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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Neben der Eingangsthür eines Privathauses von vornehmem Aussehen
stand auf der Leiter ein Mann, soeben beschäftigt, dem schönen gelbweißen
Wandbewurf eine neue Inschrift einzuverleiben. An den jonischen Pfeiler
des Vestibulums gelehnt stand der Hausherr, ein beleibter kahlköpfiger Alter,
der Beschäftigung des Anstreichers zuschauend und in tiefes Sinnen ver¬
sunken . als ein anderer älterer Mann in der Toga. der die Straße herauf¬
kam, neben jenem stehen blieb, die neue Inschrift musterte und dem Ersteren
die Hand auf die Schultern legend, in Lachen ausbrach.

"Wunder begeben sich!" rief er aus und recitirte mit pathetischer Stimme
die soeben vervollständigten Worte der Inschrift: ""Den ehrenwerthen um
die Gemeinde wohl verdienten C. Minucius Priscus, den trefflichen Mann,
wählet -- ich bitte euch -- zum Duumvir; ihn empfiehlt Agathovorus
sammt seinen Gesellen!"" -- Welcher Dämon hat dich erfaßt, Agathovorus,
daß du unsern alten Gegner Priscus den Bürgern empfiehlst. Hast du nicht
in der Versammlung, wenn die Männer sich über die öffentlichen Dinge unter¬
hielten, oft genug gesagt, die Römer thäten besser ihr eigenes Fett als das der
Pompejaner von solchen Rechtsverdrehern wie dem Priscus verzehren zulassen?
-- Hat er nicht als Censor uns Goldschmieden sämmtlich übel mitgespielt
und dir die doppelte Steuer aufgelegt?"

"Wenn der Pfau König wird, müssen die andern Vögel seine Stimme
loben", sagte der Andere, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, während
er dem Anstreicher, der im Vorbeigehen ihn mit der Leiter anstieß, einen Schlag
in den Nacken gab. "Priscus wird auch ohne mich gewählt werden, und es
ist besser, wenn ich unterstütze, was ich nicht hindern kann. Ueberdies will
ich unter die Dekurionen kommen, wie du weißt. Gestern hat er seinen
Freigelassenen Perfikles zu mir gesandt. der so schön von Wahlunterstützung
und Dekurionenwürde geredet hat, daß ich mich habe bestimmen lassen. Was
thut man nicht für einen Sitz im Senat! Ist er gewählt, so reinige ich
meine Wand wieder. Bin ich Dekurio, so kümmere ich mich so viel um ihn
wie um eine Haselnuß."

"Nun, ich wünsche Dir Glück", sagte der Erste, "und mir selbst nicht
minder^ der ich dann einen Freund unter den Dekurionen haben werde.
Wenn sie mir auch kein Bisellium dekretiren werden, so wird mir auf deine
Verwendung vielleicht ehrenhalber der Begräbnißplatz geschenkt, wenn ich einst
an einer Melonen-Indigestion gestorben sein werde."

"Rede mir nicht von Begräbniß und Sterben!" rief der wohlgenährte
Goldschmied Agathodorus unwillig; "sondern tritt ein und laß uns gemein'
sam uns zu Tisch legen. Zwar meine Küche kann sich mit der deinen nicht
messen; aber einen Sicilianer und Lesbier kann ich dir vorsetzen, wie ihn die
Keller des Sadon nicht besser enthalten."


Neben der Eingangsthür eines Privathauses von vornehmem Aussehen
stand auf der Leiter ein Mann, soeben beschäftigt, dem schönen gelbweißen
Wandbewurf eine neue Inschrift einzuverleiben. An den jonischen Pfeiler
des Vestibulums gelehnt stand der Hausherr, ein beleibter kahlköpfiger Alter,
der Beschäftigung des Anstreichers zuschauend und in tiefes Sinnen ver¬
sunken . als ein anderer älterer Mann in der Toga. der die Straße herauf¬
kam, neben jenem stehen blieb, die neue Inschrift musterte und dem Ersteren
die Hand auf die Schultern legend, in Lachen ausbrach.

„Wunder begeben sich!" rief er aus und recitirte mit pathetischer Stimme
die soeben vervollständigten Worte der Inschrift: „„Den ehrenwerthen um
die Gemeinde wohl verdienten C. Minucius Priscus, den trefflichen Mann,
wählet — ich bitte euch — zum Duumvir; ihn empfiehlt Agathovorus
sammt seinen Gesellen!"" — Welcher Dämon hat dich erfaßt, Agathovorus,
daß du unsern alten Gegner Priscus den Bürgern empfiehlst. Hast du nicht
in der Versammlung, wenn die Männer sich über die öffentlichen Dinge unter¬
hielten, oft genug gesagt, die Römer thäten besser ihr eigenes Fett als das der
Pompejaner von solchen Rechtsverdrehern wie dem Priscus verzehren zulassen?
— Hat er nicht als Censor uns Goldschmieden sämmtlich übel mitgespielt
und dir die doppelte Steuer aufgelegt?"

„Wenn der Pfau König wird, müssen die andern Vögel seine Stimme
loben", sagte der Andere, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, während
er dem Anstreicher, der im Vorbeigehen ihn mit der Leiter anstieß, einen Schlag
in den Nacken gab. „Priscus wird auch ohne mich gewählt werden, und es
ist besser, wenn ich unterstütze, was ich nicht hindern kann. Ueberdies will
ich unter die Dekurionen kommen, wie du weißt. Gestern hat er seinen
Freigelassenen Perfikles zu mir gesandt. der so schön von Wahlunterstützung
und Dekurionenwürde geredet hat, daß ich mich habe bestimmen lassen. Was
thut man nicht für einen Sitz im Senat! Ist er gewählt, so reinige ich
meine Wand wieder. Bin ich Dekurio, so kümmere ich mich so viel um ihn
wie um eine Haselnuß."

„Nun, ich wünsche Dir Glück", sagte der Erste, „und mir selbst nicht
minder^ der ich dann einen Freund unter den Dekurionen haben werde.
Wenn sie mir auch kein Bisellium dekretiren werden, so wird mir auf deine
Verwendung vielleicht ehrenhalber der Begräbnißplatz geschenkt, wenn ich einst
an einer Melonen-Indigestion gestorben sein werde."

„Rede mir nicht von Begräbniß und Sterben!" rief der wohlgenährte
Goldschmied Agathodorus unwillig; „sondern tritt ein und laß uns gemein'
sam uns zu Tisch legen. Zwar meine Küche kann sich mit der deinen nicht
messen; aber einen Sicilianer und Lesbier kann ich dir vorsetzen, wie ihn die
Keller des Sadon nicht besser enthalten."


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[0266] Neben der Eingangsthür eines Privathauses von vornehmem Aussehen stand auf der Leiter ein Mann, soeben beschäftigt, dem schönen gelbweißen Wandbewurf eine neue Inschrift einzuverleiben. An den jonischen Pfeiler des Vestibulums gelehnt stand der Hausherr, ein beleibter kahlköpfiger Alter, der Beschäftigung des Anstreichers zuschauend und in tiefes Sinnen ver¬ sunken . als ein anderer älterer Mann in der Toga. der die Straße herauf¬ kam, neben jenem stehen blieb, die neue Inschrift musterte und dem Ersteren die Hand auf die Schultern legend, in Lachen ausbrach. „Wunder begeben sich!" rief er aus und recitirte mit pathetischer Stimme die soeben vervollständigten Worte der Inschrift: „„Den ehrenwerthen um die Gemeinde wohl verdienten C. Minucius Priscus, den trefflichen Mann, wählet — ich bitte euch — zum Duumvir; ihn empfiehlt Agathovorus sammt seinen Gesellen!"" — Welcher Dämon hat dich erfaßt, Agathovorus, daß du unsern alten Gegner Priscus den Bürgern empfiehlst. Hast du nicht in der Versammlung, wenn die Männer sich über die öffentlichen Dinge unter¬ hielten, oft genug gesagt, die Römer thäten besser ihr eigenes Fett als das der Pompejaner von solchen Rechtsverdrehern wie dem Priscus verzehren zulassen? — Hat er nicht als Censor uns Goldschmieden sämmtlich übel mitgespielt und dir die doppelte Steuer aufgelegt?" „Wenn der Pfau König wird, müssen die andern Vögel seine Stimme loben", sagte der Andere, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, während er dem Anstreicher, der im Vorbeigehen ihn mit der Leiter anstieß, einen Schlag in den Nacken gab. „Priscus wird auch ohne mich gewählt werden, und es ist besser, wenn ich unterstütze, was ich nicht hindern kann. Ueberdies will ich unter die Dekurionen kommen, wie du weißt. Gestern hat er seinen Freigelassenen Perfikles zu mir gesandt. der so schön von Wahlunterstützung und Dekurionenwürde geredet hat, daß ich mich habe bestimmen lassen. Was thut man nicht für einen Sitz im Senat! Ist er gewählt, so reinige ich meine Wand wieder. Bin ich Dekurio, so kümmere ich mich so viel um ihn wie um eine Haselnuß." „Nun, ich wünsche Dir Glück", sagte der Erste, „und mir selbst nicht minder^ der ich dann einen Freund unter den Dekurionen haben werde. Wenn sie mir auch kein Bisellium dekretiren werden, so wird mir auf deine Verwendung vielleicht ehrenhalber der Begräbnißplatz geschenkt, wenn ich einst an einer Melonen-Indigestion gestorben sein werde." „Rede mir nicht von Begräbniß und Sterben!" rief der wohlgenährte Goldschmied Agathodorus unwillig; „sondern tritt ein und laß uns gemein' sam uns zu Tisch legen. Zwar meine Küche kann sich mit der deinen nicht messen; aber einen Sicilianer und Lesbier kann ich dir vorsetzen, wie ihn die Keller des Sadon nicht besser enthalten."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/266>, abgerufen am 27.09.2024.