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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Schriften leichter zu verbreiten und die nicht eben wenigen wackeren Leute,
die nicht lesen konnten, mit in die Bewegung zu ziehen, wurden Lesevereine
(V-Mlnie) gegründet. Den Gipfel des Agitationsapparates bildeten aber
National-Klubs, in denen "nationale und demokratische Gesinnung" durch
das lebendige Wort geweckt und entwickelt wurde. Bet all dieser eifrigen
Thätigkeit hätten die großpolnischen Träumer auf die Masse des oberschlesischen
Volkes keinen erheblichen Einfluß, und sie würden dessen noch weniger gehabt
haben, wenn nicht schon damals die Geistlichkeit ihre Bestrebungen unterstützt
hätte. Als das Ministerium Manteuffel berufen wurde, hörte in kurzem die
ganze Bewegung auf, rascher als in Posen, der "Dsieimil!" von Piekar ging
ein, die Nationalklubs wurden geschlossen, die Lesevereine lösten sich von
selbst auf, die Agitatoren verschwanden von der Bühne, und alles schien nur
e>n vorübergerauschter Traum gewesen zu sein. Es schien. Wer wollte den
Zuständen in Oestreich gegenüber behaupten, daß den Erscheinungen des
wahres 1848 in Oberschlesien keine tiefere, dauernde Bedeutung beizulegen war?

Die reaktionären Staatsmänner, die nach 1848 Preußen regierten, schlugen
aber diese Lehren der Zeitgeschichte in den Wind, wie denn noch viele andere und
gewichtigere Lehren an ihrem Ohr vorübergingen. In ihrem überwiegenden
Streben, alte Zustände wieder herzustellen, die der Zeit zum Opfer gefallen
^arm, und in den alten Kirchen die Hauptstütze derselben erkennend, ver¬
nachlässigten sie alle wahren Interessen des Staates, um nur diese zu be¬
festigen. Indem man die polnische Sprache, nicht ohne Grund, als eng
verbunden mit der katholischen Kirche ansah, wurde sie in Posen und West-
^eußen in ihrem Bestände erhalten, in Oberschlesien sogar begünstigt. Als
endlich der Kultusminister v. Muster entlassen war und sein erleuchteter
Nachfolger Dr. Falk 1873 verfügte, daß in allen Volksschulen, auch in denen
^ polnischen Schülern, in deutscher Sprache unterrichtet werden solle, konnte
^ geschehn, daß die noch von Muster auserwählten Organe des Ministers
gegen die Ausführung der Anordnung Widerspruch erhoben. In Oppeln
^ten das alle drei Schulräthe, am eifrigsten der evangelische. Und doch
^ die national-polnische Wühlerei, die in verstärktem Maße noch jetzt sort¬
iert, in dem BeM schon damals im Gange. Die verblendeten Beamten
?ben nicht, daß die besondere Sprache der Bevölkerung dazu die haupt-
"Mchste Handhabe darbot.

. Entsprungen sind die national-polnischen Bestrebungen in Oberschlesten
^ ultramontanen Opposition. Man hat es bei dem heftigeren Kulturkampf
^ ter dem Minister Falk ziemlich vergessen, daß auch der dem Katholizismus
^ s^)r zugeneigte Minister v. Muster den römischen Bischöfen nichts recht
co6 konnte, sondern mit ihnen in stetigen Streitigkeiten lebte, und daß
H unter den nichtgeistlichen Katholiken, die ihrer Kirche mit besonderem
^


renzboten IV. 1876. 43

Schriften leichter zu verbreiten und die nicht eben wenigen wackeren Leute,
die nicht lesen konnten, mit in die Bewegung zu ziehen, wurden Lesevereine
(V-Mlnie) gegründet. Den Gipfel des Agitationsapparates bildeten aber
National-Klubs, in denen „nationale und demokratische Gesinnung" durch
das lebendige Wort geweckt und entwickelt wurde. Bet all dieser eifrigen
Thätigkeit hätten die großpolnischen Träumer auf die Masse des oberschlesischen
Volkes keinen erheblichen Einfluß, und sie würden dessen noch weniger gehabt
haben, wenn nicht schon damals die Geistlichkeit ihre Bestrebungen unterstützt
hätte. Als das Ministerium Manteuffel berufen wurde, hörte in kurzem die
ganze Bewegung auf, rascher als in Posen, der „Dsieimil!" von Piekar ging
ein, die Nationalklubs wurden geschlossen, die Lesevereine lösten sich von
selbst auf, die Agitatoren verschwanden von der Bühne, und alles schien nur
e>n vorübergerauschter Traum gewesen zu sein. Es schien. Wer wollte den
Zuständen in Oestreich gegenüber behaupten, daß den Erscheinungen des
wahres 1848 in Oberschlesien keine tiefere, dauernde Bedeutung beizulegen war?

Die reaktionären Staatsmänner, die nach 1848 Preußen regierten, schlugen
aber diese Lehren der Zeitgeschichte in den Wind, wie denn noch viele andere und
gewichtigere Lehren an ihrem Ohr vorübergingen. In ihrem überwiegenden
Streben, alte Zustände wieder herzustellen, die der Zeit zum Opfer gefallen
^arm, und in den alten Kirchen die Hauptstütze derselben erkennend, ver¬
nachlässigten sie alle wahren Interessen des Staates, um nur diese zu be¬
festigen. Indem man die polnische Sprache, nicht ohne Grund, als eng
verbunden mit der katholischen Kirche ansah, wurde sie in Posen und West-
^eußen in ihrem Bestände erhalten, in Oberschlesien sogar begünstigt. Als
endlich der Kultusminister v. Muster entlassen war und sein erleuchteter
Nachfolger Dr. Falk 1873 verfügte, daß in allen Volksschulen, auch in denen
^ polnischen Schülern, in deutscher Sprache unterrichtet werden solle, konnte
^ geschehn, daß die noch von Muster auserwählten Organe des Ministers
gegen die Ausführung der Anordnung Widerspruch erhoben. In Oppeln
^ten das alle drei Schulräthe, am eifrigsten der evangelische. Und doch
^ die national-polnische Wühlerei, die in verstärktem Maße noch jetzt sort¬
iert, in dem BeM schon damals im Gange. Die verblendeten Beamten
?ben nicht, daß die besondere Sprache der Bevölkerung dazu die haupt-
"Mchste Handhabe darbot.

. Entsprungen sind die national-polnischen Bestrebungen in Oberschlesten
^ ultramontanen Opposition. Man hat es bei dem heftigeren Kulturkampf
^ ter dem Minister Falk ziemlich vergessen, daß auch der dem Katholizismus
^ s^)r zugeneigte Minister v. Muster den römischen Bischöfen nichts recht
co6 konnte, sondern mit ihnen in stetigen Streitigkeiten lebte, und daß
H unter den nichtgeistlichen Katholiken, die ihrer Kirche mit besonderem
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[0341] Schriften leichter zu verbreiten und die nicht eben wenigen wackeren Leute, die nicht lesen konnten, mit in die Bewegung zu ziehen, wurden Lesevereine (V-Mlnie) gegründet. Den Gipfel des Agitationsapparates bildeten aber National-Klubs, in denen „nationale und demokratische Gesinnung" durch das lebendige Wort geweckt und entwickelt wurde. Bet all dieser eifrigen Thätigkeit hätten die großpolnischen Träumer auf die Masse des oberschlesischen Volkes keinen erheblichen Einfluß, und sie würden dessen noch weniger gehabt haben, wenn nicht schon damals die Geistlichkeit ihre Bestrebungen unterstützt hätte. Als das Ministerium Manteuffel berufen wurde, hörte in kurzem die ganze Bewegung auf, rascher als in Posen, der „Dsieimil!" von Piekar ging ein, die Nationalklubs wurden geschlossen, die Lesevereine lösten sich von selbst auf, die Agitatoren verschwanden von der Bühne, und alles schien nur e>n vorübergerauschter Traum gewesen zu sein. Es schien. Wer wollte den Zuständen in Oestreich gegenüber behaupten, daß den Erscheinungen des wahres 1848 in Oberschlesien keine tiefere, dauernde Bedeutung beizulegen war? Die reaktionären Staatsmänner, die nach 1848 Preußen regierten, schlugen aber diese Lehren der Zeitgeschichte in den Wind, wie denn noch viele andere und gewichtigere Lehren an ihrem Ohr vorübergingen. In ihrem überwiegenden Streben, alte Zustände wieder herzustellen, die der Zeit zum Opfer gefallen ^arm, und in den alten Kirchen die Hauptstütze derselben erkennend, ver¬ nachlässigten sie alle wahren Interessen des Staates, um nur diese zu be¬ festigen. Indem man die polnische Sprache, nicht ohne Grund, als eng verbunden mit der katholischen Kirche ansah, wurde sie in Posen und West- ^eußen in ihrem Bestände erhalten, in Oberschlesien sogar begünstigt. Als endlich der Kultusminister v. Muster entlassen war und sein erleuchteter Nachfolger Dr. Falk 1873 verfügte, daß in allen Volksschulen, auch in denen ^ polnischen Schülern, in deutscher Sprache unterrichtet werden solle, konnte ^ geschehn, daß die noch von Muster auserwählten Organe des Ministers gegen die Ausführung der Anordnung Widerspruch erhoben. In Oppeln ^ten das alle drei Schulräthe, am eifrigsten der evangelische. Und doch ^ die national-polnische Wühlerei, die in verstärktem Maße noch jetzt sort¬ iert, in dem BeM schon damals im Gange. Die verblendeten Beamten ?ben nicht, daß die besondere Sprache der Bevölkerung dazu die haupt- "Mchste Handhabe darbot. . Entsprungen sind die national-polnischen Bestrebungen in Oberschlesten ^ ultramontanen Opposition. Man hat es bei dem heftigeren Kulturkampf ^ ter dem Minister Falk ziemlich vergessen, daß auch der dem Katholizismus ^ s^)r zugeneigte Minister v. Muster den römischen Bischöfen nichts recht co6 konnte, sondern mit ihnen in stetigen Streitigkeiten lebte, und daß H unter den nichtgeistlichen Katholiken, die ihrer Kirche mit besonderem ^ renzboten IV. 1876. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/341>, abgerufen am 27.09.2024.