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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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"Geraucht stört der Tabak die Functionen des Magens, sei es durch
den Verlust des Speichels, den der Rauchende wegspuckt, sei es infolge des
Dampfes, den er verschluckt. (Was nur die wilde Rothhaut thut.) Er greift
die Zähne an und schwärzt sie, schwächt die Sehkraft, reizt die Lunge und
kann an den Lippen des Rauchers die Entwicklung bösartiger Geschwüre zur
Folge haben. Die durch Pfeifen mit zu kurzem Rohr, durch Cigarren oder
Cigaretten an die Zähne gelangende Hitze läßt den Schmelzüberzug derselben
zerspringen". (Gut, so rauche man aus langer Pfeife oder Cigarrenspitze.)

"Das durch die Nase eingezogne Tabakspulver reizt die Schleimhaut der
Nase und Stirnhöhle, zwingt zum Niesen, bewirkt übermäßige Ausscheidung
von Flüssigkeit und vermindert die Fähigkeit zu riechen, ja läßt sie oft ganz
verschwinden. Bei manchen eifrigen Schnupfern, welche eine beträchtliche
Menge Tabak nehmen, wird ein Theil des schwarzen Staubes verschluckt und
sinkt auf diese Weise in den Magen, der das darin enthaltene Nicotin auf¬
saugt. Endlich nimmt der Athem des Schnupfers einen starken, wider¬
wärtigen Geruch an. Seine Kleider duften nach altem Tabak, seine Wäsche
ist besudelt. Die Gewohnheit des Schnupfens ist entschieden unanständig."

Liegt in den letzten Sätzen manches, was nicht wohl zu leugnen ist, so
verfällt unser Autor wieder in Uebertreibung, wenn er nach Schilderung der
kleinen Leiden des Anfängers im Rauchen fortfährt:

"Aber der Zweck läßt Alles ertragen: man muß rauchen, man ist ohne
jenen Preis kein Mann. Die Gewohnheit mildert mit der Zeit jene pein¬
lichen Folgen, jene schrecklichen Empfindungen beim Beginn, eine übel ange¬
brachte Eitelkeit gestattet kein Zurücktreten, man darf einen um den Preis
entsetzlicher Leiden erkauften Grad nicht aufgeben. Man raucht von Woche
zu Woche mehr, man sucht mehr und mehr jenen Halbschlummer auf, während
dessen die Vernunft abdicirt und das Denken erlischt; bald wird jede Aufmerk¬
samkeit zur Unmöglichkeit, und das Erinnerungsvermögen verliert sich. Der
Raucher findet an nichts mehr Geschmack, was nicht mit diesem berauschenden
Qualme gewürzt ist; er verdaut nicht, wenn er nicht raucht, er schläft nicht
ein, wenn er nicht erst die Pfeife oder Cigarre im Munde gehabt hat, er
raucht sofort nach dem Aufstehen, er muß auf jeder Reise den Tabak zum
Begleiter lMen. Er hat einen Zeitvertreib gesucht und hat einen Herrn
und Meister gefunden, der seinem Sclaven keinen Augenblick Ruhe gönnt.
Der Tabak ist aus einer Gewohnheit eine Leidenschaft, ein unbedingtes Be¬
dürfniß, eine vollständige Knechtschaft geworden. Dieses unnatürliche Be¬
dürfniß wird so gebieterisch, daß es an die Stelle wirklicher Bedürfnisse tritt.
Hat der Raucher zwischen Tabak und Brod zu wählen, sagt Balzac, so
zögert er nicht, nach dem ersteren zu greifen. Man hat Bergleute, die
mehrere Tage verschüttet gewesen waren, als sie ausgegraben worden, zuerst


„Geraucht stört der Tabak die Functionen des Magens, sei es durch
den Verlust des Speichels, den der Rauchende wegspuckt, sei es infolge des
Dampfes, den er verschluckt. (Was nur die wilde Rothhaut thut.) Er greift
die Zähne an und schwärzt sie, schwächt die Sehkraft, reizt die Lunge und
kann an den Lippen des Rauchers die Entwicklung bösartiger Geschwüre zur
Folge haben. Die durch Pfeifen mit zu kurzem Rohr, durch Cigarren oder
Cigaretten an die Zähne gelangende Hitze läßt den Schmelzüberzug derselben
zerspringen". (Gut, so rauche man aus langer Pfeife oder Cigarrenspitze.)

„Das durch die Nase eingezogne Tabakspulver reizt die Schleimhaut der
Nase und Stirnhöhle, zwingt zum Niesen, bewirkt übermäßige Ausscheidung
von Flüssigkeit und vermindert die Fähigkeit zu riechen, ja läßt sie oft ganz
verschwinden. Bei manchen eifrigen Schnupfern, welche eine beträchtliche
Menge Tabak nehmen, wird ein Theil des schwarzen Staubes verschluckt und
sinkt auf diese Weise in den Magen, der das darin enthaltene Nicotin auf¬
saugt. Endlich nimmt der Athem des Schnupfers einen starken, wider¬
wärtigen Geruch an. Seine Kleider duften nach altem Tabak, seine Wäsche
ist besudelt. Die Gewohnheit des Schnupfens ist entschieden unanständig."

Liegt in den letzten Sätzen manches, was nicht wohl zu leugnen ist, so
verfällt unser Autor wieder in Uebertreibung, wenn er nach Schilderung der
kleinen Leiden des Anfängers im Rauchen fortfährt:

„Aber der Zweck läßt Alles ertragen: man muß rauchen, man ist ohne
jenen Preis kein Mann. Die Gewohnheit mildert mit der Zeit jene pein¬
lichen Folgen, jene schrecklichen Empfindungen beim Beginn, eine übel ange¬
brachte Eitelkeit gestattet kein Zurücktreten, man darf einen um den Preis
entsetzlicher Leiden erkauften Grad nicht aufgeben. Man raucht von Woche
zu Woche mehr, man sucht mehr und mehr jenen Halbschlummer auf, während
dessen die Vernunft abdicirt und das Denken erlischt; bald wird jede Aufmerk¬
samkeit zur Unmöglichkeit, und das Erinnerungsvermögen verliert sich. Der
Raucher findet an nichts mehr Geschmack, was nicht mit diesem berauschenden
Qualme gewürzt ist; er verdaut nicht, wenn er nicht raucht, er schläft nicht
ein, wenn er nicht erst die Pfeife oder Cigarre im Munde gehabt hat, er
raucht sofort nach dem Aufstehen, er muß auf jeder Reise den Tabak zum
Begleiter lMen. Er hat einen Zeitvertreib gesucht und hat einen Herrn
und Meister gefunden, der seinem Sclaven keinen Augenblick Ruhe gönnt.
Der Tabak ist aus einer Gewohnheit eine Leidenschaft, ein unbedingtes Be¬
dürfniß, eine vollständige Knechtschaft geworden. Dieses unnatürliche Be¬
dürfniß wird so gebieterisch, daß es an die Stelle wirklicher Bedürfnisse tritt.
Hat der Raucher zwischen Tabak und Brod zu wählen, sagt Balzac, so
zögert er nicht, nach dem ersteren zu greifen. Man hat Bergleute, die
mehrere Tage verschüttet gewesen waren, als sie ausgegraben worden, zuerst


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[0408] „Geraucht stört der Tabak die Functionen des Magens, sei es durch den Verlust des Speichels, den der Rauchende wegspuckt, sei es infolge des Dampfes, den er verschluckt. (Was nur die wilde Rothhaut thut.) Er greift die Zähne an und schwärzt sie, schwächt die Sehkraft, reizt die Lunge und kann an den Lippen des Rauchers die Entwicklung bösartiger Geschwüre zur Folge haben. Die durch Pfeifen mit zu kurzem Rohr, durch Cigarren oder Cigaretten an die Zähne gelangende Hitze läßt den Schmelzüberzug derselben zerspringen". (Gut, so rauche man aus langer Pfeife oder Cigarrenspitze.) „Das durch die Nase eingezogne Tabakspulver reizt die Schleimhaut der Nase und Stirnhöhle, zwingt zum Niesen, bewirkt übermäßige Ausscheidung von Flüssigkeit und vermindert die Fähigkeit zu riechen, ja läßt sie oft ganz verschwinden. Bei manchen eifrigen Schnupfern, welche eine beträchtliche Menge Tabak nehmen, wird ein Theil des schwarzen Staubes verschluckt und sinkt auf diese Weise in den Magen, der das darin enthaltene Nicotin auf¬ saugt. Endlich nimmt der Athem des Schnupfers einen starken, wider¬ wärtigen Geruch an. Seine Kleider duften nach altem Tabak, seine Wäsche ist besudelt. Die Gewohnheit des Schnupfens ist entschieden unanständig." Liegt in den letzten Sätzen manches, was nicht wohl zu leugnen ist, so verfällt unser Autor wieder in Uebertreibung, wenn er nach Schilderung der kleinen Leiden des Anfängers im Rauchen fortfährt: „Aber der Zweck läßt Alles ertragen: man muß rauchen, man ist ohne jenen Preis kein Mann. Die Gewohnheit mildert mit der Zeit jene pein¬ lichen Folgen, jene schrecklichen Empfindungen beim Beginn, eine übel ange¬ brachte Eitelkeit gestattet kein Zurücktreten, man darf einen um den Preis entsetzlicher Leiden erkauften Grad nicht aufgeben. Man raucht von Woche zu Woche mehr, man sucht mehr und mehr jenen Halbschlummer auf, während dessen die Vernunft abdicirt und das Denken erlischt; bald wird jede Aufmerk¬ samkeit zur Unmöglichkeit, und das Erinnerungsvermögen verliert sich. Der Raucher findet an nichts mehr Geschmack, was nicht mit diesem berauschenden Qualme gewürzt ist; er verdaut nicht, wenn er nicht raucht, er schläft nicht ein, wenn er nicht erst die Pfeife oder Cigarre im Munde gehabt hat, er raucht sofort nach dem Aufstehen, er muß auf jeder Reise den Tabak zum Begleiter lMen. Er hat einen Zeitvertreib gesucht und hat einen Herrn und Meister gefunden, der seinem Sclaven keinen Augenblick Ruhe gönnt. Der Tabak ist aus einer Gewohnheit eine Leidenschaft, ein unbedingtes Be¬ dürfniß, eine vollständige Knechtschaft geworden. Dieses unnatürliche Be¬ dürfniß wird so gebieterisch, daß es an die Stelle wirklicher Bedürfnisse tritt. Hat der Raucher zwischen Tabak und Brod zu wählen, sagt Balzac, so zögert er nicht, nach dem ersteren zu greifen. Man hat Bergleute, die mehrere Tage verschüttet gewesen waren, als sie ausgegraben worden, zuerst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/408>, abgerufen am 27.09.2024.