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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Die meisten der hier abgebildeten Denkmäler sind aber überhaupt hier so gut
wie zum ersten Male publicirt, und so bildet das Werk nach dieser Seite hin
eine Bereicherung unsres Anschauungsmaterials, für welche die Kunstgeschichte,
und zwar keinesweges bloß die locale, dem Kunstsinn der sächsischen Königin
unzweifelhaft zu großem Dank verpflichtet ist.

Leider kann man dasselbe nicht von den Erläuterungen rühmen, die der
mit der artistischen Leitung bei der Auswahl und Aufnahme der Objecte
und überdieß mit der Abfassung eines Textes beauftragte Herausgeber C.
Andreae den Abbildungen mitgegeben hat. Er selbst sagt darüber wörtlich:
"Ein eingehender Text würde auf große Schwierigkeiten stoßen. Die Kunst¬
forschung steht gerade hier vor einem Problem, dessen Ergründung noch zu
wenige ernsthafte Studien gewidmet sind, und diese fühlbare Lücke wagt der
Unterzeichnete nicht ausfüllen zu wollen, so gern er im Bereine tüchtiger
Kunstforscher und Archäologen mit Hand anlegen würde." Und am Schlüsse
seines Textes bemerkt er: "Nur schwer konnte sich der Unterzeichnete dazu
entschließen , den schönen Bildern eine Erklärung beizugeben; sie ward indeß
gefordert, und wenn sie den Beschauer hier und da orientirt, nicht irre führt,
und anregt, weiter eingehende Studien nach dieser Seite hin zu machen, so
hat sie ihren Zweck erfüllt."

Von einem "Problem" kann nun heutzutage höchstens noch der "Goldner
Pforte" und den Wechselburger Sculpturen gegenüber die Rede sein. Hier
gilt es, noch die Frage zu beantworten, ob diese Bildwerke erstens aus ein
und derselben Werkstatt hervorgegangen sind, und ob sie in oder außer Zu¬
sammenhang mit der gleichzeitigen italienischen Kunst stehen. Im übrigen
aber würde "ein eingehender Text" durchaus nicht "auf große Schwierigkeiten
gestoßen" sein, wenn es dem Herausgeber beliebt hätte, sich um die reiche ge¬
schichtliche Literatur zu kümmern, welche über die hier publicirten Denkmäler
thatsächlich bereits vorhanden ist. Von der Existenz dieser Literatur hat aber
Andreae offenbar gar keine Ahnung gehabt. Weder Puttrich's oben-
genanntes grundlegendes Werk, noch Waagen's allbekanntes Buch "Kunst,
werte und Künstler in Deutschland", dessen erster Band, wiewohl er schon
1843 erschienen ist, doch einen hundertmal besseren Text zu den vorliegenden
Abbildungen enthält, als ihn Andreae gegeben, ist dem Herausgeber bekannt
gewesen, geschweige denn, daß er von der und jener Einzelforschung eine
Kunde gehabt hätte. Vier Bücher sind es, die er überhaupt als Quelle seines
dürftigen Textes angiebt. Ich will sie vorläufig nicht verrathen; der Leser
Wird staunen, wenn er ihre Titel hören wird.

Aber wenn Andreae auf kunstgeschichtliche Fragen einzugehen keine
Neigung verspürte -- im Lande herumzustreifen und Kunstwerke zu betrachten
ist freilich lustiger, als über Büchern oder gar über Acten und Urkunden zu


Die meisten der hier abgebildeten Denkmäler sind aber überhaupt hier so gut
wie zum ersten Male publicirt, und so bildet das Werk nach dieser Seite hin
eine Bereicherung unsres Anschauungsmaterials, für welche die Kunstgeschichte,
und zwar keinesweges bloß die locale, dem Kunstsinn der sächsischen Königin
unzweifelhaft zu großem Dank verpflichtet ist.

Leider kann man dasselbe nicht von den Erläuterungen rühmen, die der
mit der artistischen Leitung bei der Auswahl und Aufnahme der Objecte
und überdieß mit der Abfassung eines Textes beauftragte Herausgeber C.
Andreae den Abbildungen mitgegeben hat. Er selbst sagt darüber wörtlich:
„Ein eingehender Text würde auf große Schwierigkeiten stoßen. Die Kunst¬
forschung steht gerade hier vor einem Problem, dessen Ergründung noch zu
wenige ernsthafte Studien gewidmet sind, und diese fühlbare Lücke wagt der
Unterzeichnete nicht ausfüllen zu wollen, so gern er im Bereine tüchtiger
Kunstforscher und Archäologen mit Hand anlegen würde." Und am Schlüsse
seines Textes bemerkt er: „Nur schwer konnte sich der Unterzeichnete dazu
entschließen , den schönen Bildern eine Erklärung beizugeben; sie ward indeß
gefordert, und wenn sie den Beschauer hier und da orientirt, nicht irre führt,
und anregt, weiter eingehende Studien nach dieser Seite hin zu machen, so
hat sie ihren Zweck erfüllt."

Von einem „Problem" kann nun heutzutage höchstens noch der „Goldner
Pforte" und den Wechselburger Sculpturen gegenüber die Rede sein. Hier
gilt es, noch die Frage zu beantworten, ob diese Bildwerke erstens aus ein
und derselben Werkstatt hervorgegangen sind, und ob sie in oder außer Zu¬
sammenhang mit der gleichzeitigen italienischen Kunst stehen. Im übrigen
aber würde „ein eingehender Text" durchaus nicht „auf große Schwierigkeiten
gestoßen" sein, wenn es dem Herausgeber beliebt hätte, sich um die reiche ge¬
schichtliche Literatur zu kümmern, welche über die hier publicirten Denkmäler
thatsächlich bereits vorhanden ist. Von der Existenz dieser Literatur hat aber
Andreae offenbar gar keine Ahnung gehabt. Weder Puttrich's oben-
genanntes grundlegendes Werk, noch Waagen's allbekanntes Buch „Kunst,
werte und Künstler in Deutschland", dessen erster Band, wiewohl er schon
1843 erschienen ist, doch einen hundertmal besseren Text zu den vorliegenden
Abbildungen enthält, als ihn Andreae gegeben, ist dem Herausgeber bekannt
gewesen, geschweige denn, daß er von der und jener Einzelforschung eine
Kunde gehabt hätte. Vier Bücher sind es, die er überhaupt als Quelle seines
dürftigen Textes angiebt. Ich will sie vorläufig nicht verrathen; der Leser
Wird staunen, wenn er ihre Titel hören wird.

Aber wenn Andreae auf kunstgeschichtliche Fragen einzugehen keine
Neigung verspürte — im Lande herumzustreifen und Kunstwerke zu betrachten
ist freilich lustiger, als über Büchern oder gar über Acten und Urkunden zu


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[0465] Die meisten der hier abgebildeten Denkmäler sind aber überhaupt hier so gut wie zum ersten Male publicirt, und so bildet das Werk nach dieser Seite hin eine Bereicherung unsres Anschauungsmaterials, für welche die Kunstgeschichte, und zwar keinesweges bloß die locale, dem Kunstsinn der sächsischen Königin unzweifelhaft zu großem Dank verpflichtet ist. Leider kann man dasselbe nicht von den Erläuterungen rühmen, die der mit der artistischen Leitung bei der Auswahl und Aufnahme der Objecte und überdieß mit der Abfassung eines Textes beauftragte Herausgeber C. Andreae den Abbildungen mitgegeben hat. Er selbst sagt darüber wörtlich: „Ein eingehender Text würde auf große Schwierigkeiten stoßen. Die Kunst¬ forschung steht gerade hier vor einem Problem, dessen Ergründung noch zu wenige ernsthafte Studien gewidmet sind, und diese fühlbare Lücke wagt der Unterzeichnete nicht ausfüllen zu wollen, so gern er im Bereine tüchtiger Kunstforscher und Archäologen mit Hand anlegen würde." Und am Schlüsse seines Textes bemerkt er: „Nur schwer konnte sich der Unterzeichnete dazu entschließen , den schönen Bildern eine Erklärung beizugeben; sie ward indeß gefordert, und wenn sie den Beschauer hier und da orientirt, nicht irre führt, und anregt, weiter eingehende Studien nach dieser Seite hin zu machen, so hat sie ihren Zweck erfüllt." Von einem „Problem" kann nun heutzutage höchstens noch der „Goldner Pforte" und den Wechselburger Sculpturen gegenüber die Rede sein. Hier gilt es, noch die Frage zu beantworten, ob diese Bildwerke erstens aus ein und derselben Werkstatt hervorgegangen sind, und ob sie in oder außer Zu¬ sammenhang mit der gleichzeitigen italienischen Kunst stehen. Im übrigen aber würde „ein eingehender Text" durchaus nicht „auf große Schwierigkeiten gestoßen" sein, wenn es dem Herausgeber beliebt hätte, sich um die reiche ge¬ schichtliche Literatur zu kümmern, welche über die hier publicirten Denkmäler thatsächlich bereits vorhanden ist. Von der Existenz dieser Literatur hat aber Andreae offenbar gar keine Ahnung gehabt. Weder Puttrich's oben- genanntes grundlegendes Werk, noch Waagen's allbekanntes Buch „Kunst, werte und Künstler in Deutschland", dessen erster Band, wiewohl er schon 1843 erschienen ist, doch einen hundertmal besseren Text zu den vorliegenden Abbildungen enthält, als ihn Andreae gegeben, ist dem Herausgeber bekannt gewesen, geschweige denn, daß er von der und jener Einzelforschung eine Kunde gehabt hätte. Vier Bücher sind es, die er überhaupt als Quelle seines dürftigen Textes angiebt. Ich will sie vorläufig nicht verrathen; der Leser Wird staunen, wenn er ihre Titel hören wird. Aber wenn Andreae auf kunstgeschichtliche Fragen einzugehen keine Neigung verspürte — im Lande herumzustreifen und Kunstwerke zu betrachten ist freilich lustiger, als über Büchern oder gar über Acten und Urkunden zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/465>, abgerufen am 27.09.2024.