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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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nach Tabak als nach demjenigen verlangen sehen, dessen Entbehrung ihnen
am schwersten gefallen war. Für den Soldaten hat das Rauchen nicht blos
den Werth einer Gewohnheit. Bei Feldzügen wenigstens übt der Tabak
eine moralische Wirkung aus, der man selbst nach der Meinung von Militär¬
ärzten, welche ihm sonst nicht wohlwollen, Rechnung tragen muß. (Auch eine
physische Wirkung: es marschirt und es hungert sich besser, wenn man raucht.)
Infolge dessen liefert die französische Regierung seit 1853 ihren Soldaten
->eg,dg,e eantwe" zu ermäßigtem Preise, und zwar täglich 10 Gramm
eine Maßregel, die der Academiker Jolly lebhaft getadelt hat." (Auch in
den Vereinigten Staaten gehört zu den Competenzen der Soldaten eine be¬
stimmte Quantität Tabak und zwar nach der Sitte des Landes Kautabak.

Auch die Anklagen, die man gegen den Tabak von volkswirthschaftlichen
Standpunkte erhebt, beruhen auf schwachen Gründen. Der Tabaksbau, sagt
Man, nimmt große Flächen des besten Bodens in Anspruch, die viel vortheil¬
hafter mit Weizen oder einem andern Getreide besäet würden. Die Tabaks-
fabrication erfordert Tausende von Händen, die besser andere Waaren her¬
stellten. Europa verwandelt Millionen von Mark, Francs, Pfund Sterling
Piastern. Rubeln u. d. durch Rauchen in Asche, während es klüger thäte, sich
Brod und Fleisch dafür zu kaufen. Der Tabak macht Durst, treibt zum Bier
oder Wein in die Wirthshäuser, je mehr man raucht, desto mehr trinkt man,
dann kommt wohl auch ein Kartenspiel hinzu u. s. w.

Wir sagen dazu erstens, wer die Tabaksfelder abschaffen und durch Ge¬
treidefelder ersetzen will, der muß conseauent sein und unsre Weinberge und
Hopfenpflanzungen ausrotten, um sie durch Wälder oder Obstgärten oder
etwas anderes Nützliches zu ersetzen. Der Tabak ernährt nicht, der Wein
duch nicht, das Bier nur mäßig. Der Tabak berauscht, der Wein und das
Bier berauschen auch. Diese Getränke erfreuen die Zunge, der Tabak thut
desgleichen. Die feinste Havanna-Cigarre, die mir eine Stunde lang Ver¬
gnügen gewährt, mich angenehm aufregt, kostet noch nicht die Hälfte einer
feinen Flasche Wein, die dasselbe leistet. Diese Cigarre wird allerdings zu
^auch und Asche, aber das ist das Loos aller irdischen Dinge, und was
^'rd denn aus dem Johannisberger oder Champagner, wenn er die Zunge
^ssirt hat? Ganz und gar ungerechtfertigt endlich ist die Behauptung, der
Tabak verführe zum Trinken oder gar zur Trunksucht, wie gewisse Fanatiker
Zollen. Im Gegentheil lehrt die Erfahrung, daß starke Raucher in der Regel
Mäßige Leute sind, und daß viele überhaupt oder wenigstens beim Rauchen
^r Wasser trinken, da der Genuß von Wein und Bier die feine Zunge für
Eigenschaften guter Tabaks- und Cigarrensorten verdirbt, wie man um¬
kehrt auch zu einem Glase Bouquetwein nicht rauchen kann, ohne sich den
eschmack desselben zu vermindern oder zu zerstören. Viele, welche nicht


nach Tabak als nach demjenigen verlangen sehen, dessen Entbehrung ihnen
am schwersten gefallen war. Für den Soldaten hat das Rauchen nicht blos
den Werth einer Gewohnheit. Bei Feldzügen wenigstens übt der Tabak
eine moralische Wirkung aus, der man selbst nach der Meinung von Militär¬
ärzten, welche ihm sonst nicht wohlwollen, Rechnung tragen muß. (Auch eine
physische Wirkung: es marschirt und es hungert sich besser, wenn man raucht.)
Infolge dessen liefert die französische Regierung seit 1853 ihren Soldaten
->eg,dg,e eantwe" zu ermäßigtem Preise, und zwar täglich 10 Gramm
eine Maßregel, die der Academiker Jolly lebhaft getadelt hat." (Auch in
den Vereinigten Staaten gehört zu den Competenzen der Soldaten eine be¬
stimmte Quantität Tabak und zwar nach der Sitte des Landes Kautabak.

Auch die Anklagen, die man gegen den Tabak von volkswirthschaftlichen
Standpunkte erhebt, beruhen auf schwachen Gründen. Der Tabaksbau, sagt
Man, nimmt große Flächen des besten Bodens in Anspruch, die viel vortheil¬
hafter mit Weizen oder einem andern Getreide besäet würden. Die Tabaks-
fabrication erfordert Tausende von Händen, die besser andere Waaren her¬
stellten. Europa verwandelt Millionen von Mark, Francs, Pfund Sterling
Piastern. Rubeln u. d. durch Rauchen in Asche, während es klüger thäte, sich
Brod und Fleisch dafür zu kaufen. Der Tabak macht Durst, treibt zum Bier
oder Wein in die Wirthshäuser, je mehr man raucht, desto mehr trinkt man,
dann kommt wohl auch ein Kartenspiel hinzu u. s. w.

Wir sagen dazu erstens, wer die Tabaksfelder abschaffen und durch Ge¬
treidefelder ersetzen will, der muß conseauent sein und unsre Weinberge und
Hopfenpflanzungen ausrotten, um sie durch Wälder oder Obstgärten oder
etwas anderes Nützliches zu ersetzen. Der Tabak ernährt nicht, der Wein
duch nicht, das Bier nur mäßig. Der Tabak berauscht, der Wein und das
Bier berauschen auch. Diese Getränke erfreuen die Zunge, der Tabak thut
desgleichen. Die feinste Havanna-Cigarre, die mir eine Stunde lang Ver¬
gnügen gewährt, mich angenehm aufregt, kostet noch nicht die Hälfte einer
feinen Flasche Wein, die dasselbe leistet. Diese Cigarre wird allerdings zu
^auch und Asche, aber das ist das Loos aller irdischen Dinge, und was
^'rd denn aus dem Johannisberger oder Champagner, wenn er die Zunge
^ssirt hat? Ganz und gar ungerechtfertigt endlich ist die Behauptung, der
Tabak verführe zum Trinken oder gar zur Trunksucht, wie gewisse Fanatiker
Zollen. Im Gegentheil lehrt die Erfahrung, daß starke Raucher in der Regel
Mäßige Leute sind, und daß viele überhaupt oder wenigstens beim Rauchen
^r Wasser trinken, da der Genuß von Wein und Bier die feine Zunge für
Eigenschaften guter Tabaks- und Cigarrensorten verdirbt, wie man um¬
kehrt auch zu einem Glase Bouquetwein nicht rauchen kann, ohne sich den
eschmack desselben zu vermindern oder zu zerstören. Viele, welche nicht


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[0409] nach Tabak als nach demjenigen verlangen sehen, dessen Entbehrung ihnen am schwersten gefallen war. Für den Soldaten hat das Rauchen nicht blos den Werth einer Gewohnheit. Bei Feldzügen wenigstens übt der Tabak eine moralische Wirkung aus, der man selbst nach der Meinung von Militär¬ ärzten, welche ihm sonst nicht wohlwollen, Rechnung tragen muß. (Auch eine physische Wirkung: es marschirt und es hungert sich besser, wenn man raucht.) Infolge dessen liefert die französische Regierung seit 1853 ihren Soldaten ->eg,dg,e eantwe" zu ermäßigtem Preise, und zwar täglich 10 Gramm eine Maßregel, die der Academiker Jolly lebhaft getadelt hat." (Auch in den Vereinigten Staaten gehört zu den Competenzen der Soldaten eine be¬ stimmte Quantität Tabak und zwar nach der Sitte des Landes Kautabak. Auch die Anklagen, die man gegen den Tabak von volkswirthschaftlichen Standpunkte erhebt, beruhen auf schwachen Gründen. Der Tabaksbau, sagt Man, nimmt große Flächen des besten Bodens in Anspruch, die viel vortheil¬ hafter mit Weizen oder einem andern Getreide besäet würden. Die Tabaks- fabrication erfordert Tausende von Händen, die besser andere Waaren her¬ stellten. Europa verwandelt Millionen von Mark, Francs, Pfund Sterling Piastern. Rubeln u. d. durch Rauchen in Asche, während es klüger thäte, sich Brod und Fleisch dafür zu kaufen. Der Tabak macht Durst, treibt zum Bier oder Wein in die Wirthshäuser, je mehr man raucht, desto mehr trinkt man, dann kommt wohl auch ein Kartenspiel hinzu u. s. w. Wir sagen dazu erstens, wer die Tabaksfelder abschaffen und durch Ge¬ treidefelder ersetzen will, der muß conseauent sein und unsre Weinberge und Hopfenpflanzungen ausrotten, um sie durch Wälder oder Obstgärten oder etwas anderes Nützliches zu ersetzen. Der Tabak ernährt nicht, der Wein duch nicht, das Bier nur mäßig. Der Tabak berauscht, der Wein und das Bier berauschen auch. Diese Getränke erfreuen die Zunge, der Tabak thut desgleichen. Die feinste Havanna-Cigarre, die mir eine Stunde lang Ver¬ gnügen gewährt, mich angenehm aufregt, kostet noch nicht die Hälfte einer feinen Flasche Wein, die dasselbe leistet. Diese Cigarre wird allerdings zu ^auch und Asche, aber das ist das Loos aller irdischen Dinge, und was ^'rd denn aus dem Johannisberger oder Champagner, wenn er die Zunge ^ssirt hat? Ganz und gar ungerechtfertigt endlich ist die Behauptung, der Tabak verführe zum Trinken oder gar zur Trunksucht, wie gewisse Fanatiker Zollen. Im Gegentheil lehrt die Erfahrung, daß starke Raucher in der Regel Mäßige Leute sind, und daß viele überhaupt oder wenigstens beim Rauchen ^r Wasser trinken, da der Genuß von Wein und Bier die feine Zunge für Eigenschaften guter Tabaks- und Cigarrensorten verdirbt, wie man um¬ kehrt auch zu einem Glase Bouquetwein nicht rauchen kann, ohne sich den eschmack desselben zu vermindern oder zu zerstören. Viele, welche nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/409>, abgerufen am 27.09.2024.