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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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rauchen, sind starke Trinker von spirituösen, wenige Trunkenbolde sind starke
Raucher, da beim Katzenjammer die Pfeife nicht schmeckt, und wo man Aus¬
nahmen antrifft, wird man finden, daß die Liebe zum Trinken vor der Liebe
zum Rauchen vorhanden war.

Aehnlich verhält es sich mit der Klage, der Tabak verderbe die Zähne,
schwache den Verstand, versenke in träumerisches Duseln, lasse das Gedächtniß
schwinden, mache arbeitsunfähig und verkürze das Leben. Daß die kurze
französische Thonpfeife den Zähnen schadet, ist gewiß nicht in Abrede zu
stellen. Daß der Tabak sie schwärze und überhaupt schlecht werden lasse, ist
grundlos. Eher könnten wir behaupten, er trage zu ihrer Erhaltung bei.
Newton wurde, wie bemerkt, 85 Jahre alt und hatte, als er starb, erst einen
Zahn verloren, obwohl er ein leidenschaftlicher Raucher war. Daß Rauchen
oder Schnupfen den Verstand schwache, wird jeder Tabaksliebhaber nicht blos
leugnen, sondern mit der Bemerkung erwidern, daß er schärfer denke, rascher
componire und reicher erfinde, wenn er rauche, als wenn er nicht rauche.
Sodann aber lehrt uns die Geschichte, daß viele starke Raucher oder Schnupfer
nichts weniger als träge, geistig urkräftige oder willensschwache Individuen,
sondern ungemein fleißige und energische Geister, fähig zum Ertragen der
schwersten Anstrengungen waren, wobei wir nur an Doctor Parr, Hobbes
und Walter Scott, an Friedrich den Großen, Gibbon und Napoleon den
Ersten erinnern. Auch Fürst Bismarck raucht und hat früher leidenschaftlich
geraucht. Daß der Tabak endlich das Leben verkürze, bedarf den von uns
im ersten Abschnitte angeführten Beispielen von hochbetagten berühmten
Rauchern gegenüber, denen jeder Leser aus eigner Erfahrung Beispiele von
langlebigen Freunden der Pfeife an die Seite zu stellen im Stande sein
wird, keiner Widerlegung. Es mag sein, daß Mancher sich durch zu viel
Rauchen von schweren Cigarren auf eine Weile den Magen verdorben und
die Nerven zerrüttet hat. Er hätte dann zu rechter Stunde in sich gehen
und aufhören sollen. Sonst ist hier zu fragen: was ist zu viel? Was
mehr ist, als einem frommt. Dem Einen macht eine Cigarre schon Beschwer¬
den, dem Andern hat "der grundgütige Gott", um mit dem Weihbischof von
Bingen bei Göthe zu reden, "die besondere Gnade verliehen", ein Dutzend
oder mehr des Tages zu genießen, und während jener sich das Rauchen
am Besten ganz versagt, darf dieser "wohl mit gutem Gewissen und mit
Dank dieser anvertrauten Gabe sich auch fernerhin erfreuen."

Daß das Schnupfen zu einer unsaubern Gewohnheit werden kann, ist
.sicher. Wir waren selbst einmal blutschwitzend Zeuge, wie ein Bonner Pro¬
fessor mit sehr ausgebildetem Niechorgan bei einem Freunde ein kunstvoll
geschriebenes, soeben angekommenes Diplom besah, das auf dem Tische vor
ihm aufgerollt war. und wie an besagtem Organ ein brauner Tropfen hing'


rauchen, sind starke Trinker von spirituösen, wenige Trunkenbolde sind starke
Raucher, da beim Katzenjammer die Pfeife nicht schmeckt, und wo man Aus¬
nahmen antrifft, wird man finden, daß die Liebe zum Trinken vor der Liebe
zum Rauchen vorhanden war.

Aehnlich verhält es sich mit der Klage, der Tabak verderbe die Zähne,
schwache den Verstand, versenke in träumerisches Duseln, lasse das Gedächtniß
schwinden, mache arbeitsunfähig und verkürze das Leben. Daß die kurze
französische Thonpfeife den Zähnen schadet, ist gewiß nicht in Abrede zu
stellen. Daß der Tabak sie schwärze und überhaupt schlecht werden lasse, ist
grundlos. Eher könnten wir behaupten, er trage zu ihrer Erhaltung bei.
Newton wurde, wie bemerkt, 85 Jahre alt und hatte, als er starb, erst einen
Zahn verloren, obwohl er ein leidenschaftlicher Raucher war. Daß Rauchen
oder Schnupfen den Verstand schwache, wird jeder Tabaksliebhaber nicht blos
leugnen, sondern mit der Bemerkung erwidern, daß er schärfer denke, rascher
componire und reicher erfinde, wenn er rauche, als wenn er nicht rauche.
Sodann aber lehrt uns die Geschichte, daß viele starke Raucher oder Schnupfer
nichts weniger als träge, geistig urkräftige oder willensschwache Individuen,
sondern ungemein fleißige und energische Geister, fähig zum Ertragen der
schwersten Anstrengungen waren, wobei wir nur an Doctor Parr, Hobbes
und Walter Scott, an Friedrich den Großen, Gibbon und Napoleon den
Ersten erinnern. Auch Fürst Bismarck raucht und hat früher leidenschaftlich
geraucht. Daß der Tabak endlich das Leben verkürze, bedarf den von uns
im ersten Abschnitte angeführten Beispielen von hochbetagten berühmten
Rauchern gegenüber, denen jeder Leser aus eigner Erfahrung Beispiele von
langlebigen Freunden der Pfeife an die Seite zu stellen im Stande sein
wird, keiner Widerlegung. Es mag sein, daß Mancher sich durch zu viel
Rauchen von schweren Cigarren auf eine Weile den Magen verdorben und
die Nerven zerrüttet hat. Er hätte dann zu rechter Stunde in sich gehen
und aufhören sollen. Sonst ist hier zu fragen: was ist zu viel? Was
mehr ist, als einem frommt. Dem Einen macht eine Cigarre schon Beschwer¬
den, dem Andern hat „der grundgütige Gott", um mit dem Weihbischof von
Bingen bei Göthe zu reden, „die besondere Gnade verliehen", ein Dutzend
oder mehr des Tages zu genießen, und während jener sich das Rauchen
am Besten ganz versagt, darf dieser „wohl mit gutem Gewissen und mit
Dank dieser anvertrauten Gabe sich auch fernerhin erfreuen."

Daß das Schnupfen zu einer unsaubern Gewohnheit werden kann, ist
.sicher. Wir waren selbst einmal blutschwitzend Zeuge, wie ein Bonner Pro¬
fessor mit sehr ausgebildetem Niechorgan bei einem Freunde ein kunstvoll
geschriebenes, soeben angekommenes Diplom besah, das auf dem Tische vor
ihm aufgerollt war. und wie an besagtem Organ ein brauner Tropfen hing'


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[0410] rauchen, sind starke Trinker von spirituösen, wenige Trunkenbolde sind starke Raucher, da beim Katzenjammer die Pfeife nicht schmeckt, und wo man Aus¬ nahmen antrifft, wird man finden, daß die Liebe zum Trinken vor der Liebe zum Rauchen vorhanden war. Aehnlich verhält es sich mit der Klage, der Tabak verderbe die Zähne, schwache den Verstand, versenke in träumerisches Duseln, lasse das Gedächtniß schwinden, mache arbeitsunfähig und verkürze das Leben. Daß die kurze französische Thonpfeife den Zähnen schadet, ist gewiß nicht in Abrede zu stellen. Daß der Tabak sie schwärze und überhaupt schlecht werden lasse, ist grundlos. Eher könnten wir behaupten, er trage zu ihrer Erhaltung bei. Newton wurde, wie bemerkt, 85 Jahre alt und hatte, als er starb, erst einen Zahn verloren, obwohl er ein leidenschaftlicher Raucher war. Daß Rauchen oder Schnupfen den Verstand schwache, wird jeder Tabaksliebhaber nicht blos leugnen, sondern mit der Bemerkung erwidern, daß er schärfer denke, rascher componire und reicher erfinde, wenn er rauche, als wenn er nicht rauche. Sodann aber lehrt uns die Geschichte, daß viele starke Raucher oder Schnupfer nichts weniger als träge, geistig urkräftige oder willensschwache Individuen, sondern ungemein fleißige und energische Geister, fähig zum Ertragen der schwersten Anstrengungen waren, wobei wir nur an Doctor Parr, Hobbes und Walter Scott, an Friedrich den Großen, Gibbon und Napoleon den Ersten erinnern. Auch Fürst Bismarck raucht und hat früher leidenschaftlich geraucht. Daß der Tabak endlich das Leben verkürze, bedarf den von uns im ersten Abschnitte angeführten Beispielen von hochbetagten berühmten Rauchern gegenüber, denen jeder Leser aus eigner Erfahrung Beispiele von langlebigen Freunden der Pfeife an die Seite zu stellen im Stande sein wird, keiner Widerlegung. Es mag sein, daß Mancher sich durch zu viel Rauchen von schweren Cigarren auf eine Weile den Magen verdorben und die Nerven zerrüttet hat. Er hätte dann zu rechter Stunde in sich gehen und aufhören sollen. Sonst ist hier zu fragen: was ist zu viel? Was mehr ist, als einem frommt. Dem Einen macht eine Cigarre schon Beschwer¬ den, dem Andern hat „der grundgütige Gott", um mit dem Weihbischof von Bingen bei Göthe zu reden, „die besondere Gnade verliehen", ein Dutzend oder mehr des Tages zu genießen, und während jener sich das Rauchen am Besten ganz versagt, darf dieser „wohl mit gutem Gewissen und mit Dank dieser anvertrauten Gabe sich auch fernerhin erfreuen." Daß das Schnupfen zu einer unsaubern Gewohnheit werden kann, ist .sicher. Wir waren selbst einmal blutschwitzend Zeuge, wie ein Bonner Pro¬ fessor mit sehr ausgebildetem Niechorgan bei einem Freunde ein kunstvoll geschriebenes, soeben angekommenes Diplom besah, das auf dem Tische vor ihm aufgerollt war. und wie an besagtem Organ ein brauner Tropfen hing'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/410>, abgerufen am 27.09.2024.