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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Reiches zustehen. Eine Justizhoheit, nachdem die Gesetzgebung über das
materielle Recht auf das Reich übergegangen, eine Justizhoheit also, welche
sich grade nur auf einen Theil der Form der Rechtspflege bezieht, da auch
das Gerichtsverfahren der Reichsgesetzgebung unterliegt, hat weder Sinn noch
Werth, kann vielmehr nur Schaden stiften. Da jedoch unglücklicher Weise
die Verfassungsbestimmung, dem Reich auch die gesammte Gerichtsverfassung
zu unterstellen, nicht erobert worden, so scheint mir der Weg, den die Justiz-
commisston des Reichstages eingeschlagen, ein verfehlter: der Weg nämlich,
in das Reichsgesetz über die Gerichtsverfassung so viel hineinzubringen, als
sich irgend erraffen ließ. Es wäre besser gewesen, mit Freimuth dem Bundesrath
noch einmal an das Herz zu legen, daß eine einheitliche Regel des Gerichtsver¬
fahrens unausweichlich auch die einheitliche Gerichtsverfassung erfordert, und
demnach den Bundesrath um Vorlage einer vollständigen Gerichtsverfassung
zu ersuchen. Versprach man sich von diesem Schritt für jetzt keine Wirkung,
so war es besser, sich einstweilen mit dem zu begnügen, was die Regierungs¬
vorlage bot, in der sicheren Voraussicht, daß die anderen Stücke nachfolgen
müssen. Indem die Commission statt dessen die einheitliche Regelung des
Gerichtswesens nach vielen Seiten ausgedehnt und doch immer nur frag¬
mentarisch ausgedehnt, hat sie in der That den Bundesregierungen eine
Verlegenheit geschaffen. Denn nichts ist unbequemer, als Fragmente anzu¬
nehmen, die für das Ganze präjudicirlich sind, während das Ganze noch nicht
erwogen und durchverhandelt ist.

Die Stücke der Gerichtsverfassung, welche die Justizcommission des
Reichstags in die Vorlage hineingetragen, betreffen die Bedingungen der
richterlichen Laufbahn, ohne dieselben zu erschöpfen; betreffen die Bildung
der Gerichte, ohne dieselbe zu erschöpfen; betreffen die Beschaffenheit der so¬
genannten Competenzhöfe zur Feststellung der Grenzen zwischen Verwaltungs¬
gerichtsbarkeit und Privatrechtlicher Gerichtsbarkeit, ohne dieselbe zu erschöpfen:
betreffen die Ordnung der Rechtsanwaltschaft, ohne dieselbe zu erschöpfen-
Das heißt den Regierungen zu viel unverdauliche Fragmente bieten. Denn
mit Recht können, müssen vielleicht die Regierungen sagen: wenn wir das
ganze Gerichtswesen einheitlich ordnen, so wollen wir es auf der Basis einer
Erwägung aller Verhältnisse thun, nicht aber auf fragmentarisch präjudizir-
licher Basis. --

Wären dieser vom Reichstag belegten Fragmente nicht zu viele, handelte
es sich z. B. nur um die Bedingungen der Angehörigkeit zum Richterstand,
so würde der Reichstag mit seinem Wunsch unzweifelhaft durchdringen. Bei
dem jetzt eingeschlagenen Verfahren aber ist die Gefahr, daß das ganze Gesetz
scheitert, ziemlich groß geworden. Schwer begreiflich ist namentlich, wie die


Reiches zustehen. Eine Justizhoheit, nachdem die Gesetzgebung über das
materielle Recht auf das Reich übergegangen, eine Justizhoheit also, welche
sich grade nur auf einen Theil der Form der Rechtspflege bezieht, da auch
das Gerichtsverfahren der Reichsgesetzgebung unterliegt, hat weder Sinn noch
Werth, kann vielmehr nur Schaden stiften. Da jedoch unglücklicher Weise
die Verfassungsbestimmung, dem Reich auch die gesammte Gerichtsverfassung
zu unterstellen, nicht erobert worden, so scheint mir der Weg, den die Justiz-
commisston des Reichstages eingeschlagen, ein verfehlter: der Weg nämlich,
in das Reichsgesetz über die Gerichtsverfassung so viel hineinzubringen, als
sich irgend erraffen ließ. Es wäre besser gewesen, mit Freimuth dem Bundesrath
noch einmal an das Herz zu legen, daß eine einheitliche Regel des Gerichtsver¬
fahrens unausweichlich auch die einheitliche Gerichtsverfassung erfordert, und
demnach den Bundesrath um Vorlage einer vollständigen Gerichtsverfassung
zu ersuchen. Versprach man sich von diesem Schritt für jetzt keine Wirkung,
so war es besser, sich einstweilen mit dem zu begnügen, was die Regierungs¬
vorlage bot, in der sicheren Voraussicht, daß die anderen Stücke nachfolgen
müssen. Indem die Commission statt dessen die einheitliche Regelung des
Gerichtswesens nach vielen Seiten ausgedehnt und doch immer nur frag¬
mentarisch ausgedehnt, hat sie in der That den Bundesregierungen eine
Verlegenheit geschaffen. Denn nichts ist unbequemer, als Fragmente anzu¬
nehmen, die für das Ganze präjudicirlich sind, während das Ganze noch nicht
erwogen und durchverhandelt ist.

Die Stücke der Gerichtsverfassung, welche die Justizcommission des
Reichstags in die Vorlage hineingetragen, betreffen die Bedingungen der
richterlichen Laufbahn, ohne dieselben zu erschöpfen; betreffen die Bildung
der Gerichte, ohne dieselbe zu erschöpfen; betreffen die Beschaffenheit der so¬
genannten Competenzhöfe zur Feststellung der Grenzen zwischen Verwaltungs¬
gerichtsbarkeit und Privatrechtlicher Gerichtsbarkeit, ohne dieselbe zu erschöpfen:
betreffen die Ordnung der Rechtsanwaltschaft, ohne dieselbe zu erschöpfen-
Das heißt den Regierungen zu viel unverdauliche Fragmente bieten. Denn
mit Recht können, müssen vielleicht die Regierungen sagen: wenn wir das
ganze Gerichtswesen einheitlich ordnen, so wollen wir es auf der Basis einer
Erwägung aller Verhältnisse thun, nicht aber auf fragmentarisch präjudizir-
licher Basis. —

Wären dieser vom Reichstag belegten Fragmente nicht zu viele, handelte
es sich z. B. nur um die Bedingungen der Angehörigkeit zum Richterstand,
so würde der Reichstag mit seinem Wunsch unzweifelhaft durchdringen. Bei
dem jetzt eingeschlagenen Verfahren aber ist die Gefahr, daß das ganze Gesetz
scheitert, ziemlich groß geworden. Schwer begreiflich ist namentlich, wie die


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[0398] Reiches zustehen. Eine Justizhoheit, nachdem die Gesetzgebung über das materielle Recht auf das Reich übergegangen, eine Justizhoheit also, welche sich grade nur auf einen Theil der Form der Rechtspflege bezieht, da auch das Gerichtsverfahren der Reichsgesetzgebung unterliegt, hat weder Sinn noch Werth, kann vielmehr nur Schaden stiften. Da jedoch unglücklicher Weise die Verfassungsbestimmung, dem Reich auch die gesammte Gerichtsverfassung zu unterstellen, nicht erobert worden, so scheint mir der Weg, den die Justiz- commisston des Reichstages eingeschlagen, ein verfehlter: der Weg nämlich, in das Reichsgesetz über die Gerichtsverfassung so viel hineinzubringen, als sich irgend erraffen ließ. Es wäre besser gewesen, mit Freimuth dem Bundesrath noch einmal an das Herz zu legen, daß eine einheitliche Regel des Gerichtsver¬ fahrens unausweichlich auch die einheitliche Gerichtsverfassung erfordert, und demnach den Bundesrath um Vorlage einer vollständigen Gerichtsverfassung zu ersuchen. Versprach man sich von diesem Schritt für jetzt keine Wirkung, so war es besser, sich einstweilen mit dem zu begnügen, was die Regierungs¬ vorlage bot, in der sicheren Voraussicht, daß die anderen Stücke nachfolgen müssen. Indem die Commission statt dessen die einheitliche Regelung des Gerichtswesens nach vielen Seiten ausgedehnt und doch immer nur frag¬ mentarisch ausgedehnt, hat sie in der That den Bundesregierungen eine Verlegenheit geschaffen. Denn nichts ist unbequemer, als Fragmente anzu¬ nehmen, die für das Ganze präjudicirlich sind, während das Ganze noch nicht erwogen und durchverhandelt ist. Die Stücke der Gerichtsverfassung, welche die Justizcommission des Reichstags in die Vorlage hineingetragen, betreffen die Bedingungen der richterlichen Laufbahn, ohne dieselben zu erschöpfen; betreffen die Bildung der Gerichte, ohne dieselbe zu erschöpfen; betreffen die Beschaffenheit der so¬ genannten Competenzhöfe zur Feststellung der Grenzen zwischen Verwaltungs¬ gerichtsbarkeit und Privatrechtlicher Gerichtsbarkeit, ohne dieselbe zu erschöpfen: betreffen die Ordnung der Rechtsanwaltschaft, ohne dieselbe zu erschöpfen- Das heißt den Regierungen zu viel unverdauliche Fragmente bieten. Denn mit Recht können, müssen vielleicht die Regierungen sagen: wenn wir das ganze Gerichtswesen einheitlich ordnen, so wollen wir es auf der Basis einer Erwägung aller Verhältnisse thun, nicht aber auf fragmentarisch präjudizir- licher Basis. — Wären dieser vom Reichstag belegten Fragmente nicht zu viele, handelte es sich z. B. nur um die Bedingungen der Angehörigkeit zum Richterstand, so würde der Reichstag mit seinem Wunsch unzweifelhaft durchdringen. Bei dem jetzt eingeschlagenen Verfahren aber ist die Gefahr, daß das ganze Gesetz scheitert, ziemlich groß geworden. Schwer begreiflich ist namentlich, wie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/398>, abgerufen am 27.09.2024.