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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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wünschtes Fräulein, welches Schätze zu verschenken hat. wenn man sie erlöst.
Dieß kann aber nur dadurch geschehen, daß man der Schlange einen Nagel
durch den Kopf schlägt und ihr die Haut abzieht wie einem Aal.

Häufig sind in den deutschen Sagen solche Jungfrauen in voller oder
halber Schlangengestalt, welche Schätze bewachen und auf die oder jene Weise
erlöst sein wollen. Dahin gehört die niesende Schlange bei Meier, von der
man in Heubach Folgendes erzählt. Im Walde zwischen Heubach und dem
Dorfe Lauterburg traf ein Glaser, der oft in letzterem zu thun hatte, wieder¬
holt eine bunte Otter, die nieste jedesmal, wenn er vorbeikam, wie ein Mensch,
und zwar immer drei Mal. Stets fand er sie an derselben Stelle bei einer
Eiche, niemals aber getraute er sich zu dem dreimaligen Niesen etwas zu
sagen. Endlich erzählte er die Sache seinen Kameraden, und die meinten,
das sei wohl keine gewöhnliche Otter, er solle doch den Pfarrer fragen, was
hier zu thun sei. Er ging denn auch zu dem und erhielt den Rath, wenn
er die Schlange wieder niesen höre, "Gott helf!" zu sagen. Nun machte er
sich eines Tages mit mehrern Begleitern auf den Weg nach dem Platze, wo
er der Otter gewöhnlich begegnet war, und als sie noch ein Stückchen bis
dahin hatten, blieben seine Gefährten zurück und ließen ihn allein weiter
gehen. Als er der Schlange ansichtig wurde und sie niesen hörte, sagte er:
"Gott helf!" Sie nieste wieder, und abermals wünschte er ihr Gottes Hülfe.
Sie nieste nun nochmals, aber als ihr der Glaser darauf wieder "Gott helf!"
zugerufen, kam sie ganz feurig am Leibe mit großem Gerassel auf ihn zuge¬
schossen und jagte ihm damit eine solche Furcht ein, daß er davon lief. Die
Schlange fuhr hinter ihm her und rief: "Ich thue Dir nichts zu Leide,
nimm mir nur das Schlüsselbund ab, das ich an der Kette da am Halse
trage, doch thue es nicht mit bloßer Hand. Hernach folge mir, ich werde
Dir den Weg zu einem großen Schatze zeigen und Dich glücklich machen."
Allein er ließ sich nicht halten. Und als seine Kameraden ihn laufen sahen,
flohen sie ebenfalls über Hals über Kopf. Darauf sagte die Schlange traurig'
"Ach, jetzt muß ich noch so lange schweben, bis jener kleine Eichbaum groß
geworden und eine Wiege aus seinem Holze gemacht ist! Erst durch das
Kind, welches man da hineinlegt, kann ich erlöst werden." Der Pfarrer
tadelte den Glaser, daß er sein Erlösungswerk nur halb vollendet und nicht
auch die Schlüssel genommen habe. Uebrigens starb der Mann vier Wochen
später. Der kleine Eichbaum ist aber inzwischen groß und stark geworden,
da er indeß noch nicht umgehauen ist, wird der Geist wohl noch umgehen
müssen.

In dieselbe Klasse von Erzählungen gehört die von Rochholz nach einer
alten Chronik mitgetheilte Geschichte von der Schlangenjungfrau im Heiden¬
loche zu Angst oberhalb Basel, die oben Weib und unten Wurm ist und in


wünschtes Fräulein, welches Schätze zu verschenken hat. wenn man sie erlöst.
Dieß kann aber nur dadurch geschehen, daß man der Schlange einen Nagel
durch den Kopf schlägt und ihr die Haut abzieht wie einem Aal.

Häufig sind in den deutschen Sagen solche Jungfrauen in voller oder
halber Schlangengestalt, welche Schätze bewachen und auf die oder jene Weise
erlöst sein wollen. Dahin gehört die niesende Schlange bei Meier, von der
man in Heubach Folgendes erzählt. Im Walde zwischen Heubach und dem
Dorfe Lauterburg traf ein Glaser, der oft in letzterem zu thun hatte, wieder¬
holt eine bunte Otter, die nieste jedesmal, wenn er vorbeikam, wie ein Mensch,
und zwar immer drei Mal. Stets fand er sie an derselben Stelle bei einer
Eiche, niemals aber getraute er sich zu dem dreimaligen Niesen etwas zu
sagen. Endlich erzählte er die Sache seinen Kameraden, und die meinten,
das sei wohl keine gewöhnliche Otter, er solle doch den Pfarrer fragen, was
hier zu thun sei. Er ging denn auch zu dem und erhielt den Rath, wenn
er die Schlange wieder niesen höre, „Gott helf!" zu sagen. Nun machte er
sich eines Tages mit mehrern Begleitern auf den Weg nach dem Platze, wo
er der Otter gewöhnlich begegnet war, und als sie noch ein Stückchen bis
dahin hatten, blieben seine Gefährten zurück und ließen ihn allein weiter
gehen. Als er der Schlange ansichtig wurde und sie niesen hörte, sagte er:
„Gott helf!" Sie nieste wieder, und abermals wünschte er ihr Gottes Hülfe.
Sie nieste nun nochmals, aber als ihr der Glaser darauf wieder „Gott helf!"
zugerufen, kam sie ganz feurig am Leibe mit großem Gerassel auf ihn zuge¬
schossen und jagte ihm damit eine solche Furcht ein, daß er davon lief. Die
Schlange fuhr hinter ihm her und rief: „Ich thue Dir nichts zu Leide,
nimm mir nur das Schlüsselbund ab, das ich an der Kette da am Halse
trage, doch thue es nicht mit bloßer Hand. Hernach folge mir, ich werde
Dir den Weg zu einem großen Schatze zeigen und Dich glücklich machen."
Allein er ließ sich nicht halten. Und als seine Kameraden ihn laufen sahen,
flohen sie ebenfalls über Hals über Kopf. Darauf sagte die Schlange traurig'
„Ach, jetzt muß ich noch so lange schweben, bis jener kleine Eichbaum groß
geworden und eine Wiege aus seinem Holze gemacht ist! Erst durch das
Kind, welches man da hineinlegt, kann ich erlöst werden." Der Pfarrer
tadelte den Glaser, daß er sein Erlösungswerk nur halb vollendet und nicht
auch die Schlüssel genommen habe. Uebrigens starb der Mann vier Wochen
später. Der kleine Eichbaum ist aber inzwischen groß und stark geworden,
da er indeß noch nicht umgehauen ist, wird der Geist wohl noch umgehen
müssen.

In dieselbe Klasse von Erzählungen gehört die von Rochholz nach einer
alten Chronik mitgetheilte Geschichte von der Schlangenjungfrau im Heiden¬
loche zu Angst oberhalb Basel, die oben Weib und unten Wurm ist und in


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[0296] wünschtes Fräulein, welches Schätze zu verschenken hat. wenn man sie erlöst. Dieß kann aber nur dadurch geschehen, daß man der Schlange einen Nagel durch den Kopf schlägt und ihr die Haut abzieht wie einem Aal. Häufig sind in den deutschen Sagen solche Jungfrauen in voller oder halber Schlangengestalt, welche Schätze bewachen und auf die oder jene Weise erlöst sein wollen. Dahin gehört die niesende Schlange bei Meier, von der man in Heubach Folgendes erzählt. Im Walde zwischen Heubach und dem Dorfe Lauterburg traf ein Glaser, der oft in letzterem zu thun hatte, wieder¬ holt eine bunte Otter, die nieste jedesmal, wenn er vorbeikam, wie ein Mensch, und zwar immer drei Mal. Stets fand er sie an derselben Stelle bei einer Eiche, niemals aber getraute er sich zu dem dreimaligen Niesen etwas zu sagen. Endlich erzählte er die Sache seinen Kameraden, und die meinten, das sei wohl keine gewöhnliche Otter, er solle doch den Pfarrer fragen, was hier zu thun sei. Er ging denn auch zu dem und erhielt den Rath, wenn er die Schlange wieder niesen höre, „Gott helf!" zu sagen. Nun machte er sich eines Tages mit mehrern Begleitern auf den Weg nach dem Platze, wo er der Otter gewöhnlich begegnet war, und als sie noch ein Stückchen bis dahin hatten, blieben seine Gefährten zurück und ließen ihn allein weiter gehen. Als er der Schlange ansichtig wurde und sie niesen hörte, sagte er: „Gott helf!" Sie nieste wieder, und abermals wünschte er ihr Gottes Hülfe. Sie nieste nun nochmals, aber als ihr der Glaser darauf wieder „Gott helf!" zugerufen, kam sie ganz feurig am Leibe mit großem Gerassel auf ihn zuge¬ schossen und jagte ihm damit eine solche Furcht ein, daß er davon lief. Die Schlange fuhr hinter ihm her und rief: „Ich thue Dir nichts zu Leide, nimm mir nur das Schlüsselbund ab, das ich an der Kette da am Halse trage, doch thue es nicht mit bloßer Hand. Hernach folge mir, ich werde Dir den Weg zu einem großen Schatze zeigen und Dich glücklich machen." Allein er ließ sich nicht halten. Und als seine Kameraden ihn laufen sahen, flohen sie ebenfalls über Hals über Kopf. Darauf sagte die Schlange traurig' „Ach, jetzt muß ich noch so lange schweben, bis jener kleine Eichbaum groß geworden und eine Wiege aus seinem Holze gemacht ist! Erst durch das Kind, welches man da hineinlegt, kann ich erlöst werden." Der Pfarrer tadelte den Glaser, daß er sein Erlösungswerk nur halb vollendet und nicht auch die Schlüssel genommen habe. Uebrigens starb der Mann vier Wochen später. Der kleine Eichbaum ist aber inzwischen groß und stark geworden, da er indeß noch nicht umgehauen ist, wird der Geist wohl noch umgehen müssen. In dieselbe Klasse von Erzählungen gehört die von Rochholz nach einer alten Chronik mitgetheilte Geschichte von der Schlangenjungfrau im Heiden¬ loche zu Angst oberhalb Basel, die oben Weib und unten Wurm ist und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/296>, abgerufen am 27.09.2024.