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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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nach dem Raub des Hafens von Kiel (1866) über das Herzogthum Olden¬
burg herzufallen, so kaufte Preußen das Terrain am Jahdebusen im Jahre
1853 I -- Nun folgt eine Beschreibung der Werke am Jahde-Busen, die nach
einer falschen Zeichnung entworfen ist, welche im Jahre 1871 die Nunde
durch die illustrirten Journale machte; es wäre wenigstens mehr als Zufall,
wenn die Geschichte der beiden Doppelschleusen für Ebbe und Fluth sich hier
zufällig wiederfände. Darauf kommt es ja aber auch nicht an. Keiner
unserer Leser wird wirkliche Belehrung über diesen Stoff aus einer so trüben
Lache schöpfen wollen. Nun aber folgt wieder eine heitere Geistesblüthe, die
so recht geeignet ist, die gewissenhafte Arbeit französischer Forscher in das ge¬
bührende Licht zu setzen. Auf Seite 152 heißt es: "Der Hafen war weder
beendet noch befestigt, als der Krieg mit Frankreich ausbrach. Wilhelm,
damals einfach König von Preußen, kam dahin, um der Einweihung bei¬
zuwohnen, und die Schmeichelei benutzte die Gelegenheit, um den Ort Wil¬
helmshafen zu taufen." Kann ein boshafter dummer Junge dümmer ver¬
leumden? Daß der König von Preußen einem Orte, den er so recht eigentlich
aus dem Nichts geschaffen, durch Kabinetsordre seinen Namen verleiht, wie
es die Gründer und Erbauer von Städten von jeher gethan, das findet ein
Franzose tadelnsroerth! Ein Mitglied jener Nation, deren Volksvertretung
seit 80 Jahren sich vor jeder erbärmlichen und moralisch unwürdigen Per-
sonage im Staube wälzte, sobald sie nur Furcht einflößte, und als Zeichen
dieses unterwürfigen Volkscharakters Straßen und Plätze ihrer Haupstadt in
zwei Menschenaltern zu Dutzenden umgetauft hat! -- Unmittelbar darauf
versichert Herr Merruau: das "Vouvernemont av Berlin", das den Kampf
von 1870 seit langer Hand vorbereitet habe, sei nur bis zur Herstellung
provisorischer Befestigungen gediehen, die aber ihren Zweck der französischen
Flotte gegenüber vollkommen erfüllt hätten, da dieselbe "promiore vivtimo
ä'uinz imprevo^nes tuneste se g6n6Mo", mit einem Worte, Nichts in
Ordnung gehabt habe. Man kann Lotterei und Pflichtvergessenheit nicht
wohlklingender ausdrücken.

Sehr hübsch ist der Passus, in dem Herr Merruau seinem Zorn gegen
die preußische Flotte Luft macht. Es handelt sich darum, daß die preußische
Flotte der sechsfacher Uebermacht gegenüber nicht die offene See hielt: "Die
Preußen opfern Nichts dem leeren Ruhme. Sie suchen vor Allem positive
Resultate mit dem geringstmöglichen Einsatz zu erreichen. Jener ritterliche
Muth, der sich der Gefahr aussetzt, nur um ihrer selbst willen, ist ihnen
nicht sympathisch. Die Regierung theilt diese Ansicht und begünstigt sie in
der Armee, aber man muß zugeben, daß diese der preußischen Flotte anbe¬
fohlene Haltung nicht gerade ein glänzendes Debüt für sie ermöglichte. Der
Seekrieg ist ganz besonders den Momenten persönlicher Kühnheit günstig-


nach dem Raub des Hafens von Kiel (1866) über das Herzogthum Olden¬
burg herzufallen, so kaufte Preußen das Terrain am Jahdebusen im Jahre
1853 I — Nun folgt eine Beschreibung der Werke am Jahde-Busen, die nach
einer falschen Zeichnung entworfen ist, welche im Jahre 1871 die Nunde
durch die illustrirten Journale machte; es wäre wenigstens mehr als Zufall,
wenn die Geschichte der beiden Doppelschleusen für Ebbe und Fluth sich hier
zufällig wiederfände. Darauf kommt es ja aber auch nicht an. Keiner
unserer Leser wird wirkliche Belehrung über diesen Stoff aus einer so trüben
Lache schöpfen wollen. Nun aber folgt wieder eine heitere Geistesblüthe, die
so recht geeignet ist, die gewissenhafte Arbeit französischer Forscher in das ge¬
bührende Licht zu setzen. Auf Seite 152 heißt es: „Der Hafen war weder
beendet noch befestigt, als der Krieg mit Frankreich ausbrach. Wilhelm,
damals einfach König von Preußen, kam dahin, um der Einweihung bei¬
zuwohnen, und die Schmeichelei benutzte die Gelegenheit, um den Ort Wil¬
helmshafen zu taufen." Kann ein boshafter dummer Junge dümmer ver¬
leumden? Daß der König von Preußen einem Orte, den er so recht eigentlich
aus dem Nichts geschaffen, durch Kabinetsordre seinen Namen verleiht, wie
es die Gründer und Erbauer von Städten von jeher gethan, das findet ein
Franzose tadelnsroerth! Ein Mitglied jener Nation, deren Volksvertretung
seit 80 Jahren sich vor jeder erbärmlichen und moralisch unwürdigen Per-
sonage im Staube wälzte, sobald sie nur Furcht einflößte, und als Zeichen
dieses unterwürfigen Volkscharakters Straßen und Plätze ihrer Haupstadt in
zwei Menschenaltern zu Dutzenden umgetauft hat! — Unmittelbar darauf
versichert Herr Merruau: das «Vouvernemont av Berlin", das den Kampf
von 1870 seit langer Hand vorbereitet habe, sei nur bis zur Herstellung
provisorischer Befestigungen gediehen, die aber ihren Zweck der französischen
Flotte gegenüber vollkommen erfüllt hätten, da dieselbe „promiore vivtimo
ä'uinz imprevo^nes tuneste se g6n6Mo», mit einem Worte, Nichts in
Ordnung gehabt habe. Man kann Lotterei und Pflichtvergessenheit nicht
wohlklingender ausdrücken.

Sehr hübsch ist der Passus, in dem Herr Merruau seinem Zorn gegen
die preußische Flotte Luft macht. Es handelt sich darum, daß die preußische
Flotte der sechsfacher Uebermacht gegenüber nicht die offene See hielt: »Die
Preußen opfern Nichts dem leeren Ruhme. Sie suchen vor Allem positive
Resultate mit dem geringstmöglichen Einsatz zu erreichen. Jener ritterliche
Muth, der sich der Gefahr aussetzt, nur um ihrer selbst willen, ist ihnen
nicht sympathisch. Die Regierung theilt diese Ansicht und begünstigt sie in
der Armee, aber man muß zugeben, daß diese der preußischen Flotte anbe¬
fohlene Haltung nicht gerade ein glänzendes Debüt für sie ermöglichte. Der
Seekrieg ist ganz besonders den Momenten persönlicher Kühnheit günstig-


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[0448] nach dem Raub des Hafens von Kiel (1866) über das Herzogthum Olden¬ burg herzufallen, so kaufte Preußen das Terrain am Jahdebusen im Jahre 1853 I — Nun folgt eine Beschreibung der Werke am Jahde-Busen, die nach einer falschen Zeichnung entworfen ist, welche im Jahre 1871 die Nunde durch die illustrirten Journale machte; es wäre wenigstens mehr als Zufall, wenn die Geschichte der beiden Doppelschleusen für Ebbe und Fluth sich hier zufällig wiederfände. Darauf kommt es ja aber auch nicht an. Keiner unserer Leser wird wirkliche Belehrung über diesen Stoff aus einer so trüben Lache schöpfen wollen. Nun aber folgt wieder eine heitere Geistesblüthe, die so recht geeignet ist, die gewissenhafte Arbeit französischer Forscher in das ge¬ bührende Licht zu setzen. Auf Seite 152 heißt es: „Der Hafen war weder beendet noch befestigt, als der Krieg mit Frankreich ausbrach. Wilhelm, damals einfach König von Preußen, kam dahin, um der Einweihung bei¬ zuwohnen, und die Schmeichelei benutzte die Gelegenheit, um den Ort Wil¬ helmshafen zu taufen." Kann ein boshafter dummer Junge dümmer ver¬ leumden? Daß der König von Preußen einem Orte, den er so recht eigentlich aus dem Nichts geschaffen, durch Kabinetsordre seinen Namen verleiht, wie es die Gründer und Erbauer von Städten von jeher gethan, das findet ein Franzose tadelnsroerth! Ein Mitglied jener Nation, deren Volksvertretung seit 80 Jahren sich vor jeder erbärmlichen und moralisch unwürdigen Per- sonage im Staube wälzte, sobald sie nur Furcht einflößte, und als Zeichen dieses unterwürfigen Volkscharakters Straßen und Plätze ihrer Haupstadt in zwei Menschenaltern zu Dutzenden umgetauft hat! — Unmittelbar darauf versichert Herr Merruau: das «Vouvernemont av Berlin", das den Kampf von 1870 seit langer Hand vorbereitet habe, sei nur bis zur Herstellung provisorischer Befestigungen gediehen, die aber ihren Zweck der französischen Flotte gegenüber vollkommen erfüllt hätten, da dieselbe „promiore vivtimo ä'uinz imprevo^nes tuneste se g6n6Mo», mit einem Worte, Nichts in Ordnung gehabt habe. Man kann Lotterei und Pflichtvergessenheit nicht wohlklingender ausdrücken. Sehr hübsch ist der Passus, in dem Herr Merruau seinem Zorn gegen die preußische Flotte Luft macht. Es handelt sich darum, daß die preußische Flotte der sechsfacher Uebermacht gegenüber nicht die offene See hielt: »Die Preußen opfern Nichts dem leeren Ruhme. Sie suchen vor Allem positive Resultate mit dem geringstmöglichen Einsatz zu erreichen. Jener ritterliche Muth, der sich der Gefahr aussetzt, nur um ihrer selbst willen, ist ihnen nicht sympathisch. Die Regierung theilt diese Ansicht und begünstigt sie in der Armee, aber man muß zugeben, daß diese der preußischen Flotte anbe¬ fohlene Haltung nicht gerade ein glänzendes Debüt für sie ermöglichte. Der Seekrieg ist ganz besonders den Momenten persönlicher Kühnheit günstig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/448>, abgerufen am 20.10.2024.