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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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sitzen -- so war es mindestens seine Pflicht, und wenn er sich auch noch so
"schwer dazu entschließen konnte", die Abbildungen mit einer sorgfäl¬
tigen Beschreibung der dargestellten Kunstdenkmäler zu begleiten. Aber
auch hiervon hat er sich unbedenklich entbunden. Eine Inschrift nun
vollends zu lesen und in seinem Texte mitzutheilen, ist ihm nie in den Sinn
gekommen; der Leser mag selber zusehen, ob er sie hinter dem Schleier des
Lichtdruckes vielleicht entziffern kann. Und das nennt der Herausgeber "mit
Hand anlegen", das nennt er "orientiren", "anregen"!

Wenn ich sage, daß es höchst beklagenswerth ist, daß hier ein schöner
und fruchtbarer Gedanke, der schon der königlichen Frau zu Ehren, der die
Verwirklichung desselben ein Herzenswunsch war, mit aller Treue und Ge¬
wissenhaftigkeit hätte ausgeführt werden sollen, durch die Unkenntniß oder die
Bequemlichkeit des mit der Ausführung beauftragten zur Hälfte vereitelt worden
ist, so scheint dies ein harter Spruch zu sein. Aber ich weiß, was ich
sage, und ich glaube, mein Urtheil Schritt für Schritt belegen zu können.

Die ersten vierzehn Tafeln des vorliegenden Werkes sind Freiberg und
dem Freiberger Dom gewidmet. Eine Ansicht der Stadt Freiberg eröffnet
den Band, leider ungünstig aufgenommen, denn die ganze linke Hälfte des
Vordergrundes wird durch eine Schlackenhalde verdeckt. Dann folgt eine
Totalansicht der "Goldner Pforte" und zwei Tafeln mit Details derselben; das
fünfte Blatt zeigt die beiden Kanzeln im Dom, das sechste das Grabmonument
des Kurfüsten Moritz. Hieran schließt sich eine Totalansicht der kurfürstlichen
Begräbnißkapelle, die nächsten fünf Tafeln bringen wiederum Details derselben,
auf der dreizehnten Tafel sind fünf alte Holzsculpturen vereinigt, die vierzehnte
endlich zeigt eine schmiedeeiserne Thür.

Was weiß uns nun der Text Andreae's über die einzelnen Tafeln
zu berichten? Der Herausgeber beginnt mit den Worten: "Es mag aus
Daniel's Geographie folgendes Citat des Chronisten Münster hier aufge¬
zeichnet stehen", und nun läßt er aus Sebastian Münster's "Cosmographey"
die Sage über die erste Entdeckung der Freiberger Silbererze abdrucken, wo¬
ran er noch die paar Notizen knüpft: Freiberg sei von Otto dem Reichen ge¬
gründet, die Liebfrau"nkirche sei 1162--1175 erbaut, wiederholte Brände
hätten sie verheert, worauf dann 1490--1520 der jetzige Dom erbaut, 1588
durch Kurfürst Christian I. die kurfürstliche Begräbnißkapelle hinzugefügt
worden sei.

Das still'chweigende Eingeständnis des Verfassers, daß er Sebastian
Münster aus Daniel's Geographie kennt, ist naiv, aber ehrlich; ein etwas
gewissenhaftere Autor würde sich freilich das Original zu verschaffen ge¬
wußt und daraus gelernt haben, daß weder Münster ein Chronist ist, noch
daß die betreffende Stelle bei Daniel ein "Citat des Chronisten Münster",


sitzen — so war es mindestens seine Pflicht, und wenn er sich auch noch so
„schwer dazu entschließen konnte", die Abbildungen mit einer sorgfäl¬
tigen Beschreibung der dargestellten Kunstdenkmäler zu begleiten. Aber
auch hiervon hat er sich unbedenklich entbunden. Eine Inschrift nun
vollends zu lesen und in seinem Texte mitzutheilen, ist ihm nie in den Sinn
gekommen; der Leser mag selber zusehen, ob er sie hinter dem Schleier des
Lichtdruckes vielleicht entziffern kann. Und das nennt der Herausgeber „mit
Hand anlegen", das nennt er „orientiren", „anregen"!

Wenn ich sage, daß es höchst beklagenswerth ist, daß hier ein schöner
und fruchtbarer Gedanke, der schon der königlichen Frau zu Ehren, der die
Verwirklichung desselben ein Herzenswunsch war, mit aller Treue und Ge¬
wissenhaftigkeit hätte ausgeführt werden sollen, durch die Unkenntniß oder die
Bequemlichkeit des mit der Ausführung beauftragten zur Hälfte vereitelt worden
ist, so scheint dies ein harter Spruch zu sein. Aber ich weiß, was ich
sage, und ich glaube, mein Urtheil Schritt für Schritt belegen zu können.

Die ersten vierzehn Tafeln des vorliegenden Werkes sind Freiberg und
dem Freiberger Dom gewidmet. Eine Ansicht der Stadt Freiberg eröffnet
den Band, leider ungünstig aufgenommen, denn die ganze linke Hälfte des
Vordergrundes wird durch eine Schlackenhalde verdeckt. Dann folgt eine
Totalansicht der „Goldner Pforte" und zwei Tafeln mit Details derselben; das
fünfte Blatt zeigt die beiden Kanzeln im Dom, das sechste das Grabmonument
des Kurfüsten Moritz. Hieran schließt sich eine Totalansicht der kurfürstlichen
Begräbnißkapelle, die nächsten fünf Tafeln bringen wiederum Details derselben,
auf der dreizehnten Tafel sind fünf alte Holzsculpturen vereinigt, die vierzehnte
endlich zeigt eine schmiedeeiserne Thür.

Was weiß uns nun der Text Andreae's über die einzelnen Tafeln
zu berichten? Der Herausgeber beginnt mit den Worten: „Es mag aus
Daniel's Geographie folgendes Citat des Chronisten Münster hier aufge¬
zeichnet stehen", und nun läßt er aus Sebastian Münster's „Cosmographey"
die Sage über die erste Entdeckung der Freiberger Silbererze abdrucken, wo¬
ran er noch die paar Notizen knüpft: Freiberg sei von Otto dem Reichen ge¬
gründet, die Liebfrau»nkirche sei 1162—1175 erbaut, wiederholte Brände
hätten sie verheert, worauf dann 1490—1520 der jetzige Dom erbaut, 1588
durch Kurfürst Christian I. die kurfürstliche Begräbnißkapelle hinzugefügt
worden sei.

Das still'chweigende Eingeständnis des Verfassers, daß er Sebastian
Münster aus Daniel's Geographie kennt, ist naiv, aber ehrlich; ein etwas
gewissenhaftere Autor würde sich freilich das Original zu verschaffen ge¬
wußt und daraus gelernt haben, daß weder Münster ein Chronist ist, noch
daß die betreffende Stelle bei Daniel ein „Citat des Chronisten Münster",


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[0466] sitzen — so war es mindestens seine Pflicht, und wenn er sich auch noch so „schwer dazu entschließen konnte", die Abbildungen mit einer sorgfäl¬ tigen Beschreibung der dargestellten Kunstdenkmäler zu begleiten. Aber auch hiervon hat er sich unbedenklich entbunden. Eine Inschrift nun vollends zu lesen und in seinem Texte mitzutheilen, ist ihm nie in den Sinn gekommen; der Leser mag selber zusehen, ob er sie hinter dem Schleier des Lichtdruckes vielleicht entziffern kann. Und das nennt der Herausgeber „mit Hand anlegen", das nennt er „orientiren", „anregen"! Wenn ich sage, daß es höchst beklagenswerth ist, daß hier ein schöner und fruchtbarer Gedanke, der schon der königlichen Frau zu Ehren, der die Verwirklichung desselben ein Herzenswunsch war, mit aller Treue und Ge¬ wissenhaftigkeit hätte ausgeführt werden sollen, durch die Unkenntniß oder die Bequemlichkeit des mit der Ausführung beauftragten zur Hälfte vereitelt worden ist, so scheint dies ein harter Spruch zu sein. Aber ich weiß, was ich sage, und ich glaube, mein Urtheil Schritt für Schritt belegen zu können. Die ersten vierzehn Tafeln des vorliegenden Werkes sind Freiberg und dem Freiberger Dom gewidmet. Eine Ansicht der Stadt Freiberg eröffnet den Band, leider ungünstig aufgenommen, denn die ganze linke Hälfte des Vordergrundes wird durch eine Schlackenhalde verdeckt. Dann folgt eine Totalansicht der „Goldner Pforte" und zwei Tafeln mit Details derselben; das fünfte Blatt zeigt die beiden Kanzeln im Dom, das sechste das Grabmonument des Kurfüsten Moritz. Hieran schließt sich eine Totalansicht der kurfürstlichen Begräbnißkapelle, die nächsten fünf Tafeln bringen wiederum Details derselben, auf der dreizehnten Tafel sind fünf alte Holzsculpturen vereinigt, die vierzehnte endlich zeigt eine schmiedeeiserne Thür. Was weiß uns nun der Text Andreae's über die einzelnen Tafeln zu berichten? Der Herausgeber beginnt mit den Worten: „Es mag aus Daniel's Geographie folgendes Citat des Chronisten Münster hier aufge¬ zeichnet stehen", und nun läßt er aus Sebastian Münster's „Cosmographey" die Sage über die erste Entdeckung der Freiberger Silbererze abdrucken, wo¬ ran er noch die paar Notizen knüpft: Freiberg sei von Otto dem Reichen ge¬ gründet, die Liebfrau»nkirche sei 1162—1175 erbaut, wiederholte Brände hätten sie verheert, worauf dann 1490—1520 der jetzige Dom erbaut, 1588 durch Kurfürst Christian I. die kurfürstliche Begräbnißkapelle hinzugefügt worden sei. Das still'chweigende Eingeständnis des Verfassers, daß er Sebastian Münster aus Daniel's Geographie kennt, ist naiv, aber ehrlich; ein etwas gewissenhaftere Autor würde sich freilich das Original zu verschaffen ge¬ wußt und daraus gelernt haben, daß weder Münster ein Chronist ist, noch daß die betreffende Stelle bei Daniel ein „Citat des Chronisten Münster",

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/466>, abgerufen am 27.09.2024.