als das älteste Denkmal
durchgeführter Renaissanceseulvtur auf sächsischem Boden.*) Der von der
Bergknappschaft errichtete reiche Flügelaltar (Tafel 21) stammt aus dem
Jahre 1521. Zu den merkwürdigsten Partieen des bildnerischen Schmuckes
der Kirche gehört eine Folge von nicht weniger als hundert, früher bunt
bemalter und vergoldeter, jetzt zum größten Theil bronzirter Sandsteinreliefs,
welche rings um die Brüstung der Empore umlaufen, und von denen die
ersten zwanzig in humoristischer Weise die Lebensalter der beiden Geschlechter
vom zehnten bis zum hundertsten Jahre, die übrigen achtzig -- eine in dieser
Ausdehnung einzig dastehende Serie -- die ganze heilige Geschichte von Er¬
schaffung der Welt bis zum jüngsten Gerichte darstellen. Als Verfertiger
dieser Reliefs wird der Steinmetz Theophilus Ehrenfried genannt,
neben ihm als Mitarbeiter Jacob Hellwig und Franz von Magdeburg;
ebenso wird berichtet, daß Hans von Kalba und Balthasar Müller 1522
die Reliefs gemalt, 1524 "illuminirt und mit Gold überzogen" haben. Im
einzelnen hat Waagen auch in diesen Reliefs Dürer'sche Motive nachgewiesen.



") Vgl. Jul. Schmidt im Archiv für die sächsische Geschichte XI, S. 83.

Zum Glück war der kühne Gewölbebau der Annenkirche schon das Jahr
vorher vollendet worden, übrigens scheint sich an den Zorn des Straßburger
Meisters niemand gekehrt zu haben. Eine Beschreibung der Kirche und ihres bild¬
nerischen Schmuckes hat Puttrich (Lfg. 19 und 20, S. 32 fg.), eine sehr eingehende
wiederum Waagen (S. 29—SO) gegeben. Hier mögen nur wenige Notizen
herausgehoben sein, die für die bei Andreas abgebildeten Tafeln von Wichtig¬
keit sind. Die auf Tafel 19 wiedergegebene „Goldene Pforte" gehörte
ursprünglich zu dem um 1302—1512 durch Georg den Bärtigen erbauten
Franciskanerkloster und wurde 1577 — nicht 1604, wie der Herausgeber
angiebt — zum Schmucke der inneren Seite eines Einganges der Annenkirche
verwendet. Sie ist ein Werk des spätgothischen Stils und reich an bedeutendem
Seulpturenschmuck. Wenn Andreas davon fabelt, daß sie „das Eindringen
der Renaissance in lustiger Weise zeigt", so liegt hier eine sehr wenig lustige
Verwechslung vor mit der alten Sacristeithür vom Jahre 1522, die allerdings
eine reizvolle Mischung von gothischen und Renaissancemotiven bietet. Die
Inschriften an der „Goldenen Pforte" zu lesen und uns mitzutheilen, hat
Andreas sich wieder erlassen. Der Hauptaltar der Annenkirche (Tafel 20),
der in Rundwerken den Stammbaum Christi darstellt, welcher von der Brust
des zuunterst liegenden Abraham ausgeht, ist ein Werk des Augsburger
Bildschnitzers Adolf Dowher und wurde 1522 aufgestellt. Die Sculp-
turen bestehen sämmtlich aus Solenhofer Stein und sind auf einem Grund
von röthlichem Marmor aufgesetzt. Er ist doppelt interessant, als das
früheste nachweisbare Marmorkunstwerk und zugleich als das älteste Denkmal
durchgeführter Renaissanceseulvtur auf sächsischem Boden.*) Der von der
Bergknappschaft errichtete reiche Flügelaltar (Tafel 21) stammt aus dem
Jahre 1521. Zu den merkwürdigsten Partieen des bildnerischen Schmuckes
der Kirche gehört eine Folge von nicht weniger als hundert, früher bunt
bemalter und vergoldeter, jetzt zum größten Theil bronzirter Sandsteinreliefs,
welche rings um die Brüstung der Empore umlaufen, und von denen die
ersten zwanzig in humoristischer Weise die Lebensalter der beiden Geschlechter
vom zehnten bis zum hundertsten Jahre, die übrigen achtzig — eine in dieser
Ausdehnung einzig dastehende Serie — die ganze heilige Geschichte von Er¬
schaffung der Welt bis zum jüngsten Gerichte darstellen. Als Verfertiger
dieser Reliefs wird der Steinmetz Theophilus Ehrenfried genannt,
neben ihm als Mitarbeiter Jacob Hellwig und Franz von Magdeburg;
ebenso wird berichtet, daß Hans von Kalba und Balthasar Müller 1522
die Reliefs gemalt, 1524 „illuminirt und mit Gold überzogen" haben. Im
einzelnen hat Waagen auch in diesen Reliefs Dürer'sche Motive nachgewiesen.



") Vgl. Jul. Schmidt im Archiv für die sächsische Geschichte XI, S. 83.
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[0499] Zum Glück war der kühne Gewölbebau der Annenkirche schon das Jahr vorher vollendet worden, übrigens scheint sich an den Zorn des Straßburger Meisters niemand gekehrt zu haben. Eine Beschreibung der Kirche und ihres bild¬ nerischen Schmuckes hat Puttrich (Lfg. 19 und 20, S. 32 fg.), eine sehr eingehende wiederum Waagen (S. 29—SO) gegeben. Hier mögen nur wenige Notizen herausgehoben sein, die für die bei Andreas abgebildeten Tafeln von Wichtig¬ keit sind. Die auf Tafel 19 wiedergegebene „Goldene Pforte" gehörte ursprünglich zu dem um 1302—1512 durch Georg den Bärtigen erbauten Franciskanerkloster und wurde 1577 — nicht 1604, wie der Herausgeber angiebt — zum Schmucke der inneren Seite eines Einganges der Annenkirche verwendet. Sie ist ein Werk des spätgothischen Stils und reich an bedeutendem Seulpturenschmuck. Wenn Andreas davon fabelt, daß sie „das Eindringen der Renaissance in lustiger Weise zeigt", so liegt hier eine sehr wenig lustige Verwechslung vor mit der alten Sacristeithür vom Jahre 1522, die allerdings eine reizvolle Mischung von gothischen und Renaissancemotiven bietet. Die Inschriften an der „Goldenen Pforte" zu lesen und uns mitzutheilen, hat Andreas sich wieder erlassen. Der Hauptaltar der Annenkirche (Tafel 20), der in Rundwerken den Stammbaum Christi darstellt, welcher von der Brust des zuunterst liegenden Abraham ausgeht, ist ein Werk des Augsburger Bildschnitzers Adolf Dowher und wurde 1522 aufgestellt. Die Sculp- turen bestehen sämmtlich aus Solenhofer Stein und sind auf einem Grund von röthlichem Marmor aufgesetzt. Er ist doppelt interessant, als das früheste nachweisbare Marmorkunstwerk und zugleich als das älteste Denkmal durchgeführter Renaissanceseulvtur auf sächsischem Boden.*) Der von der Bergknappschaft errichtete reiche Flügelaltar (Tafel 21) stammt aus dem Jahre 1521. Zu den merkwürdigsten Partieen des bildnerischen Schmuckes der Kirche gehört eine Folge von nicht weniger als hundert, früher bunt bemalter und vergoldeter, jetzt zum größten Theil bronzirter Sandsteinreliefs, welche rings um die Brüstung der Empore umlaufen, und von denen die ersten zwanzig in humoristischer Weise die Lebensalter der beiden Geschlechter vom zehnten bis zum hundertsten Jahre, die übrigen achtzig — eine in dieser Ausdehnung einzig dastehende Serie — die ganze heilige Geschichte von Er¬ schaffung der Welt bis zum jüngsten Gerichte darstellen. Als Verfertiger dieser Reliefs wird der Steinmetz Theophilus Ehrenfried genannt, neben ihm als Mitarbeiter Jacob Hellwig und Franz von Magdeburg; ebenso wird berichtet, daß Hans von Kalba und Balthasar Müller 1522 die Reliefs gemalt, 1524 „illuminirt und mit Gold überzogen" haben. Im einzelnen hat Waagen auch in diesen Reliefs Dürer'sche Motive nachgewiesen. ") Vgl. Jul. Schmidt im Archiv für die sächsische Geschichte XI, S. 83.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/499>, abgerufen am 27.09.2024.