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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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knirschenden Steintrichter, und sein Gewand und Antlitz wurden bestäubt von
dem auffliegenden Mehle. --

Lauter Jubel ertönte vom Ende der Straße her. Mit Laternen und
Fackeln erschien ein Trupp von Sängern, Tänzern und Tänzerinnen, die
letzteren hochaufgeschürzt. alle in bunten Gewändern, Blumen im Haar und
mit Saiten- und Blasinstrumenten versehen, denen sie unter lautem Gelächter
und Stimmengewirr schrille Töne entlockten. Sie zogen vorüber und traten
in ein unfern gelegenes Haus ein, über dessen Thür eine riesige Marke
zwischen zwei bunten Laternen hing, die im Luftzuge schaukelten.

Die Thür hatte sich wieder geschlossen, und ich stand vor der Schwelle,
die Buchstaben betrachtend, welche in bunter Mosaik in das Trottoir ein¬
gelegt waren und sich hell von dem dunkeln Boden abhoben. Sie bildeten
das Wort Ilavs -- Sei gegrüßt -- und die Eintretenden hatten, es er-
blickend, sich scherzend laut diesen Gruß zugerufen.

Plötzlich fühlte ich mich leicht an der Schulter berührt, und vor mir
stand ein Greis von hoher Gestalt, in eine weiße purpurgesäumte Toga ge¬
hüllt, der zu mir sprach:

"Sei gegrüßt, Fremdling, und tritt ein in mein Haus. Die Penaten
werden dich willkommen heißen an meinem Herde. Aber schweige, denn der
Mund des ägyptischen Knaben ist bereit sich zu öffnen."

Ohne zu wissen, was die letzten Worte zu bedeuten hatten, folgte ich
meinem Führer, der mir auf der Straße voranschritt bis zu einer zweiten
größeren Pforte desselben Hauses, die von zwei mächtigen granitnen Säulen
eingeschlossen und mit ehernen Nägeln dicht beschlagen war. Auf eine leichte
Berührung seinerseits sprang sie auf, und wir standen in einer hellerleuchteten
Hausflur, in deren Fußboden wiederum das Wort Havs zu lesen war,
während an den Wänden seltsame Bilder und Hieroglyphen eingegraben waren.

Auch das Atrium war fast tageshell erleuchtet. Ein bronzener Sessel
stand am Eingange unterhalb einer Wandnische, in der eine rohe thönerne
Figur stand, deren bizarre Formen seltsam mit der übrigen reichen und ge¬
schmackvollen Ausstattung contrastirten.

Durch einen stummen Wink lud der Greis mich ein auf dem Sessel
auszuruhen, während er sich entfernte.

An der anderen Seite des Eingangs stand ein altarförmiger Bau mit
einem zierlich geschweiften Dach, welches von vier Säulen getragen wurde.
Unterbau wie Säulen waren in grellen Farben bemalt, und unter dem
Dache stand ein mit der Vorderseite mir zugewendetes Steinbild, bei dessen
Anblick mir der Sinn der vorher gehörten Worte klar wurde. Es war die
Gestalt des ägyptischen Gottes Harpokrates. der da stand im faltigen Gewände,
mit zusammengeschlossenen Füßen, den rechten Zeigefinger aus dem Munde.


knirschenden Steintrichter, und sein Gewand und Antlitz wurden bestäubt von
dem auffliegenden Mehle. —

Lauter Jubel ertönte vom Ende der Straße her. Mit Laternen und
Fackeln erschien ein Trupp von Sängern, Tänzern und Tänzerinnen, die
letzteren hochaufgeschürzt. alle in bunten Gewändern, Blumen im Haar und
mit Saiten- und Blasinstrumenten versehen, denen sie unter lautem Gelächter
und Stimmengewirr schrille Töne entlockten. Sie zogen vorüber und traten
in ein unfern gelegenes Haus ein, über dessen Thür eine riesige Marke
zwischen zwei bunten Laternen hing, die im Luftzuge schaukelten.

Die Thür hatte sich wieder geschlossen, und ich stand vor der Schwelle,
die Buchstaben betrachtend, welche in bunter Mosaik in das Trottoir ein¬
gelegt waren und sich hell von dem dunkeln Boden abhoben. Sie bildeten
das Wort Ilavs — Sei gegrüßt — und die Eintretenden hatten, es er-
blickend, sich scherzend laut diesen Gruß zugerufen.

Plötzlich fühlte ich mich leicht an der Schulter berührt, und vor mir
stand ein Greis von hoher Gestalt, in eine weiße purpurgesäumte Toga ge¬
hüllt, der zu mir sprach:

„Sei gegrüßt, Fremdling, und tritt ein in mein Haus. Die Penaten
werden dich willkommen heißen an meinem Herde. Aber schweige, denn der
Mund des ägyptischen Knaben ist bereit sich zu öffnen."

Ohne zu wissen, was die letzten Worte zu bedeuten hatten, folgte ich
meinem Führer, der mir auf der Straße voranschritt bis zu einer zweiten
größeren Pforte desselben Hauses, die von zwei mächtigen granitnen Säulen
eingeschlossen und mit ehernen Nägeln dicht beschlagen war. Auf eine leichte
Berührung seinerseits sprang sie auf, und wir standen in einer hellerleuchteten
Hausflur, in deren Fußboden wiederum das Wort Havs zu lesen war,
während an den Wänden seltsame Bilder und Hieroglyphen eingegraben waren.

Auch das Atrium war fast tageshell erleuchtet. Ein bronzener Sessel
stand am Eingange unterhalb einer Wandnische, in der eine rohe thönerne
Figur stand, deren bizarre Formen seltsam mit der übrigen reichen und ge¬
schmackvollen Ausstattung contrastirten.

Durch einen stummen Wink lud der Greis mich ein auf dem Sessel
auszuruhen, während er sich entfernte.

An der anderen Seite des Eingangs stand ein altarförmiger Bau mit
einem zierlich geschweiften Dach, welches von vier Säulen getragen wurde.
Unterbau wie Säulen waren in grellen Farben bemalt, und unter dem
Dache stand ein mit der Vorderseite mir zugewendetes Steinbild, bei dessen
Anblick mir der Sinn der vorher gehörten Worte klar wurde. Es war die
Gestalt des ägyptischen Gottes Harpokrates. der da stand im faltigen Gewände,
mit zusammengeschlossenen Füßen, den rechten Zeigefinger aus dem Munde.


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[0306] knirschenden Steintrichter, und sein Gewand und Antlitz wurden bestäubt von dem auffliegenden Mehle. — Lauter Jubel ertönte vom Ende der Straße her. Mit Laternen und Fackeln erschien ein Trupp von Sängern, Tänzern und Tänzerinnen, die letzteren hochaufgeschürzt. alle in bunten Gewändern, Blumen im Haar und mit Saiten- und Blasinstrumenten versehen, denen sie unter lautem Gelächter und Stimmengewirr schrille Töne entlockten. Sie zogen vorüber und traten in ein unfern gelegenes Haus ein, über dessen Thür eine riesige Marke zwischen zwei bunten Laternen hing, die im Luftzuge schaukelten. Die Thür hatte sich wieder geschlossen, und ich stand vor der Schwelle, die Buchstaben betrachtend, welche in bunter Mosaik in das Trottoir ein¬ gelegt waren und sich hell von dem dunkeln Boden abhoben. Sie bildeten das Wort Ilavs — Sei gegrüßt — und die Eintretenden hatten, es er- blickend, sich scherzend laut diesen Gruß zugerufen. Plötzlich fühlte ich mich leicht an der Schulter berührt, und vor mir stand ein Greis von hoher Gestalt, in eine weiße purpurgesäumte Toga ge¬ hüllt, der zu mir sprach: „Sei gegrüßt, Fremdling, und tritt ein in mein Haus. Die Penaten werden dich willkommen heißen an meinem Herde. Aber schweige, denn der Mund des ägyptischen Knaben ist bereit sich zu öffnen." Ohne zu wissen, was die letzten Worte zu bedeuten hatten, folgte ich meinem Führer, der mir auf der Straße voranschritt bis zu einer zweiten größeren Pforte desselben Hauses, die von zwei mächtigen granitnen Säulen eingeschlossen und mit ehernen Nägeln dicht beschlagen war. Auf eine leichte Berührung seinerseits sprang sie auf, und wir standen in einer hellerleuchteten Hausflur, in deren Fußboden wiederum das Wort Havs zu lesen war, während an den Wänden seltsame Bilder und Hieroglyphen eingegraben waren. Auch das Atrium war fast tageshell erleuchtet. Ein bronzener Sessel stand am Eingange unterhalb einer Wandnische, in der eine rohe thönerne Figur stand, deren bizarre Formen seltsam mit der übrigen reichen und ge¬ schmackvollen Ausstattung contrastirten. Durch einen stummen Wink lud der Greis mich ein auf dem Sessel auszuruhen, während er sich entfernte. An der anderen Seite des Eingangs stand ein altarförmiger Bau mit einem zierlich geschweiften Dach, welches von vier Säulen getragen wurde. Unterbau wie Säulen waren in grellen Farben bemalt, und unter dem Dache stand ein mit der Vorderseite mir zugewendetes Steinbild, bei dessen Anblick mir der Sinn der vorher gehörten Worte klar wurde. Es war die Gestalt des ägyptischen Gottes Harpokrates. der da stand im faltigen Gewände, mit zusammengeschlossenen Füßen, den rechten Zeigefinger aus dem Munde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/306>, abgerufen am 27.09.2024.