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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Erzählung, die sich in der Geschichte der Kassandra wiederholt. Tiresias be¬
dachtet am Kyllene zwei Schlangen, die sich begatten, und verwundet sie,
Korauf er zum Weibe und erst nach Jahren, als er von demselben Acte
Zeuge ist, wieder zum Manne wird.

Bei den Römern und wahrscheinlich auch bei den übrigen Jtalikern war
Schlange das Symbol des guten Hausgeistes, zugleich aber, wie der Wolf,
Fuchs und der Specht, ein weissagendes Thier. Sehr gewöhnlich war,
man sie sich in den Häusern und Schlafzimmern hielt. Plinius sagt des¬
halb, ihre Brut würde, wenn die Feuersbrünste ihr nicht Einhalt thäten,
den Menschen über den Kopf wachsen. Die Ehe der Eltern Scipios war
kinderlos gewesen, und sein Vater hatte schon die Hoffnung auf Nachkommen¬
schaft aufgegeben, als man, während dieser verreist war, eines Tages bei der
glasenden Mutter eine große Schlange liegen sah, worauf nach einiger Zeit
^eipio geboren wurde. Der Vater der Gracchen sah einst auf seinem Ehe¬
bette ein Schlangenpaar. Er befragte die Haruspiees deshalb und bekam die
Weisung, eine von beiden zu tödten, wobei ihm bemerkt wurde, der Tod des
Männchens werde seinen eignen, der des Weibchens aber den seiner Gattin
^°rnelia zur Folge haben. Er ließ die weibliche Schlange entschlüpfen, und
Mo darauf starb er. Im Haine des Tempels der Juno Sospita Mater
^gina befand sich eine Höhle, in welcher eine Schlange hauste, die ohne
Zweifel das Symbol jener Geburtsgöttin Latinas war. Dieser Schlange
Kurde in jedem Frühling von einer Jungfrau ein Opferkuchen dargebracht,
^obei das Mädchen mit verbundenen Augen in die Höhle geführt wurde,
^aß die Schlange von diesem Kuchen, so galt dieß als ein Zeichen, daß die
Opfernde rein sei und das Jahr ein fruchtbares sein werde. Bei der Pest im
^hre 291 v. Chr. gaben die sibyllinischen Bücher den Römern den Rath, den
^seulap von Epidauros nach Rom zu holen. Als die zu diesem Zweck nach
^er griechischen Stadt abgeordnete Gesandschaft dort ankam, führte man sie
" den Asklepiostempel und bat sie, zu nehmen, was ihrer Heimath frommen
^rde. Da soll sich die heilige Schlange des Gottes, deren Erscheinen stets Glück
beutete, zu den Füßen von dessen Bilde erhoben haben und den Gesandten
"res die Stadt nach dem Hafen und auf ihr Schiff gefolgt sein, um sich hier
dem Hinterdeck ruhig hinzulegen. Die Führer der Gesandtschaft ließen
^ hierauf von den Priestern des Ortes in dem Cultus dieser Schlange, in
sicher sie den Genius des Aeskulap erblickten, unterrichten und eilten dann
Einwärts. Als sie in Antium anlegten, schlüpfte die Schlange an's Land
^d ringelte sich in dem dortigen Haine des Apollo um eine Palme, an der
^ drei Tage verweilte, um dann auf das Schiff zurückzukehren. Als dieses
^r vor Rom anlangte, schwamm das Thier nach der Tiberinsel und wählte
>es dort sein Heiligthum, in dem sie noch in später Zeit verehrt wurde und


Erzählung, die sich in der Geschichte der Kassandra wiederholt. Tiresias be¬
dachtet am Kyllene zwei Schlangen, die sich begatten, und verwundet sie,
Korauf er zum Weibe und erst nach Jahren, als er von demselben Acte
Zeuge ist, wieder zum Manne wird.

Bei den Römern und wahrscheinlich auch bei den übrigen Jtalikern war
Schlange das Symbol des guten Hausgeistes, zugleich aber, wie der Wolf,
Fuchs und der Specht, ein weissagendes Thier. Sehr gewöhnlich war,
man sie sich in den Häusern und Schlafzimmern hielt. Plinius sagt des¬
halb, ihre Brut würde, wenn die Feuersbrünste ihr nicht Einhalt thäten,
den Menschen über den Kopf wachsen. Die Ehe der Eltern Scipios war
kinderlos gewesen, und sein Vater hatte schon die Hoffnung auf Nachkommen¬
schaft aufgegeben, als man, während dieser verreist war, eines Tages bei der
glasenden Mutter eine große Schlange liegen sah, worauf nach einiger Zeit
^eipio geboren wurde. Der Vater der Gracchen sah einst auf seinem Ehe¬
bette ein Schlangenpaar. Er befragte die Haruspiees deshalb und bekam die
Weisung, eine von beiden zu tödten, wobei ihm bemerkt wurde, der Tod des
Männchens werde seinen eignen, der des Weibchens aber den seiner Gattin
^°rnelia zur Folge haben. Er ließ die weibliche Schlange entschlüpfen, und
Mo darauf starb er. Im Haine des Tempels der Juno Sospita Mater
^gina befand sich eine Höhle, in welcher eine Schlange hauste, die ohne
Zweifel das Symbol jener Geburtsgöttin Latinas war. Dieser Schlange
Kurde in jedem Frühling von einer Jungfrau ein Opferkuchen dargebracht,
^obei das Mädchen mit verbundenen Augen in die Höhle geführt wurde,
^aß die Schlange von diesem Kuchen, so galt dieß als ein Zeichen, daß die
Opfernde rein sei und das Jahr ein fruchtbares sein werde. Bei der Pest im
^hre 291 v. Chr. gaben die sibyllinischen Bücher den Römern den Rath, den
^seulap von Epidauros nach Rom zu holen. Als die zu diesem Zweck nach
^er griechischen Stadt abgeordnete Gesandschaft dort ankam, führte man sie
" den Asklepiostempel und bat sie, zu nehmen, was ihrer Heimath frommen
^rde. Da soll sich die heilige Schlange des Gottes, deren Erscheinen stets Glück
beutete, zu den Füßen von dessen Bilde erhoben haben und den Gesandten
"res die Stadt nach dem Hafen und auf ihr Schiff gefolgt sein, um sich hier
dem Hinterdeck ruhig hinzulegen. Die Führer der Gesandtschaft ließen
^ hierauf von den Priestern des Ortes in dem Cultus dieser Schlange, in
sicher sie den Genius des Aeskulap erblickten, unterrichten und eilten dann
Einwärts. Als sie in Antium anlegten, schlüpfte die Schlange an's Land
^d ringelte sich in dem dortigen Haine des Apollo um eine Palme, an der
^ drei Tage verweilte, um dann auf das Schiff zurückzukehren. Als dieses
^r vor Rom anlangte, schwamm das Thier nach der Tiberinsel und wählte
>es dort sein Heiligthum, in dem sie noch in später Zeit verehrt wurde und


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[0287] Erzählung, die sich in der Geschichte der Kassandra wiederholt. Tiresias be¬ dachtet am Kyllene zwei Schlangen, die sich begatten, und verwundet sie, Korauf er zum Weibe und erst nach Jahren, als er von demselben Acte Zeuge ist, wieder zum Manne wird. Bei den Römern und wahrscheinlich auch bei den übrigen Jtalikern war Schlange das Symbol des guten Hausgeistes, zugleich aber, wie der Wolf, Fuchs und der Specht, ein weissagendes Thier. Sehr gewöhnlich war, man sie sich in den Häusern und Schlafzimmern hielt. Plinius sagt des¬ halb, ihre Brut würde, wenn die Feuersbrünste ihr nicht Einhalt thäten, den Menschen über den Kopf wachsen. Die Ehe der Eltern Scipios war kinderlos gewesen, und sein Vater hatte schon die Hoffnung auf Nachkommen¬ schaft aufgegeben, als man, während dieser verreist war, eines Tages bei der glasenden Mutter eine große Schlange liegen sah, worauf nach einiger Zeit ^eipio geboren wurde. Der Vater der Gracchen sah einst auf seinem Ehe¬ bette ein Schlangenpaar. Er befragte die Haruspiees deshalb und bekam die Weisung, eine von beiden zu tödten, wobei ihm bemerkt wurde, der Tod des Männchens werde seinen eignen, der des Weibchens aber den seiner Gattin ^°rnelia zur Folge haben. Er ließ die weibliche Schlange entschlüpfen, und Mo darauf starb er. Im Haine des Tempels der Juno Sospita Mater ^gina befand sich eine Höhle, in welcher eine Schlange hauste, die ohne Zweifel das Symbol jener Geburtsgöttin Latinas war. Dieser Schlange Kurde in jedem Frühling von einer Jungfrau ein Opferkuchen dargebracht, ^obei das Mädchen mit verbundenen Augen in die Höhle geführt wurde, ^aß die Schlange von diesem Kuchen, so galt dieß als ein Zeichen, daß die Opfernde rein sei und das Jahr ein fruchtbares sein werde. Bei der Pest im ^hre 291 v. Chr. gaben die sibyllinischen Bücher den Römern den Rath, den ^seulap von Epidauros nach Rom zu holen. Als die zu diesem Zweck nach ^er griechischen Stadt abgeordnete Gesandschaft dort ankam, führte man sie " den Asklepiostempel und bat sie, zu nehmen, was ihrer Heimath frommen ^rde. Da soll sich die heilige Schlange des Gottes, deren Erscheinen stets Glück beutete, zu den Füßen von dessen Bilde erhoben haben und den Gesandten "res die Stadt nach dem Hafen und auf ihr Schiff gefolgt sein, um sich hier dem Hinterdeck ruhig hinzulegen. Die Führer der Gesandtschaft ließen ^ hierauf von den Priestern des Ortes in dem Cultus dieser Schlange, in sicher sie den Genius des Aeskulap erblickten, unterrichten und eilten dann Einwärts. Als sie in Antium anlegten, schlüpfte die Schlange an's Land ^d ringelte sich in dem dortigen Haine des Apollo um eine Palme, an der ^ drei Tage verweilte, um dann auf das Schiff zurückzukehren. Als dieses ^r vor Rom anlangte, schwamm das Thier nach der Tiberinsel und wählte >es dort sein Heiligthum, in dem sie noch in später Zeit verehrt wurde und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/287>, abgerufen am 27.09.2024.