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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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der wie das Schwert des Damokles über den prachtvollen Goldbuchstaben
schwebte. Aber weder auf die Intelligenz noch auf den Charakter übt die
Dose eine üble Wirkung. Im Gegentheil läßt Moliere ihr in dieser Be¬
ziehung von Sganarelle im Don Juan nachrühmen:

"Was auch Aristoteles und die gesammte Philosophie sagen mögen, es
ist nichts im Vergleich mit dem Tabak. Er ist die Leidenschaft der recht¬
schaffnen Leute, und wer ohne Tabak lebt, ist nicht werth zu leben. Er er¬
quickt und reinigt nicht blos das menschliche Gehirn, sondern führt auch die
Seelen zur Tugend, und man lernt von ihm, ein wohlwollender Mensch werden.
Seht Ihr denn nicht, in welcher verbindlichen Weise man, sobald man ein
Schnupfer wird, sich seiner 'jedermann gegenüber bedient, und wie beflissen
man ist, nach rechts und links hin überall, wo man sich befindet, Prisen
anzubieten? Man wartet nicht einmal ab, daß sie verlangt werden, sondern
läuft hin, bevor der Wunsch laut wird, und so ist es denn wahr, daß der
Tabak allen denen, die schnupfen, ehrenwerthe und tugendhafte Gefühle
einflößt."

Ist der Tabak, mäßig, d. h. von jedem Einzelnen nach dem Maße seines
körperlichen Vermögens genossen, nicht schädlich, so muß andrerseits zugestan¬
den werden, daß er nicht entfernt die vortrefflichen medicinischen Eigenschaften
besitzt, die ihm die alten Aerzte nachrühmten und mit denen er geraume Zeit
von den Apotheken als "Heilmittel für Alles", als "heiliges Wundkraut"
u. d. verkauft wurde. Die Engländer scheinen ihm noch die meisten
Tugenden in dieser Hinsicht zuzuschreiben. Fairholt sagt in dem angeführ¬
ten Buche:

"Nach Merat hätten die Deutschen und die Schweizer die Gewohnheit,
Personen, die durch Untertauchen in Wasser erstickt worden, Tabaksrauch ein¬
zutreiben. Häusig wurde im vorigen Jahrhundert eine Abkochung von Tabak
zur Cur von hartnäckigen tonischen Krämpfen verwendet. Ebenso wurde die¬
selbe Medicin bei Katarrh und Bronchitis empfohlen und zwar gemischt mit
Cognac. Neander lobt ihn in dieser Form als höchst wirksames Brechmittel
^ was wir durchaus nicht in Zweifel ziehen wollen. Die Apotheker be¬
reiteten "Tabakswein" auf folgendem Wege. Man nahm 1 Unze Tabaks¬
blätter und 1 Pfund spanischen Wein, ließ die Mischung sieben Tage stehen,
ttoß sie durch Löschpapier und wendete sie dann als ein die Nierenthätigkeit
^förderndes Mittel gegert Wassersucht an. welches man den Kranken in
Dosen erst von 30, dann von 60 und zuletzt von 80 Tropfen täglich zweimal
^"nehmen ließ. Die londoner "Medical Gazette" berichtet, daß Fälle epi-
^wisch auftretenden Scharlachfiebers vor einigen Jahren durch Eingeben
gepulvertem Tabak gründlich und ohne üble Folge geheilt worden seien,
^'e Dosis betrug je nach dem Alter des Patienten ein Viertelgran bis 2


der wie das Schwert des Damokles über den prachtvollen Goldbuchstaben
schwebte. Aber weder auf die Intelligenz noch auf den Charakter übt die
Dose eine üble Wirkung. Im Gegentheil läßt Moliere ihr in dieser Be¬
ziehung von Sganarelle im Don Juan nachrühmen:

„Was auch Aristoteles und die gesammte Philosophie sagen mögen, es
ist nichts im Vergleich mit dem Tabak. Er ist die Leidenschaft der recht¬
schaffnen Leute, und wer ohne Tabak lebt, ist nicht werth zu leben. Er er¬
quickt und reinigt nicht blos das menschliche Gehirn, sondern führt auch die
Seelen zur Tugend, und man lernt von ihm, ein wohlwollender Mensch werden.
Seht Ihr denn nicht, in welcher verbindlichen Weise man, sobald man ein
Schnupfer wird, sich seiner 'jedermann gegenüber bedient, und wie beflissen
man ist, nach rechts und links hin überall, wo man sich befindet, Prisen
anzubieten? Man wartet nicht einmal ab, daß sie verlangt werden, sondern
läuft hin, bevor der Wunsch laut wird, und so ist es denn wahr, daß der
Tabak allen denen, die schnupfen, ehrenwerthe und tugendhafte Gefühle
einflößt."

Ist der Tabak, mäßig, d. h. von jedem Einzelnen nach dem Maße seines
körperlichen Vermögens genossen, nicht schädlich, so muß andrerseits zugestan¬
den werden, daß er nicht entfernt die vortrefflichen medicinischen Eigenschaften
besitzt, die ihm die alten Aerzte nachrühmten und mit denen er geraume Zeit
von den Apotheken als „Heilmittel für Alles", als „heiliges Wundkraut"
u. d. verkauft wurde. Die Engländer scheinen ihm noch die meisten
Tugenden in dieser Hinsicht zuzuschreiben. Fairholt sagt in dem angeführ¬
ten Buche:

„Nach Merat hätten die Deutschen und die Schweizer die Gewohnheit,
Personen, die durch Untertauchen in Wasser erstickt worden, Tabaksrauch ein¬
zutreiben. Häusig wurde im vorigen Jahrhundert eine Abkochung von Tabak
zur Cur von hartnäckigen tonischen Krämpfen verwendet. Ebenso wurde die¬
selbe Medicin bei Katarrh und Bronchitis empfohlen und zwar gemischt mit
Cognac. Neander lobt ihn in dieser Form als höchst wirksames Brechmittel
^ was wir durchaus nicht in Zweifel ziehen wollen. Die Apotheker be¬
reiteten „Tabakswein" auf folgendem Wege. Man nahm 1 Unze Tabaks¬
blätter und 1 Pfund spanischen Wein, ließ die Mischung sieben Tage stehen,
ttoß sie durch Löschpapier und wendete sie dann als ein die Nierenthätigkeit
^förderndes Mittel gegert Wassersucht an. welches man den Kranken in
Dosen erst von 30, dann von 60 und zuletzt von 80 Tropfen täglich zweimal
^»nehmen ließ. Die londoner „Medical Gazette" berichtet, daß Fälle epi-
^wisch auftretenden Scharlachfiebers vor einigen Jahren durch Eingeben
gepulvertem Tabak gründlich und ohne üble Folge geheilt worden seien,
^'e Dosis betrug je nach dem Alter des Patienten ein Viertelgran bis 2


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[0411] der wie das Schwert des Damokles über den prachtvollen Goldbuchstaben schwebte. Aber weder auf die Intelligenz noch auf den Charakter übt die Dose eine üble Wirkung. Im Gegentheil läßt Moliere ihr in dieser Be¬ ziehung von Sganarelle im Don Juan nachrühmen: „Was auch Aristoteles und die gesammte Philosophie sagen mögen, es ist nichts im Vergleich mit dem Tabak. Er ist die Leidenschaft der recht¬ schaffnen Leute, und wer ohne Tabak lebt, ist nicht werth zu leben. Er er¬ quickt und reinigt nicht blos das menschliche Gehirn, sondern führt auch die Seelen zur Tugend, und man lernt von ihm, ein wohlwollender Mensch werden. Seht Ihr denn nicht, in welcher verbindlichen Weise man, sobald man ein Schnupfer wird, sich seiner 'jedermann gegenüber bedient, und wie beflissen man ist, nach rechts und links hin überall, wo man sich befindet, Prisen anzubieten? Man wartet nicht einmal ab, daß sie verlangt werden, sondern läuft hin, bevor der Wunsch laut wird, und so ist es denn wahr, daß der Tabak allen denen, die schnupfen, ehrenwerthe und tugendhafte Gefühle einflößt." Ist der Tabak, mäßig, d. h. von jedem Einzelnen nach dem Maße seines körperlichen Vermögens genossen, nicht schädlich, so muß andrerseits zugestan¬ den werden, daß er nicht entfernt die vortrefflichen medicinischen Eigenschaften besitzt, die ihm die alten Aerzte nachrühmten und mit denen er geraume Zeit von den Apotheken als „Heilmittel für Alles", als „heiliges Wundkraut" u. d. verkauft wurde. Die Engländer scheinen ihm noch die meisten Tugenden in dieser Hinsicht zuzuschreiben. Fairholt sagt in dem angeführ¬ ten Buche: „Nach Merat hätten die Deutschen und die Schweizer die Gewohnheit, Personen, die durch Untertauchen in Wasser erstickt worden, Tabaksrauch ein¬ zutreiben. Häusig wurde im vorigen Jahrhundert eine Abkochung von Tabak zur Cur von hartnäckigen tonischen Krämpfen verwendet. Ebenso wurde die¬ selbe Medicin bei Katarrh und Bronchitis empfohlen und zwar gemischt mit Cognac. Neander lobt ihn in dieser Form als höchst wirksames Brechmittel ^ was wir durchaus nicht in Zweifel ziehen wollen. Die Apotheker be¬ reiteten „Tabakswein" auf folgendem Wege. Man nahm 1 Unze Tabaks¬ blätter und 1 Pfund spanischen Wein, ließ die Mischung sieben Tage stehen, ttoß sie durch Löschpapier und wendete sie dann als ein die Nierenthätigkeit ^förderndes Mittel gegert Wassersucht an. welches man den Kranken in Dosen erst von 30, dann von 60 und zuletzt von 80 Tropfen täglich zweimal ^»nehmen ließ. Die londoner „Medical Gazette" berichtet, daß Fälle epi- ^wisch auftretenden Scharlachfiebers vor einigen Jahren durch Eingeben gepulvertem Tabak gründlich und ohne üble Folge geheilt worden seien, ^'e Dosis betrug je nach dem Alter des Patienten ein Viertelgran bis 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/411>, abgerufen am 27.09.2024.