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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Besonders häufig soll das zweite Gesicht in Holstein und Schleswig vor¬
kommen. Aeltere Geschichten enthält Müllenhoffs Sagensammlung, aus der
ich einige Proben mittheilen werde. In Owschlag bei Eckernförde gab es
vor Zeiten einen Mann, der konnte Leichen, Hochzeiten u. dergl, voraussagen.
Er mußte, wenn das des Nachts an seinem Hause vorüberzog, aufstehen und
zusehen, und blieb er dabei zu lange in seinem Bette, so zwang es ihn, dem
Spule so lange nachzulaufen, bis er ihn zu Gesicht bekam. Die Ursache seines
Zustandes war, daß er früher einmal einem heulenden Hunde aus den Schwanz
getreten und zwischen den Ohren durchgesehen hatte. Erst machte ihm seine
Gabe Spaß, später verdroß sie ihn. Er wurde sie aber nicht eher wieder
los, als bis er sein Hemde ein ganzes Jahr verkehrt getragen hatte.

In Nordballig beherbergte ein Bauer einen armen Mann über Nacht,
und als dieser am andern Morgen fortging, sagte er zu seinem Wirth:
"Nimm den Balken da aus deinem Hause weg und lege ihn auf's freie Feld."
Der Bauer wollte ungern daran, aber der arme Mann drang so lange in
ihn, bis er den Balken herauszog und als Steg über einen Bach legte. Ein
paar Tage darauf, als die Kirchgänger über den Bach heimwollten, war der
Steg zu Kohle und Asche geworden. Da merkte der Bauer, daß der arme
Mann es hatte "vorbrennen" sehen, und daß ihm das Haus über dem Kopfe
verbrannt sein würde, wenn er dem ihm von jenem ertheilten Rathe nicht
gefolgt hätte.

In Bergenhusen sahen die Mägde, wenn sie früh vor Sonnenaufgang
zum Melken gingen, einen feurigen Mann aus einem der größeren Häuser
des Dorfes stehen und von diesem mit einem weiten Schritte auf ein benach'
hartes kleineres treten. Diese Erscheinung wiederholte sich drei Tage nach
einander, und in der dritten Nacht brannte zunächst das große, dann das
kleine Haus nieder. An dem Haffdeich bei Marne in Ditmarschen hielt sich
früher ein Fisch auf, der so groß wie ein Kalb war und einen Sarg auf
dem Rücken hatte. Wer ihn erblickte, mußte bald nachher ertrinken. In
Tondern trabte in alter Zeit um Mitternacht ein dreibeiniges Pferd
durch die Straßen, welches Hel hieß (wie die altgermanische Todesgöttin)
und jedem sein baldiges Ableben verkündigte, der es vor seiner Thür Halt
machen sah.

Vielleicht nur einem Theil der Leser ist die Sage aus Ditmarschen be¬
kannt, die Klaus Grod in dem Gedichte "De Pukerstock" behandelt hat, und
so gebe ich kurz deren Inhalt an. Ein Bauerssohn hatte einen Weißdorn¬
stock, der ihn nöthigte, gegen seinen Willen, oft bei Nacht und Nebel, das
Haus zu verlassen und, niemand wußte, wohin, zu wandern. Sein Ort war
im Gehäuse der Wanduhr bei andern Stöcken. Rührte er sich, so mußte sein
Besitzer fort über Haide und Moor, durch Sturm und Wetter. Kam er dann


Besonders häufig soll das zweite Gesicht in Holstein und Schleswig vor¬
kommen. Aeltere Geschichten enthält Müllenhoffs Sagensammlung, aus der
ich einige Proben mittheilen werde. In Owschlag bei Eckernförde gab es
vor Zeiten einen Mann, der konnte Leichen, Hochzeiten u. dergl, voraussagen.
Er mußte, wenn das des Nachts an seinem Hause vorüberzog, aufstehen und
zusehen, und blieb er dabei zu lange in seinem Bette, so zwang es ihn, dem
Spule so lange nachzulaufen, bis er ihn zu Gesicht bekam. Die Ursache seines
Zustandes war, daß er früher einmal einem heulenden Hunde aus den Schwanz
getreten und zwischen den Ohren durchgesehen hatte. Erst machte ihm seine
Gabe Spaß, später verdroß sie ihn. Er wurde sie aber nicht eher wieder
los, als bis er sein Hemde ein ganzes Jahr verkehrt getragen hatte.

In Nordballig beherbergte ein Bauer einen armen Mann über Nacht,
und als dieser am andern Morgen fortging, sagte er zu seinem Wirth:
„Nimm den Balken da aus deinem Hause weg und lege ihn auf's freie Feld."
Der Bauer wollte ungern daran, aber der arme Mann drang so lange in
ihn, bis er den Balken herauszog und als Steg über einen Bach legte. Ein
paar Tage darauf, als die Kirchgänger über den Bach heimwollten, war der
Steg zu Kohle und Asche geworden. Da merkte der Bauer, daß der arme
Mann es hatte „vorbrennen" sehen, und daß ihm das Haus über dem Kopfe
verbrannt sein würde, wenn er dem ihm von jenem ertheilten Rathe nicht
gefolgt hätte.

In Bergenhusen sahen die Mägde, wenn sie früh vor Sonnenaufgang
zum Melken gingen, einen feurigen Mann aus einem der größeren Häuser
des Dorfes stehen und von diesem mit einem weiten Schritte auf ein benach'
hartes kleineres treten. Diese Erscheinung wiederholte sich drei Tage nach
einander, und in der dritten Nacht brannte zunächst das große, dann das
kleine Haus nieder. An dem Haffdeich bei Marne in Ditmarschen hielt sich
früher ein Fisch auf, der so groß wie ein Kalb war und einen Sarg auf
dem Rücken hatte. Wer ihn erblickte, mußte bald nachher ertrinken. In
Tondern trabte in alter Zeit um Mitternacht ein dreibeiniges Pferd
durch die Straßen, welches Hel hieß (wie die altgermanische Todesgöttin)
und jedem sein baldiges Ableben verkündigte, der es vor seiner Thür Halt
machen sah.

Vielleicht nur einem Theil der Leser ist die Sage aus Ditmarschen be¬
kannt, die Klaus Grod in dem Gedichte „De Pukerstock" behandelt hat, und
so gebe ich kurz deren Inhalt an. Ein Bauerssohn hatte einen Weißdorn¬
stock, der ihn nöthigte, gegen seinen Willen, oft bei Nacht und Nebel, das
Haus zu verlassen und, niemand wußte, wohin, zu wandern. Sein Ort war
im Gehäuse der Wanduhr bei andern Stöcken. Rührte er sich, so mußte sein
Besitzer fort über Haide und Moor, durch Sturm und Wetter. Kam er dann


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[0372] Besonders häufig soll das zweite Gesicht in Holstein und Schleswig vor¬ kommen. Aeltere Geschichten enthält Müllenhoffs Sagensammlung, aus der ich einige Proben mittheilen werde. In Owschlag bei Eckernförde gab es vor Zeiten einen Mann, der konnte Leichen, Hochzeiten u. dergl, voraussagen. Er mußte, wenn das des Nachts an seinem Hause vorüberzog, aufstehen und zusehen, und blieb er dabei zu lange in seinem Bette, so zwang es ihn, dem Spule so lange nachzulaufen, bis er ihn zu Gesicht bekam. Die Ursache seines Zustandes war, daß er früher einmal einem heulenden Hunde aus den Schwanz getreten und zwischen den Ohren durchgesehen hatte. Erst machte ihm seine Gabe Spaß, später verdroß sie ihn. Er wurde sie aber nicht eher wieder los, als bis er sein Hemde ein ganzes Jahr verkehrt getragen hatte. In Nordballig beherbergte ein Bauer einen armen Mann über Nacht, und als dieser am andern Morgen fortging, sagte er zu seinem Wirth: „Nimm den Balken da aus deinem Hause weg und lege ihn auf's freie Feld." Der Bauer wollte ungern daran, aber der arme Mann drang so lange in ihn, bis er den Balken herauszog und als Steg über einen Bach legte. Ein paar Tage darauf, als die Kirchgänger über den Bach heimwollten, war der Steg zu Kohle und Asche geworden. Da merkte der Bauer, daß der arme Mann es hatte „vorbrennen" sehen, und daß ihm das Haus über dem Kopfe verbrannt sein würde, wenn er dem ihm von jenem ertheilten Rathe nicht gefolgt hätte. In Bergenhusen sahen die Mägde, wenn sie früh vor Sonnenaufgang zum Melken gingen, einen feurigen Mann aus einem der größeren Häuser des Dorfes stehen und von diesem mit einem weiten Schritte auf ein benach' hartes kleineres treten. Diese Erscheinung wiederholte sich drei Tage nach einander, und in der dritten Nacht brannte zunächst das große, dann das kleine Haus nieder. An dem Haffdeich bei Marne in Ditmarschen hielt sich früher ein Fisch auf, der so groß wie ein Kalb war und einen Sarg auf dem Rücken hatte. Wer ihn erblickte, mußte bald nachher ertrinken. In Tondern trabte in alter Zeit um Mitternacht ein dreibeiniges Pferd durch die Straßen, welches Hel hieß (wie die altgermanische Todesgöttin) und jedem sein baldiges Ableben verkündigte, der es vor seiner Thür Halt machen sah. Vielleicht nur einem Theil der Leser ist die Sage aus Ditmarschen be¬ kannt, die Klaus Grod in dem Gedichte „De Pukerstock" behandelt hat, und so gebe ich kurz deren Inhalt an. Ein Bauerssohn hatte einen Weißdorn¬ stock, der ihn nöthigte, gegen seinen Willen, oft bei Nacht und Nebel, das Haus zu verlassen und, niemand wußte, wohin, zu wandern. Sein Ort war im Gehäuse der Wanduhr bei andern Stöcken. Rührte er sich, so mußte sein Besitzer fort über Haide und Moor, durch Sturm und Wetter. Kam er dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/372>, abgerufen am 27.09.2024.