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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Reichstagsmehrheit auf dem Bruchstück einer Anwaltsordnung bestehen konnte,
nachdem vom Bundesrathstisch die Vorlage einer vollständigen Anwalts¬
ordnung an den nächsten Reichstag zugesagt war. Denn die Besorgniß ist
zu wenig stichhaltig, daß der Bundesrath eine Anwaltsordnung vorlegen
könnte, welche mit der jetzt beschlossenen Regelung des Gerichtsverfahrens
nicht im Einklang stehen möchte. --

Die Justizcommission des Reichstags hat aber neben der Ausdehnung
der einheitlichen Regelung noch eine andere Abweichung von politischer Be¬
deutung von der Vorlage der Gerichtsverfassung in das Gesetz hineingetragen.
Wir meinen die Aburtheilung der Preßvergehen und Preßverbrechen durch
die Schwurgerichte. Am 22. November ist der Reichstag dem Beschluß der
Commission mit großer Majorität beigetreten. Und doch war in der vor¬
ausgegangenen Versammlung das Uebergewicht der Gründe ganz entschieden
auf Seiten der Gegner dieser Zuständigkeit der Schwurgerichte. Die Haupt¬
gründe, welche die Schwurgerichte zur Aburtheilung der Preßvergehen unfähig
wachen, sind freilich gar nicht zur Sprache gekommen. Am Bundesrathstisch
beschränkte man sich auf die Ausführung, daß das in dem Verfassungsgesetz
angenommene System der Competenzvertheilung zwischen den drei Gerichts¬
stufen durchbrochen, mithin für die Presse ein nicht zu begründendes Vorrecht
geschaffen würde. Aus dem Reichstag führte Gneist in seiner tiefen Weise
aus. nachdem er sich als überzeugten Anhänger des Schwurgerichts bekannt,
daß Nichts dieser Institution schädlicher sein könne, als den regelmäßigen
Kreis ihrer Wirksamkeit durch Ausdehnung auf Favoritgegenstände zu er¬
weitern. Wolle man das Schwurgericht in dauernder, behauptungsfähtger Weise
ausdehnen, so müsse man es an der gesammten Strafrechtspflege betheiligen.
Auch Treitschke erhob sich gegen die Zuständigkeit des Schwurgerichts in
Preßsachen. Er zeigte sich als den geborenen Redner, der er ist, indem er
^e Versammlung hinriß ohne sie zu bekehren, indem er auch Ihren Bericht¬
erstatter hinriß, der längst gegen die Schwurgerichte bekehrt war, der aber
^eitles den Irrthum der Treitschkeschen Gründe sich nicht verhehlen konnte,
^es glaube, die ganze Argumentation erhält einen unrichtigen Zielpunkt,
^um man beweisen will, wie Treitschke that, daß die Presse des Schwur¬
gerichts nicht würdig ist. Man muß umgekehrt beweisen, daß Geschworene
die Fähigkeit haben können, der Presse gerecht zu werden, weder im
^'urtheilen noch im Freisprechen. Treitschke's mit großem Nachdrucke vor-
Ketragene Behauptung, daß zwischen Vergehen mittelst des gesprochenen und
Mittelst des gedruckten Wortes nicht der geringste Unterschied obwalte, ist
^"z gewiß ein ganzer Irrthum. Nicht minder die Ansicht, den Grund für
Entartung der Presse in der Anonymität zu finden. --


Reichstagsmehrheit auf dem Bruchstück einer Anwaltsordnung bestehen konnte,
nachdem vom Bundesrathstisch die Vorlage einer vollständigen Anwalts¬
ordnung an den nächsten Reichstag zugesagt war. Denn die Besorgniß ist
zu wenig stichhaltig, daß der Bundesrath eine Anwaltsordnung vorlegen
könnte, welche mit der jetzt beschlossenen Regelung des Gerichtsverfahrens
nicht im Einklang stehen möchte. —

Die Justizcommission des Reichstags hat aber neben der Ausdehnung
der einheitlichen Regelung noch eine andere Abweichung von politischer Be¬
deutung von der Vorlage der Gerichtsverfassung in das Gesetz hineingetragen.
Wir meinen die Aburtheilung der Preßvergehen und Preßverbrechen durch
die Schwurgerichte. Am 22. November ist der Reichstag dem Beschluß der
Commission mit großer Majorität beigetreten. Und doch war in der vor¬
ausgegangenen Versammlung das Uebergewicht der Gründe ganz entschieden
auf Seiten der Gegner dieser Zuständigkeit der Schwurgerichte. Die Haupt¬
gründe, welche die Schwurgerichte zur Aburtheilung der Preßvergehen unfähig
wachen, sind freilich gar nicht zur Sprache gekommen. Am Bundesrathstisch
beschränkte man sich auf die Ausführung, daß das in dem Verfassungsgesetz
angenommene System der Competenzvertheilung zwischen den drei Gerichts¬
stufen durchbrochen, mithin für die Presse ein nicht zu begründendes Vorrecht
geschaffen würde. Aus dem Reichstag führte Gneist in seiner tiefen Weise
aus. nachdem er sich als überzeugten Anhänger des Schwurgerichts bekannt,
daß Nichts dieser Institution schädlicher sein könne, als den regelmäßigen
Kreis ihrer Wirksamkeit durch Ausdehnung auf Favoritgegenstände zu er¬
weitern. Wolle man das Schwurgericht in dauernder, behauptungsfähtger Weise
ausdehnen, so müsse man es an der gesammten Strafrechtspflege betheiligen.
Auch Treitschke erhob sich gegen die Zuständigkeit des Schwurgerichts in
Preßsachen. Er zeigte sich als den geborenen Redner, der er ist, indem er
^e Versammlung hinriß ohne sie zu bekehren, indem er auch Ihren Bericht¬
erstatter hinriß, der längst gegen die Schwurgerichte bekehrt war, der aber
^eitles den Irrthum der Treitschkeschen Gründe sich nicht verhehlen konnte,
^es glaube, die ganze Argumentation erhält einen unrichtigen Zielpunkt,
^um man beweisen will, wie Treitschke that, daß die Presse des Schwur¬
gerichts nicht würdig ist. Man muß umgekehrt beweisen, daß Geschworene
die Fähigkeit haben können, der Presse gerecht zu werden, weder im
^'urtheilen noch im Freisprechen. Treitschke's mit großem Nachdrucke vor-
Ketragene Behauptung, daß zwischen Vergehen mittelst des gesprochenen und
Mittelst des gedruckten Wortes nicht der geringste Unterschied obwalte, ist
^"z gewiß ein ganzer Irrthum. Nicht minder die Ansicht, den Grund für
Entartung der Presse in der Anonymität zu finden. —


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[0399] Reichstagsmehrheit auf dem Bruchstück einer Anwaltsordnung bestehen konnte, nachdem vom Bundesrathstisch die Vorlage einer vollständigen Anwalts¬ ordnung an den nächsten Reichstag zugesagt war. Denn die Besorgniß ist zu wenig stichhaltig, daß der Bundesrath eine Anwaltsordnung vorlegen könnte, welche mit der jetzt beschlossenen Regelung des Gerichtsverfahrens nicht im Einklang stehen möchte. — Die Justizcommission des Reichstags hat aber neben der Ausdehnung der einheitlichen Regelung noch eine andere Abweichung von politischer Be¬ deutung von der Vorlage der Gerichtsverfassung in das Gesetz hineingetragen. Wir meinen die Aburtheilung der Preßvergehen und Preßverbrechen durch die Schwurgerichte. Am 22. November ist der Reichstag dem Beschluß der Commission mit großer Majorität beigetreten. Und doch war in der vor¬ ausgegangenen Versammlung das Uebergewicht der Gründe ganz entschieden auf Seiten der Gegner dieser Zuständigkeit der Schwurgerichte. Die Haupt¬ gründe, welche die Schwurgerichte zur Aburtheilung der Preßvergehen unfähig wachen, sind freilich gar nicht zur Sprache gekommen. Am Bundesrathstisch beschränkte man sich auf die Ausführung, daß das in dem Verfassungsgesetz angenommene System der Competenzvertheilung zwischen den drei Gerichts¬ stufen durchbrochen, mithin für die Presse ein nicht zu begründendes Vorrecht geschaffen würde. Aus dem Reichstag führte Gneist in seiner tiefen Weise aus. nachdem er sich als überzeugten Anhänger des Schwurgerichts bekannt, daß Nichts dieser Institution schädlicher sein könne, als den regelmäßigen Kreis ihrer Wirksamkeit durch Ausdehnung auf Favoritgegenstände zu er¬ weitern. Wolle man das Schwurgericht in dauernder, behauptungsfähtger Weise ausdehnen, so müsse man es an der gesammten Strafrechtspflege betheiligen. Auch Treitschke erhob sich gegen die Zuständigkeit des Schwurgerichts in Preßsachen. Er zeigte sich als den geborenen Redner, der er ist, indem er ^e Versammlung hinriß ohne sie zu bekehren, indem er auch Ihren Bericht¬ erstatter hinriß, der längst gegen die Schwurgerichte bekehrt war, der aber ^eitles den Irrthum der Treitschkeschen Gründe sich nicht verhehlen konnte, ^es glaube, die ganze Argumentation erhält einen unrichtigen Zielpunkt, ^um man beweisen will, wie Treitschke that, daß die Presse des Schwur¬ gerichts nicht würdig ist. Man muß umgekehrt beweisen, daß Geschworene die Fähigkeit haben können, der Presse gerecht zu werden, weder im ^'urtheilen noch im Freisprechen. Treitschke's mit großem Nachdrucke vor- Ketragene Behauptung, daß zwischen Vergehen mittelst des gesprochenen und Mittelst des gedruckten Wortes nicht der geringste Unterschied obwalte, ist ^"z gewiß ein ganzer Irrthum. Nicht minder die Ansicht, den Grund für Entartung der Presse in der Anonymität zu finden. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/399>, abgerufen am 20.10.2024.