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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Ich erreichte den aus der ausgegrabenen Asche aufgehäuften Hügel, der
die alte Römerstadt überragt und setzte mich auf einem Steine nieder, die
seltsame Trümmerstätte und ihre entzückende Umgebung von dem erhöhten
Platze überschauend. Mir gegenüber lagen die malerischen Berge der Hir-
piner, an ihrem Fuße weißglänzende Ortschaften von dunkelm Grün umgeben,
und die schimmernde Bucht von Staviae. Sie hatten, wie die fernen Häupter
und Felswände der Apenninen, die gewohnten tiefen Farben der abendlichen
Beleuchtung. Nicht so die Stadt Pompeji selbst. Die dichte Rauchwolke des
Vesuvs hatte sich zwischen sie und die Sonne gewälzt, die nicht mehr hoch
über dem Meereshorizonte stand und warf eine Art von lichtem Schatten
oder von gedämpftem Licht über die Mauern, Straßen und Häuser der
untergegangenen Stadt, daß sie eingehüllt war wie von einem goldigen
Nebel. Ganz seltsam und geisterhaft erschien sie mir unter dieser Be¬
leuchtung, die mir, je länger ich sie anschaute, nicht matter, sondern immer
entschiedener und seltsamer zu werden schien, so daß ich das Auge nicht ab¬
wenden konnte.

Wie lange ich so, umgeben von tiefster Stille, gesessen habe, weiß ich
nicht mehr. Zuletzt erhob ich mich, um nach der Sonne zu sehen. war
nicht mehr da; aber das seltsame Licht war noch dasselbe. Ich schritt von
dem Hügel hinab und an den alten gestrüppbewachsenen Stadtmauern ent¬
lang, zuweilen einer riesigen Aloehecke ausweichend, zuweilen über einige
herabgestürzte Mauerquadern steigend.

Plötzlich hörte ich Geräusch, wie von Tritten und Stimmen. Ich that
noch einige Schritte bis zu einer Biegung der Mauer und blieb überrascht
stehen. Vor mir sah ich eine weite Thorwölbung, gleichfalls aus mächtigen
Quadern von schwarzgrauem Peperin errichtet, von einem bronzenen Vier¬
gespann gekrönt, und durch die Thoröffnung blickte ich in eine lange Straße
hinein, von -Menschen belebt, deren Stimmen ich deutlich hören, wenn auch
noch nicht verstehen konnte. -- Die Straße kannte ich, war ich doch oft durch
ihre Einsamkeit gewandelt. Aber das Thor, ich wußte es mit größter Be¬
stimmtheit, hatte ich nie gesehen; es hatte überhaupt nicht existirt, denn die
Ausgrabungen waren auf dieser Seite der Stadt noch bei Weitem nicht bis
zur Umfassungsmauer gelangt. Ueberdies war es mit dem unfern befindlichen
Thurme so hoch, daß es jetzt über die Aschenmassen emporragte, und auch die
schöne Quadriga, deren vier Rosse ein Phoebus mit dem Strahlenkranze ohne
Zügel durch eine Bewegung seiner Rechten lenkte, ragte so hoch auf. daß
sie von allen Punkten der Stadt und der Umgebung sichtbar sein mußte.

Ich hatte nicht lange Zeit darüber nachzusinnen; denn ein bewaffneter
Krieger, der an dem äußeren Thorpfetler neben einer mit einem Götterbilde
geschmückten Mauernische lehnte, augenscheinlich der Thorwächter, wandte sich


Ich erreichte den aus der ausgegrabenen Asche aufgehäuften Hügel, der
die alte Römerstadt überragt und setzte mich auf einem Steine nieder, die
seltsame Trümmerstätte und ihre entzückende Umgebung von dem erhöhten
Platze überschauend. Mir gegenüber lagen die malerischen Berge der Hir-
piner, an ihrem Fuße weißglänzende Ortschaften von dunkelm Grün umgeben,
und die schimmernde Bucht von Staviae. Sie hatten, wie die fernen Häupter
und Felswände der Apenninen, die gewohnten tiefen Farben der abendlichen
Beleuchtung. Nicht so die Stadt Pompeji selbst. Die dichte Rauchwolke des
Vesuvs hatte sich zwischen sie und die Sonne gewälzt, die nicht mehr hoch
über dem Meereshorizonte stand und warf eine Art von lichtem Schatten
oder von gedämpftem Licht über die Mauern, Straßen und Häuser der
untergegangenen Stadt, daß sie eingehüllt war wie von einem goldigen
Nebel. Ganz seltsam und geisterhaft erschien sie mir unter dieser Be¬
leuchtung, die mir, je länger ich sie anschaute, nicht matter, sondern immer
entschiedener und seltsamer zu werden schien, so daß ich das Auge nicht ab¬
wenden konnte.

Wie lange ich so, umgeben von tiefster Stille, gesessen habe, weiß ich
nicht mehr. Zuletzt erhob ich mich, um nach der Sonne zu sehen. war
nicht mehr da; aber das seltsame Licht war noch dasselbe. Ich schritt von
dem Hügel hinab und an den alten gestrüppbewachsenen Stadtmauern ent¬
lang, zuweilen einer riesigen Aloehecke ausweichend, zuweilen über einige
herabgestürzte Mauerquadern steigend.

Plötzlich hörte ich Geräusch, wie von Tritten und Stimmen. Ich that
noch einige Schritte bis zu einer Biegung der Mauer und blieb überrascht
stehen. Vor mir sah ich eine weite Thorwölbung, gleichfalls aus mächtigen
Quadern von schwarzgrauem Peperin errichtet, von einem bronzenen Vier¬
gespann gekrönt, und durch die Thoröffnung blickte ich in eine lange Straße
hinein, von -Menschen belebt, deren Stimmen ich deutlich hören, wenn auch
noch nicht verstehen konnte. — Die Straße kannte ich, war ich doch oft durch
ihre Einsamkeit gewandelt. Aber das Thor, ich wußte es mit größter Be¬
stimmtheit, hatte ich nie gesehen; es hatte überhaupt nicht existirt, denn die
Ausgrabungen waren auf dieser Seite der Stadt noch bei Weitem nicht bis
zur Umfassungsmauer gelangt. Ueberdies war es mit dem unfern befindlichen
Thurme so hoch, daß es jetzt über die Aschenmassen emporragte, und auch die
schöne Quadriga, deren vier Rosse ein Phoebus mit dem Strahlenkranze ohne
Zügel durch eine Bewegung seiner Rechten lenkte, ragte so hoch auf. daß
sie von allen Punkten der Stadt und der Umgebung sichtbar sein mußte.

Ich hatte nicht lange Zeit darüber nachzusinnen; denn ein bewaffneter
Krieger, der an dem äußeren Thorpfetler neben einer mit einem Götterbilde
geschmückten Mauernische lehnte, augenscheinlich der Thorwächter, wandte sich


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[0258] Ich erreichte den aus der ausgegrabenen Asche aufgehäuften Hügel, der die alte Römerstadt überragt und setzte mich auf einem Steine nieder, die seltsame Trümmerstätte und ihre entzückende Umgebung von dem erhöhten Platze überschauend. Mir gegenüber lagen die malerischen Berge der Hir- piner, an ihrem Fuße weißglänzende Ortschaften von dunkelm Grün umgeben, und die schimmernde Bucht von Staviae. Sie hatten, wie die fernen Häupter und Felswände der Apenninen, die gewohnten tiefen Farben der abendlichen Beleuchtung. Nicht so die Stadt Pompeji selbst. Die dichte Rauchwolke des Vesuvs hatte sich zwischen sie und die Sonne gewälzt, die nicht mehr hoch über dem Meereshorizonte stand und warf eine Art von lichtem Schatten oder von gedämpftem Licht über die Mauern, Straßen und Häuser der untergegangenen Stadt, daß sie eingehüllt war wie von einem goldigen Nebel. Ganz seltsam und geisterhaft erschien sie mir unter dieser Be¬ leuchtung, die mir, je länger ich sie anschaute, nicht matter, sondern immer entschiedener und seltsamer zu werden schien, so daß ich das Auge nicht ab¬ wenden konnte. Wie lange ich so, umgeben von tiefster Stille, gesessen habe, weiß ich nicht mehr. Zuletzt erhob ich mich, um nach der Sonne zu sehen. war nicht mehr da; aber das seltsame Licht war noch dasselbe. Ich schritt von dem Hügel hinab und an den alten gestrüppbewachsenen Stadtmauern ent¬ lang, zuweilen einer riesigen Aloehecke ausweichend, zuweilen über einige herabgestürzte Mauerquadern steigend. Plötzlich hörte ich Geräusch, wie von Tritten und Stimmen. Ich that noch einige Schritte bis zu einer Biegung der Mauer und blieb überrascht stehen. Vor mir sah ich eine weite Thorwölbung, gleichfalls aus mächtigen Quadern von schwarzgrauem Peperin errichtet, von einem bronzenen Vier¬ gespann gekrönt, und durch die Thoröffnung blickte ich in eine lange Straße hinein, von -Menschen belebt, deren Stimmen ich deutlich hören, wenn auch noch nicht verstehen konnte. — Die Straße kannte ich, war ich doch oft durch ihre Einsamkeit gewandelt. Aber das Thor, ich wußte es mit größter Be¬ stimmtheit, hatte ich nie gesehen; es hatte überhaupt nicht existirt, denn die Ausgrabungen waren auf dieser Seite der Stadt noch bei Weitem nicht bis zur Umfassungsmauer gelangt. Ueberdies war es mit dem unfern befindlichen Thurme so hoch, daß es jetzt über die Aschenmassen emporragte, und auch die schöne Quadriga, deren vier Rosse ein Phoebus mit dem Strahlenkranze ohne Zügel durch eine Bewegung seiner Rechten lenkte, ragte so hoch auf. daß sie von allen Punkten der Stadt und der Umgebung sichtbar sein mußte. Ich hatte nicht lange Zeit darüber nachzusinnen; denn ein bewaffneter Krieger, der an dem äußeren Thorpfetler neben einer mit einem Götterbilde geschmückten Mauernische lehnte, augenscheinlich der Thorwächter, wandte sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/258>, abgerufen am 27.09.2024.