Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.letzteren durch die Niederwerfung Frankreichs geklärt und eine festere Ge¬ letzteren durch die Niederwerfung Frankreichs geklärt und eine festere Ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136665"/> <p xml:id="ID_60" prev="#ID_59" next="#ID_61"> letzteren durch die Niederwerfung Frankreichs geklärt und eine festere Ge¬<lb/> staltung genommen und an Verständlichkeit gewonnen haben, ist noch immer<lb/> erschrecklich klein und wird es, fürchten wir, noch lange bleiben, wenn nicht<lb/> etwa die projectirte Völkerstraße des unterseeischen Riesentunnels Wunder<lb/> thut. Man weise auch nicht auf die leuchtenden Namen jener Pioniere, unter<lb/> denen Thomas Carlyle und George Grote die Ersten sind; sie sind eben<lb/> wegen der Hinneigung zum Mutterlande und seiner Cultur vom Gros der<lb/> Gebildeten noch unverstanden geblieben. Es bedarf beim Durchreisen des<lb/> Landes und beim Aufenthalte in den großen Städten nicht großer Beob¬<lb/> achtungsgabe, um zu erkennen, daß, abgesehen von dem vorübergehenden<lb/> Moltke - Cultus als Pendant zu der Blücher-Wellington-Vergötterung und<lb/> den Reminiscenzen aus Odo Russell's Schlachtenbuch, kein wesentlich neues<lb/> Element den Kreis der überlieferten Durchschnittsanschauungen vermehrt haben<lb/> kann. Sehr viel darf allerdings für die Zukunft von den Bestrebungen be¬<lb/> hufs Verbesserung des Unterrichtswesens, theilweise nach deutschem Muster,<lb/> erwartet werden; dazu bedarf es aber noch langjähriger Kämpfe gegen den<lb/> hartnäckigen Widerstand des in England so überaus mächtigen Pfaffenthums<lb/> und der Säcularisivung der Schulen nicht minder als der Universitäten. Ge¬<lb/> rade auf den besten Anstalten tritt zwar oft das Deutsche nicht ohne Osten¬<lb/> tation auf. befindet sich aber wie auch sonstwo gewöhnlich in den Händen<lb/> eines elenden Maitrethums. Ich kenne mehr als einen Universitätsprofessor,<lb/> der von deutscher Geschichte ungefähr soviel weiß, als im Taeitus steht. Mehr<lb/> Begnadete kennen dann auch Luther, ein wenig Friedrich den Großen und<lb/> Blücher. Noch Keinen habe ich getroffen, der auch nur in irgend einem<lb/> Winkel der mittelalterlichen Geschichte unseres Volkes Bescheid gewußt hätte.<lb/> Bei Frauen dagegen aus den höheren Ständen, die zumeist eine allgemeinere<lb/> Bildung von der Schule und vom Festlande mitbringen und die Zeit nicht,<lb/> wie die Brüder, mit lateinischer und griechischer Verseschmiedekunst zu ver¬<lb/> geuden brauchen, findet sich häufig eine einigermaßen entsprechende Vertraut¬<lb/> heit mit unserer Nationallitteratur, die noch immer der Mehrzahl der Gebil¬<lb/> deten ein Buch mit sieben Siegeln ist. Solchen anmuthigen Quiproquos,<lb/> wie die vor Kurzem in amerikanischen und englischen Zeitungen gemachte Mit¬<lb/> theilung, daß das deutsche Volk seinem großen Philologen Gottfried Hermann<lb/> auf der Höhe des Teutoburger Waldes ein Riesendenkmal errichtet habe, sind ja<lb/> keineswegs selten und geben einen nicht unzuverlässigen Gradmesser für die<lb/> Durchschnittsbildung ab. Demgegenüber wäre es indessen nicht gerecht, bei<lb/> dieser Gelegenheit Schottlands nicht zu gedenken, dessen vom Drucke der Hoch¬<lb/> kirche freies und von nationalen Vorurtheilen weniger umstricktes Volk nicht<lb/> mit jener grimmigen Zähigkeit an den Ueberlieferungen starrer Ausschließlich¬<lb/> keit und dem allgemeinen Codex insularer Convenienzen festhält wie die süd-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
letzteren durch die Niederwerfung Frankreichs geklärt und eine festere Ge¬
staltung genommen und an Verständlichkeit gewonnen haben, ist noch immer
erschrecklich klein und wird es, fürchten wir, noch lange bleiben, wenn nicht
etwa die projectirte Völkerstraße des unterseeischen Riesentunnels Wunder
thut. Man weise auch nicht auf die leuchtenden Namen jener Pioniere, unter
denen Thomas Carlyle und George Grote die Ersten sind; sie sind eben
wegen der Hinneigung zum Mutterlande und seiner Cultur vom Gros der
Gebildeten noch unverstanden geblieben. Es bedarf beim Durchreisen des
Landes und beim Aufenthalte in den großen Städten nicht großer Beob¬
achtungsgabe, um zu erkennen, daß, abgesehen von dem vorübergehenden
Moltke - Cultus als Pendant zu der Blücher-Wellington-Vergötterung und
den Reminiscenzen aus Odo Russell's Schlachtenbuch, kein wesentlich neues
Element den Kreis der überlieferten Durchschnittsanschauungen vermehrt haben
kann. Sehr viel darf allerdings für die Zukunft von den Bestrebungen be¬
hufs Verbesserung des Unterrichtswesens, theilweise nach deutschem Muster,
erwartet werden; dazu bedarf es aber noch langjähriger Kämpfe gegen den
hartnäckigen Widerstand des in England so überaus mächtigen Pfaffenthums
und der Säcularisivung der Schulen nicht minder als der Universitäten. Ge¬
rade auf den besten Anstalten tritt zwar oft das Deutsche nicht ohne Osten¬
tation auf. befindet sich aber wie auch sonstwo gewöhnlich in den Händen
eines elenden Maitrethums. Ich kenne mehr als einen Universitätsprofessor,
der von deutscher Geschichte ungefähr soviel weiß, als im Taeitus steht. Mehr
Begnadete kennen dann auch Luther, ein wenig Friedrich den Großen und
Blücher. Noch Keinen habe ich getroffen, der auch nur in irgend einem
Winkel der mittelalterlichen Geschichte unseres Volkes Bescheid gewußt hätte.
Bei Frauen dagegen aus den höheren Ständen, die zumeist eine allgemeinere
Bildung von der Schule und vom Festlande mitbringen und die Zeit nicht,
wie die Brüder, mit lateinischer und griechischer Verseschmiedekunst zu ver¬
geuden brauchen, findet sich häufig eine einigermaßen entsprechende Vertraut¬
heit mit unserer Nationallitteratur, die noch immer der Mehrzahl der Gebil¬
deten ein Buch mit sieben Siegeln ist. Solchen anmuthigen Quiproquos,
wie die vor Kurzem in amerikanischen und englischen Zeitungen gemachte Mit¬
theilung, daß das deutsche Volk seinem großen Philologen Gottfried Hermann
auf der Höhe des Teutoburger Waldes ein Riesendenkmal errichtet habe, sind ja
keineswegs selten und geben einen nicht unzuverlässigen Gradmesser für die
Durchschnittsbildung ab. Demgegenüber wäre es indessen nicht gerecht, bei
dieser Gelegenheit Schottlands nicht zu gedenken, dessen vom Drucke der Hoch¬
kirche freies und von nationalen Vorurtheilen weniger umstricktes Volk nicht
mit jener grimmigen Zähigkeit an den Ueberlieferungen starrer Ausschließlich¬
keit und dem allgemeinen Codex insularer Convenienzen festhält wie die süd-
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