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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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unserem Nachbardorfe N-zala ein Gottesgericht stattfinden werde; er setzte
hinzu, daß, wenn wir Lust hätten, wir demselben beiwohnen könnten. Auf
mein Befragen nach dem Grunde der Ceremonie, theilte er mir mit, daß
vor Kurzem ein junges Mädchen .aus guter Familie" an der Schlafsucht
(ÄOMyg. as Lorrmo der Portugiesen), einer jenen Gegenden -- besonders
Mossamedes -- und auch Brasilien eigenthümlichen und noch nicht genügend
aufgeklärten Krankheit, gestorben sei, und daß nun in N-zala eine alte Frau
als die Urheberin dieses Unglücksfalles, als ..toitiLöira" verdächtigt sei und
die Giftprobe durchzumachen habe. Schnell benachrichtigte ich meine College",
und wir beschlossen, nach eingenommenem Thee nach N-zala, etwa zwei¬
hundert Schritt hinter unserer Station zu gehen, um dem traurigen Schau¬
spiele zuzusehen.

Bald mahnte uns der vermehrte Lärm und das Schreien und Johlen
der Menge im Dorfe zum Aufbruch. Daselbst angelangt, erfuhren wir, daß
wan durch unser Kommen, welches der Dolmetsch verheißen, sich sehr ge¬
schmeichelt fühlte und deshalb auf uns gewartet habe. Im Dorfe war ein
großer, freier Platz, der mit feuchtem Lehm tennenartig gepflastert war; hier
sollte das Gericht stattfinden. Zuvorkommend setzten uns einige freundliche
Einwohner des Dorfes, mit dem wir stets im lebhaftesten Verkehr gestanden,
eine Bank zum Niedersitz nahe dem Richtplatz auf. Mit unseren Jagdwaffen
es war die Zugzeit wilder Tauben -- unter dem Gummimantel, denn
es regnete schon stark, nahmen wir Platz und warteten der kommenden
Dinge. -- Nicht weit von uns zu unserer Linken stand eine kartenhaus¬
ähnliche Hütte, unter welcher die Delinquentin gefesselt lag, in schweren
eisernen Ketten, die der europäische Handel bereitwillig einführt. Vor der
Deffnung der Hütte stand der N-ganga des Dorfes, mit verschiedenen Farben
abschreckend bemalt und mit Thierfellen und Federn grauenhaft und grotesk
geschmückt. Er hielt der Frau eine eindringliche Rede, die er mit dem Ge¬
räusch der verschiedenen über der linken Schulter hängenden Klappern (die
sich auch bei den Piai, den Medicinmännern Südamerikas, als "maraks,"
wiederfinden) und dem Läuten von Kupferglocken begleitete. Seine Worte
enthielten die Anklage gegen die Frau, die Preisung der unparteiischen
göttlichen Wirkung der N-cassa und die Aufforderung zum Genuß derselben.
Natürlich weigerte sich die Alte; doch was half ihr das? Sie sollte ge¬
lungen werden.

Wurde die Volksmenge durch den Widerspruch der Beschuldigten noch
"lehr gereizt, oder wollte sie in ihrer Weise bei Anwesenheit der Europäer
^enommiren, kurz die Wuth derselben steigerte sich und drückte sich in grau-
samer Weise aus. Die Frau wurde an der langen Kette, die mit einem
^luge um ihren Hals befestigt war, aus der Hütte gerissen und nun im


unserem Nachbardorfe N-zala ein Gottesgericht stattfinden werde; er setzte
hinzu, daß, wenn wir Lust hätten, wir demselben beiwohnen könnten. Auf
mein Befragen nach dem Grunde der Ceremonie, theilte er mir mit, daß
vor Kurzem ein junges Mädchen .aus guter Familie" an der Schlafsucht
(ÄOMyg. as Lorrmo der Portugiesen), einer jenen Gegenden — besonders
Mossamedes — und auch Brasilien eigenthümlichen und noch nicht genügend
aufgeklärten Krankheit, gestorben sei, und daß nun in N-zala eine alte Frau
als die Urheberin dieses Unglücksfalles, als ..toitiLöira" verdächtigt sei und
die Giftprobe durchzumachen habe. Schnell benachrichtigte ich meine College»,
und wir beschlossen, nach eingenommenem Thee nach N-zala, etwa zwei¬
hundert Schritt hinter unserer Station zu gehen, um dem traurigen Schau¬
spiele zuzusehen.

Bald mahnte uns der vermehrte Lärm und das Schreien und Johlen
der Menge im Dorfe zum Aufbruch. Daselbst angelangt, erfuhren wir, daß
wan durch unser Kommen, welches der Dolmetsch verheißen, sich sehr ge¬
schmeichelt fühlte und deshalb auf uns gewartet habe. Im Dorfe war ein
großer, freier Platz, der mit feuchtem Lehm tennenartig gepflastert war; hier
sollte das Gericht stattfinden. Zuvorkommend setzten uns einige freundliche
Einwohner des Dorfes, mit dem wir stets im lebhaftesten Verkehr gestanden,
eine Bank zum Niedersitz nahe dem Richtplatz auf. Mit unseren Jagdwaffen
es war die Zugzeit wilder Tauben — unter dem Gummimantel, denn
es regnete schon stark, nahmen wir Platz und warteten der kommenden
Dinge. — Nicht weit von uns zu unserer Linken stand eine kartenhaus¬
ähnliche Hütte, unter welcher die Delinquentin gefesselt lag, in schweren
eisernen Ketten, die der europäische Handel bereitwillig einführt. Vor der
Deffnung der Hütte stand der N-ganga des Dorfes, mit verschiedenen Farben
abschreckend bemalt und mit Thierfellen und Federn grauenhaft und grotesk
geschmückt. Er hielt der Frau eine eindringliche Rede, die er mit dem Ge¬
räusch der verschiedenen über der linken Schulter hängenden Klappern (die
sich auch bei den Piai, den Medicinmännern Südamerikas, als „maraks,"
wiederfinden) und dem Läuten von Kupferglocken begleitete. Seine Worte
enthielten die Anklage gegen die Frau, die Preisung der unparteiischen
göttlichen Wirkung der N-cassa und die Aufforderung zum Genuß derselben.
Natürlich weigerte sich die Alte; doch was half ihr das? Sie sollte ge¬
lungen werden.

Wurde die Volksmenge durch den Widerspruch der Beschuldigten noch
"lehr gereizt, oder wollte sie in ihrer Weise bei Anwesenheit der Europäer
^enommiren, kurz die Wuth derselben steigerte sich und drückte sich in grau-
samer Weise aus. Die Frau wurde an der langen Kette, die mit einem
^luge um ihren Hals befestigt war, aus der Hütte gerissen und nun im


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[0419] unserem Nachbardorfe N-zala ein Gottesgericht stattfinden werde; er setzte hinzu, daß, wenn wir Lust hätten, wir demselben beiwohnen könnten. Auf mein Befragen nach dem Grunde der Ceremonie, theilte er mir mit, daß vor Kurzem ein junges Mädchen .aus guter Familie" an der Schlafsucht (ÄOMyg. as Lorrmo der Portugiesen), einer jenen Gegenden — besonders Mossamedes — und auch Brasilien eigenthümlichen und noch nicht genügend aufgeklärten Krankheit, gestorben sei, und daß nun in N-zala eine alte Frau als die Urheberin dieses Unglücksfalles, als ..toitiLöira" verdächtigt sei und die Giftprobe durchzumachen habe. Schnell benachrichtigte ich meine College», und wir beschlossen, nach eingenommenem Thee nach N-zala, etwa zwei¬ hundert Schritt hinter unserer Station zu gehen, um dem traurigen Schau¬ spiele zuzusehen. Bald mahnte uns der vermehrte Lärm und das Schreien und Johlen der Menge im Dorfe zum Aufbruch. Daselbst angelangt, erfuhren wir, daß wan durch unser Kommen, welches der Dolmetsch verheißen, sich sehr ge¬ schmeichelt fühlte und deshalb auf uns gewartet habe. Im Dorfe war ein großer, freier Platz, der mit feuchtem Lehm tennenartig gepflastert war; hier sollte das Gericht stattfinden. Zuvorkommend setzten uns einige freundliche Einwohner des Dorfes, mit dem wir stets im lebhaftesten Verkehr gestanden, eine Bank zum Niedersitz nahe dem Richtplatz auf. Mit unseren Jagdwaffen es war die Zugzeit wilder Tauben — unter dem Gummimantel, denn es regnete schon stark, nahmen wir Platz und warteten der kommenden Dinge. — Nicht weit von uns zu unserer Linken stand eine kartenhaus¬ ähnliche Hütte, unter welcher die Delinquentin gefesselt lag, in schweren eisernen Ketten, die der europäische Handel bereitwillig einführt. Vor der Deffnung der Hütte stand der N-ganga des Dorfes, mit verschiedenen Farben abschreckend bemalt und mit Thierfellen und Federn grauenhaft und grotesk geschmückt. Er hielt der Frau eine eindringliche Rede, die er mit dem Ge¬ räusch der verschiedenen über der linken Schulter hängenden Klappern (die sich auch bei den Piai, den Medicinmännern Südamerikas, als „maraks," wiederfinden) und dem Läuten von Kupferglocken begleitete. Seine Worte enthielten die Anklage gegen die Frau, die Preisung der unparteiischen göttlichen Wirkung der N-cassa und die Aufforderung zum Genuß derselben. Natürlich weigerte sich die Alte; doch was half ihr das? Sie sollte ge¬ lungen werden. Wurde die Volksmenge durch den Widerspruch der Beschuldigten noch "lehr gereizt, oder wollte sie in ihrer Weise bei Anwesenheit der Europäer ^enommiren, kurz die Wuth derselben steigerte sich und drückte sich in grau- samer Weise aus. Die Frau wurde an der langen Kette, die mit einem ^luge um ihren Hals befestigt war, aus der Hütte gerissen und nun im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/419>, abgerufen am 27.09.2024.