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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Für die Unzulässigkeit einer Vermischung der Wirthschaftspolitik mit der
Machtpolitik hob der Kanzler noch den Umstand hervor, daß in den politi¬
schen Verhältnissen der Wechsel viel größer ist, als ihn die wirthschaftlichen
Dinge vertragen. Sollen wir heute unsere Grenze vor dem Handel einer
Macht zuschließen, weil uns dieselbe in einer politischen Frage gegenübersteht?
Wenn Niemand dies verlangt, selbst Herr Richter nicht, der Retorsionen sogar
auf dem alleinigen Gebiet der Handelspolitik für Dilettantismus erklärte, so
ist das Gegenstück davon genau ebenso thöricht: das Verlangen nämlich,
eine Macht, weil sie unseren Handel erschwert, durch politische Retorsionen, durch
Schädigung ihrer politischen Interessen, oder durch die Drohung damit auf
andere Wege zu bringen. Man wird sich mit dieser Methode politisch scha¬
den und wirthschaftlich nicht verbessern. Wenn Herr Richter so unbedingt
behauptet, daß man mit Zollretorfionen sich selbst immer am meisten schade,
so ist unbegreiflich, wie er leugnen mag, daß man mit politischem Druck gegen
fremde wirthschaftliche Maßnahmen sich noch weit ärger zu schädigen in
Gefahr kommt. Hier heißt es recht eigentlich: mit derselben Münze zahlen!
Machtvortheile müssen mit Machtvortheilen, Handelsvortheile mit Handelsvor¬
theilen aufgewogen werden. -- Sind wir denn überhaupt dabei, Rußland
einen Machtvortheil zu gewähren, für den wir einen Handelsvortheil fordern
könnten, wenn solcher Tausch überhaupt zulässig wäre? Der Kanzler stellte
dies in Abrede, und kam damit zur Erläuterung der Stellung Deutschlands in
der actuellen Krisis. Deutschland ist nicht ausschließlich Rußlands Freund, sondern
in gleich freundschaftlichem Verhältniß zu allen Mächten, welche sich in der
gegenwärtigen türkischen Krisis als Rivalen gegenüber treten oder gegenüber
treten könnten. Deutschland -- dies sagte der Kanzler nicht mit unmittel¬
baren Worten, aber es sprang aus seinen Worten hervor -- hat den Ge¬
gensatz zwischen Oesterreich und Nußland beschwichtigt und hat viel erreicht,
um den Gegensatz zwischen England und Rußland nicht minder zu beschwich¬
tigen. Kommt es zum Krieg zwischen Rußland und der Türkei, so ist ge¬
gründete Hoffnung vorhanden, daß der Kampf lokalisirt bleibt. Diese Hoff¬
nung ruht darauf, weil Rußland sich in seinen Ansprüchen mäßigt. Der
Kanzler setzt volles Vertrauen in die Erklärung des russischen Kaisers gegen
Lord Loftus am 2. November, und diese Vertrauenserklärung aus diesem
Munde vor ganz Europa kommt einer Bürgschaft gleich. Wenn Nußland,
auch im Fall es zu den Waffen greift, nichts weiter erreichen will, als die
Garantie des Looses der orientalischen Christen, so wird diesem Zweck keine
europäische Macht sich widersetzen, und keine hat die Veranlassung dazu.
Seitdem Fürst Bismarck unter die Zusage russischer Mäßigung gleichsam
das Siegel gedrückt, während er andrerseits dem russischen Zweck in der an¬
gegebenen Beschränkung seine Billigung gegeben und ihn als Eulturzweck be-


Für die Unzulässigkeit einer Vermischung der Wirthschaftspolitik mit der
Machtpolitik hob der Kanzler noch den Umstand hervor, daß in den politi¬
schen Verhältnissen der Wechsel viel größer ist, als ihn die wirthschaftlichen
Dinge vertragen. Sollen wir heute unsere Grenze vor dem Handel einer
Macht zuschließen, weil uns dieselbe in einer politischen Frage gegenübersteht?
Wenn Niemand dies verlangt, selbst Herr Richter nicht, der Retorsionen sogar
auf dem alleinigen Gebiet der Handelspolitik für Dilettantismus erklärte, so
ist das Gegenstück davon genau ebenso thöricht: das Verlangen nämlich,
eine Macht, weil sie unseren Handel erschwert, durch politische Retorsionen, durch
Schädigung ihrer politischen Interessen, oder durch die Drohung damit auf
andere Wege zu bringen. Man wird sich mit dieser Methode politisch scha¬
den und wirthschaftlich nicht verbessern. Wenn Herr Richter so unbedingt
behauptet, daß man mit Zollretorfionen sich selbst immer am meisten schade,
so ist unbegreiflich, wie er leugnen mag, daß man mit politischem Druck gegen
fremde wirthschaftliche Maßnahmen sich noch weit ärger zu schädigen in
Gefahr kommt. Hier heißt es recht eigentlich: mit derselben Münze zahlen!
Machtvortheile müssen mit Machtvortheilen, Handelsvortheile mit Handelsvor¬
theilen aufgewogen werden. — Sind wir denn überhaupt dabei, Rußland
einen Machtvortheil zu gewähren, für den wir einen Handelsvortheil fordern
könnten, wenn solcher Tausch überhaupt zulässig wäre? Der Kanzler stellte
dies in Abrede, und kam damit zur Erläuterung der Stellung Deutschlands in
der actuellen Krisis. Deutschland ist nicht ausschließlich Rußlands Freund, sondern
in gleich freundschaftlichem Verhältniß zu allen Mächten, welche sich in der
gegenwärtigen türkischen Krisis als Rivalen gegenüber treten oder gegenüber
treten könnten. Deutschland — dies sagte der Kanzler nicht mit unmittel¬
baren Worten, aber es sprang aus seinen Worten hervor — hat den Ge¬
gensatz zwischen Oesterreich und Nußland beschwichtigt und hat viel erreicht,
um den Gegensatz zwischen England und Rußland nicht minder zu beschwich¬
tigen. Kommt es zum Krieg zwischen Rußland und der Türkei, so ist ge¬
gründete Hoffnung vorhanden, daß der Kampf lokalisirt bleibt. Diese Hoff¬
nung ruht darauf, weil Rußland sich in seinen Ansprüchen mäßigt. Der
Kanzler setzt volles Vertrauen in die Erklärung des russischen Kaisers gegen
Lord Loftus am 2. November, und diese Vertrauenserklärung aus diesem
Munde vor ganz Europa kommt einer Bürgschaft gleich. Wenn Nußland,
auch im Fall es zu den Waffen greift, nichts weiter erreichen will, als die
Garantie des Looses der orientalischen Christen, so wird diesem Zweck keine
europäische Macht sich widersetzen, und keine hat die Veranlassung dazu.
Seitdem Fürst Bismarck unter die Zusage russischer Mäßigung gleichsam
das Siegel gedrückt, während er andrerseits dem russischen Zweck in der an¬
gegebenen Beschränkung seine Billigung gegeben und ihn als Eulturzweck be-


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[0478] Für die Unzulässigkeit einer Vermischung der Wirthschaftspolitik mit der Machtpolitik hob der Kanzler noch den Umstand hervor, daß in den politi¬ schen Verhältnissen der Wechsel viel größer ist, als ihn die wirthschaftlichen Dinge vertragen. Sollen wir heute unsere Grenze vor dem Handel einer Macht zuschließen, weil uns dieselbe in einer politischen Frage gegenübersteht? Wenn Niemand dies verlangt, selbst Herr Richter nicht, der Retorsionen sogar auf dem alleinigen Gebiet der Handelspolitik für Dilettantismus erklärte, so ist das Gegenstück davon genau ebenso thöricht: das Verlangen nämlich, eine Macht, weil sie unseren Handel erschwert, durch politische Retorsionen, durch Schädigung ihrer politischen Interessen, oder durch die Drohung damit auf andere Wege zu bringen. Man wird sich mit dieser Methode politisch scha¬ den und wirthschaftlich nicht verbessern. Wenn Herr Richter so unbedingt behauptet, daß man mit Zollretorfionen sich selbst immer am meisten schade, so ist unbegreiflich, wie er leugnen mag, daß man mit politischem Druck gegen fremde wirthschaftliche Maßnahmen sich noch weit ärger zu schädigen in Gefahr kommt. Hier heißt es recht eigentlich: mit derselben Münze zahlen! Machtvortheile müssen mit Machtvortheilen, Handelsvortheile mit Handelsvor¬ theilen aufgewogen werden. — Sind wir denn überhaupt dabei, Rußland einen Machtvortheil zu gewähren, für den wir einen Handelsvortheil fordern könnten, wenn solcher Tausch überhaupt zulässig wäre? Der Kanzler stellte dies in Abrede, und kam damit zur Erläuterung der Stellung Deutschlands in der actuellen Krisis. Deutschland ist nicht ausschließlich Rußlands Freund, sondern in gleich freundschaftlichem Verhältniß zu allen Mächten, welche sich in der gegenwärtigen türkischen Krisis als Rivalen gegenüber treten oder gegenüber treten könnten. Deutschland — dies sagte der Kanzler nicht mit unmittel¬ baren Worten, aber es sprang aus seinen Worten hervor — hat den Ge¬ gensatz zwischen Oesterreich und Nußland beschwichtigt und hat viel erreicht, um den Gegensatz zwischen England und Rußland nicht minder zu beschwich¬ tigen. Kommt es zum Krieg zwischen Rußland und der Türkei, so ist ge¬ gründete Hoffnung vorhanden, daß der Kampf lokalisirt bleibt. Diese Hoff¬ nung ruht darauf, weil Rußland sich in seinen Ansprüchen mäßigt. Der Kanzler setzt volles Vertrauen in die Erklärung des russischen Kaisers gegen Lord Loftus am 2. November, und diese Vertrauenserklärung aus diesem Munde vor ganz Europa kommt einer Bürgschaft gleich. Wenn Nußland, auch im Fall es zu den Waffen greift, nichts weiter erreichen will, als die Garantie des Looses der orientalischen Christen, so wird diesem Zweck keine europäische Macht sich widersetzen, und keine hat die Veranlassung dazu. Seitdem Fürst Bismarck unter die Zusage russischer Mäßigung gleichsam das Siegel gedrückt, während er andrerseits dem russischen Zweck in der an¬ gegebenen Beschränkung seine Billigung gegeben und ihn als Eulturzweck be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/478>, abgerufen am 27.09.2024.