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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Dorfe zwischen den Häusern umhergeschleppt; halb ging oder lief sie, halb
wurde sie gezogen oder gezerrt, wenn sie gestolpert, in die Kniee gesunken
oder gestürzt war; dann sprangen Einige hinzu, um den nackten Leib der
Armen mit der fürchterlichen Peitsche aus dem Schwänze des Stachelrochen
zu schlagen, stießen ihn mit den Füßen und spieen ihn an. Immer wieder
richtete die Schmerzgepeinigte sich auf, wieder brach sie zusammen, bis sie,
mit Schmutz und Lehm besudelt, einige Male im Dorfe die Runde gemacht
hatte und endlich auf den Richtplatz gerissen wurde, wie man in unseren
Kleinstädter ein Stück Vieh zur Schlachtbank schleppt. Nachdem die wei߬
haarige Alle, die uns in ihrer traurigen Lage um so ehrwürdiger erschien,
und der wir leider durchaus nicht helfen konnten, auf diese Weise für die
Wirkung des Giftes empfänglich gemacht war, nahm sie dasselbe mit der
Ruhe der Verzweiflung. Ein Pulver von rostbrauner Farbe, wie zerriebene
Chocolade, wurde ihr in drei kleineren Portionen vom N-ganga gereicht;
die ersten beiden, etwa eßlöffelstarken Dosen erhielt sie trocken in den Mund
geschüttet, die letzte, ebenso große Gabe aber mußte sie mit Wasser vermischt
trinken. --

Die Sonne brach wieder durch, hell und freundlich überströmte sie uns
alle, das arme Weib und ihre Ankläger mit ihrem Strahlengold; über uns
rauschten Schaaren grüner Tauben durch die Luft, aber wer dachte an Jagd
auf die Thiere, wo hier ein Menschenleben auf dem Spiele stand! -- Trotz¬
dem die Frau wußte, daß sie Gift genommen, schien sie doch von ihrer Un¬
schuld und dem guten Ausgang überzeugt, denn wie hätte sie sonst auch nur
einem Gedanken an ihr Aussehen Raum geben können. Aber in der That
stand sie. nun von Allen gemieden, allein auf dem Platze und ordnete das
Hüftentuch, welches beim Hin- und Herschleifen halb zerfetzt war, sie strich
sich den Schmutz aus dem Haar und vom Körper und legte dann beide
Hände über den welken, zerfleischten Busen, um ihn zu verdecken. Es war
erschütternd anzusehen, und wir konnten dem Ausdruck des Schamge-
fühls der Armen in diesem Moment unsere innere Bewunderung
nicht versagen. Nun setzte sie sich auf eine Matte am Boden, um
die Wirkung des Giftes abzuwarten. Sie kam, und zwar, wie wir nach
der vorhergehenden Tortur der Frau nicht erwartet hatten, günstig! Sie
erbrach in kleinen Absätzen das Gift. Als sie den Brechreiz fühlte, und er
sich durch Räuspern bemerklich machte, rief ihr eine alte Frau, ihre Schwester,
aus den Zuschauern einige freundliche Worte rathend zu. Sie sollte auf
und abgehen; sie that es und, wie um ihre Ankläger und Feinde zu höhnen,
streckte sie mit heftigen Bewegungen die Beine aus und straffte die Arme,
als wolle sie die Kraft derselben, die ein Menschenalter gearbeitet,
prüfen. --


Dorfe zwischen den Häusern umhergeschleppt; halb ging oder lief sie, halb
wurde sie gezogen oder gezerrt, wenn sie gestolpert, in die Kniee gesunken
oder gestürzt war; dann sprangen Einige hinzu, um den nackten Leib der
Armen mit der fürchterlichen Peitsche aus dem Schwänze des Stachelrochen
zu schlagen, stießen ihn mit den Füßen und spieen ihn an. Immer wieder
richtete die Schmerzgepeinigte sich auf, wieder brach sie zusammen, bis sie,
mit Schmutz und Lehm besudelt, einige Male im Dorfe die Runde gemacht
hatte und endlich auf den Richtplatz gerissen wurde, wie man in unseren
Kleinstädter ein Stück Vieh zur Schlachtbank schleppt. Nachdem die wei߬
haarige Alle, die uns in ihrer traurigen Lage um so ehrwürdiger erschien,
und der wir leider durchaus nicht helfen konnten, auf diese Weise für die
Wirkung des Giftes empfänglich gemacht war, nahm sie dasselbe mit der
Ruhe der Verzweiflung. Ein Pulver von rostbrauner Farbe, wie zerriebene
Chocolade, wurde ihr in drei kleineren Portionen vom N-ganga gereicht;
die ersten beiden, etwa eßlöffelstarken Dosen erhielt sie trocken in den Mund
geschüttet, die letzte, ebenso große Gabe aber mußte sie mit Wasser vermischt
trinken. —

Die Sonne brach wieder durch, hell und freundlich überströmte sie uns
alle, das arme Weib und ihre Ankläger mit ihrem Strahlengold; über uns
rauschten Schaaren grüner Tauben durch die Luft, aber wer dachte an Jagd
auf die Thiere, wo hier ein Menschenleben auf dem Spiele stand! — Trotz¬
dem die Frau wußte, daß sie Gift genommen, schien sie doch von ihrer Un¬
schuld und dem guten Ausgang überzeugt, denn wie hätte sie sonst auch nur
einem Gedanken an ihr Aussehen Raum geben können. Aber in der That
stand sie. nun von Allen gemieden, allein auf dem Platze und ordnete das
Hüftentuch, welches beim Hin- und Herschleifen halb zerfetzt war, sie strich
sich den Schmutz aus dem Haar und vom Körper und legte dann beide
Hände über den welken, zerfleischten Busen, um ihn zu verdecken. Es war
erschütternd anzusehen, und wir konnten dem Ausdruck des Schamge-
fühls der Armen in diesem Moment unsere innere Bewunderung
nicht versagen. Nun setzte sie sich auf eine Matte am Boden, um
die Wirkung des Giftes abzuwarten. Sie kam, und zwar, wie wir nach
der vorhergehenden Tortur der Frau nicht erwartet hatten, günstig! Sie
erbrach in kleinen Absätzen das Gift. Als sie den Brechreiz fühlte, und er
sich durch Räuspern bemerklich machte, rief ihr eine alte Frau, ihre Schwester,
aus den Zuschauern einige freundliche Worte rathend zu. Sie sollte auf
und abgehen; sie that es und, wie um ihre Ankläger und Feinde zu höhnen,
streckte sie mit heftigen Bewegungen die Beine aus und straffte die Arme,
als wolle sie die Kraft derselben, die ein Menschenalter gearbeitet,
prüfen. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/420>, abgerufen am 20.10.2024.