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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Vorwort: "Mögen vor den nun selbst Alten, die vom erreichten Ziele zurück¬
schauen, ehe mit ihnen das Gedächtniß ihrer Alten für immer schwindet, noch
einmal in flüchtigen Wandelbildern auf und absteigen die Lebensgange der
Vorangegangenen: aus dämmernder Ferne, von den entlegensten Grenzen des
deutschen Landes einander zustrebend zu glücklicher Vereinigung, zur Gründung
des Hauses, zu treuer Gemeinschaft in guten und nicht guten Tagen, bei
Hellem, wechselnden und trüben Himmel bis zu jenem letzten Abendscheine
-- auf den kein irdisches Morgenroth folgt."

Selbstverständlich spielt auch dasjenige, was in "den Alten" an wirk¬
licher Handlung geboten wird, in der Hauptsache auf altpreußischen Boden.
Selbstverständlich -- nicht nur, weil der Dichter sich sagt: "Hier sind die
Wurzeln deiner starken Kraft", sondern namentlich deßhalb, weil Preußen
allein, vom Alten Fritz an bis heutzutage, die feste Kette historischer Con-
tinuität in seinen staatlichen Strebungen bietet, welche der Dichter zum Ein¬
schlag seines Gewebes bedarf. Dorthin, nach Preußen, weist der alte schwä¬
bische Spielmann seinen kleinen Begleiter zu Anfang unsres Bändchens,
"Willst Du jedoch durchaus zu was kommen, so lauf Du nur immer dem
blanken Sternenwagen da droben nach. Einholen wirst Du ihn nicht, behalte
aber die Spur Im Auge, die führt Dich in ein Land, ja, da ist's schnurrig.
Da haben sie einen König, der geht mit dem Krückstock schlafen und steht
mit dem Krückstock auf. und schlägt doch alle seine Schlachten selbst. Und
so sind sie alle--arg hinterher, wie man sagt, eine stramme, zähe, knausrige
Art, die von Kommisbrod und der Fuchtel als nochmal feister wird wie
Andre, denen Alles in den Mund wachst, die den lieben Gott einen guten
Mann sein lassen," Und der Knabe schüttelt den letzten Staub des Heimath¬
landes von seinen Schuhen und folgt dem blinkenden Sternenwagen gegen
Norden, und gelangt in jene Landschaft, "wo man noch zu was kommen
kann", in jene große und berühmte Stadt, "in der man damals schon von
der Luft, wo nicht weise, doch witzig und klüger als alle andern Leute wurde,
wiewohl die Luft schon damals nicht immer die beste gewesen sein soll" --
in jene "Stadt, sechs Stunden von Potsdam", in welcher der Füselier
Schulze, der vor Paris stand im Jahr 1871. zu Hause war, wie er Moltke
verrieth, und die er auf die Frage: "wie heißt denn das Nest?" etwas näher
damit bezeichnete: "Berlin, wenn Sie et noch nich kennen. Ex'llenz."

Unser Spielmannsbub will "studiren", und das hatte ohne die nöthigen
Gelder vor hundert Jahren seinen ebenso großen Haken wie heutzutage. Er
hilft sich im Anfang auf merkwürdige Weise. Er "überhört" gesittete wohl¬
versorgte Knaben und eignet sich dadurch heimlich ihr Wissen an. Er giebt
ihnen dafür "die brodlose Kunst seiner Schwänke" zu Tausch. Er wird er¬
tappt und die Folge davon Ist: die alten Schwestern, in deren Wollen- und


Vorwort: „Mögen vor den nun selbst Alten, die vom erreichten Ziele zurück¬
schauen, ehe mit ihnen das Gedächtniß ihrer Alten für immer schwindet, noch
einmal in flüchtigen Wandelbildern auf und absteigen die Lebensgange der
Vorangegangenen: aus dämmernder Ferne, von den entlegensten Grenzen des
deutschen Landes einander zustrebend zu glücklicher Vereinigung, zur Gründung
des Hauses, zu treuer Gemeinschaft in guten und nicht guten Tagen, bei
Hellem, wechselnden und trüben Himmel bis zu jenem letzten Abendscheine
— auf den kein irdisches Morgenroth folgt."

Selbstverständlich spielt auch dasjenige, was in „den Alten" an wirk¬
licher Handlung geboten wird, in der Hauptsache auf altpreußischen Boden.
Selbstverständlich — nicht nur, weil der Dichter sich sagt: „Hier sind die
Wurzeln deiner starken Kraft", sondern namentlich deßhalb, weil Preußen
allein, vom Alten Fritz an bis heutzutage, die feste Kette historischer Con-
tinuität in seinen staatlichen Strebungen bietet, welche der Dichter zum Ein¬
schlag seines Gewebes bedarf. Dorthin, nach Preußen, weist der alte schwä¬
bische Spielmann seinen kleinen Begleiter zu Anfang unsres Bändchens,
„Willst Du jedoch durchaus zu was kommen, so lauf Du nur immer dem
blanken Sternenwagen da droben nach. Einholen wirst Du ihn nicht, behalte
aber die Spur Im Auge, die führt Dich in ein Land, ja, da ist's schnurrig.
Da haben sie einen König, der geht mit dem Krückstock schlafen und steht
mit dem Krückstock auf. und schlägt doch alle seine Schlachten selbst. Und
so sind sie alle—arg hinterher, wie man sagt, eine stramme, zähe, knausrige
Art, die von Kommisbrod und der Fuchtel als nochmal feister wird wie
Andre, denen Alles in den Mund wachst, die den lieben Gott einen guten
Mann sein lassen," Und der Knabe schüttelt den letzten Staub des Heimath¬
landes von seinen Schuhen und folgt dem blinkenden Sternenwagen gegen
Norden, und gelangt in jene Landschaft, „wo man noch zu was kommen
kann", in jene große und berühmte Stadt, „in der man damals schon von
der Luft, wo nicht weise, doch witzig und klüger als alle andern Leute wurde,
wiewohl die Luft schon damals nicht immer die beste gewesen sein soll" —
in jene „Stadt, sechs Stunden von Potsdam", in welcher der Füselier
Schulze, der vor Paris stand im Jahr 1871. zu Hause war, wie er Moltke
verrieth, und die er auf die Frage: „wie heißt denn das Nest?" etwas näher
damit bezeichnete: „Berlin, wenn Sie et noch nich kennen. Ex'llenz."

Unser Spielmannsbub will „studiren", und das hatte ohne die nöthigen
Gelder vor hundert Jahren seinen ebenso großen Haken wie heutzutage. Er
hilft sich im Anfang auf merkwürdige Weise. Er „überhört" gesittete wohl¬
versorgte Knaben und eignet sich dadurch heimlich ihr Wissen an. Er giebt
ihnen dafür „die brodlose Kunst seiner Schwänke" zu Tausch. Er wird er¬
tappt und die Folge davon Ist: die alten Schwestern, in deren Wollen- und


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[0424] Vorwort: „Mögen vor den nun selbst Alten, die vom erreichten Ziele zurück¬ schauen, ehe mit ihnen das Gedächtniß ihrer Alten für immer schwindet, noch einmal in flüchtigen Wandelbildern auf und absteigen die Lebensgange der Vorangegangenen: aus dämmernder Ferne, von den entlegensten Grenzen des deutschen Landes einander zustrebend zu glücklicher Vereinigung, zur Gründung des Hauses, zu treuer Gemeinschaft in guten und nicht guten Tagen, bei Hellem, wechselnden und trüben Himmel bis zu jenem letzten Abendscheine — auf den kein irdisches Morgenroth folgt." Selbstverständlich spielt auch dasjenige, was in „den Alten" an wirk¬ licher Handlung geboten wird, in der Hauptsache auf altpreußischen Boden. Selbstverständlich — nicht nur, weil der Dichter sich sagt: „Hier sind die Wurzeln deiner starken Kraft", sondern namentlich deßhalb, weil Preußen allein, vom Alten Fritz an bis heutzutage, die feste Kette historischer Con- tinuität in seinen staatlichen Strebungen bietet, welche der Dichter zum Ein¬ schlag seines Gewebes bedarf. Dorthin, nach Preußen, weist der alte schwä¬ bische Spielmann seinen kleinen Begleiter zu Anfang unsres Bändchens, „Willst Du jedoch durchaus zu was kommen, so lauf Du nur immer dem blanken Sternenwagen da droben nach. Einholen wirst Du ihn nicht, behalte aber die Spur Im Auge, die führt Dich in ein Land, ja, da ist's schnurrig. Da haben sie einen König, der geht mit dem Krückstock schlafen und steht mit dem Krückstock auf. und schlägt doch alle seine Schlachten selbst. Und so sind sie alle—arg hinterher, wie man sagt, eine stramme, zähe, knausrige Art, die von Kommisbrod und der Fuchtel als nochmal feister wird wie Andre, denen Alles in den Mund wachst, die den lieben Gott einen guten Mann sein lassen," Und der Knabe schüttelt den letzten Staub des Heimath¬ landes von seinen Schuhen und folgt dem blinkenden Sternenwagen gegen Norden, und gelangt in jene Landschaft, „wo man noch zu was kommen kann", in jene große und berühmte Stadt, „in der man damals schon von der Luft, wo nicht weise, doch witzig und klüger als alle andern Leute wurde, wiewohl die Luft schon damals nicht immer die beste gewesen sein soll" — in jene „Stadt, sechs Stunden von Potsdam", in welcher der Füselier Schulze, der vor Paris stand im Jahr 1871. zu Hause war, wie er Moltke verrieth, und die er auf die Frage: „wie heißt denn das Nest?" etwas näher damit bezeichnete: „Berlin, wenn Sie et noch nich kennen. Ex'llenz." Unser Spielmannsbub will „studiren", und das hatte ohne die nöthigen Gelder vor hundert Jahren seinen ebenso großen Haken wie heutzutage. Er hilft sich im Anfang auf merkwürdige Weise. Er „überhört" gesittete wohl¬ versorgte Knaben und eignet sich dadurch heimlich ihr Wissen an. Er giebt ihnen dafür „die brodlose Kunst seiner Schwänke" zu Tausch. Er wird er¬ tappt und die Folge davon Ist: die alten Schwestern, in deren Wollen- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/424>, abgerufen am 27.09.2024.