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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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acht Jahre lang verhandelt. In der That gab es gar keine Schriften erster In¬
stanz, denn es hatte vor den Fürsten eben nur eine mündliche Verhandlung
stattgefunden. Die Appellanten konnten deshalb nur einen von den beiden
Landesherrn ausgefertigten Brief beibringen, in welchem bezeugt wurde, wie geklagt
und was erkannt worden. Bereits damals herrschte aber beim Reichskammergericht
die Ansicht, daß ohne ordentliche schriftliche Vorakten eine Entscheidung des
Reichskammergerichtes ein Ding der Unmöglichkeit sei. Die Appellanten baten
zwar, eine Kommission zu ernennen, damit vor derselben durch Zeugen und Eid das
in erster Instanz Verhandelte festgestellt würde. Darauf hat das Reichskammer¬
gericht aber keine Entscheidung getroffen. So blieb der Streit über die Beibrin¬
gung der Vorakten sowohl als in der Hauptsache unentschieden.

Dieser Fall beweist aber auch, daß zuerst das Reichskammerzericht einen Theil
des Kaiserlichen Hoflagers bildete, und mit dem Kaiser umherzog, denn die
Ladung erfolgte erst aus Augsburg, dann aus Nürnberg und zuletzt aus
Regensburg. In der nächsten Sache erging die Ladung erst aus Speier,
dann aus Worms.

Die obige Rüge, daß die richtenden Fürsten nicht, wie es sich gebührt,
gesessen haben, erinnert an die Vorschrift des Soester Stadtrechts: "Es soll
der Richter auf seinem Stuhl sitzen als ein griesgrimmender Löwe, den
rechten Fuß über den linken geschlagen, und wenn er aus der Sache nicht
könne herausfinden, so soll er dieselbe 123 mal überlegen." Die richtige Lese¬
art der Zahl ist natürlich 1, 2 und 3 mal. 123 mal wäre doch etwas
zu viel.

2) Herzog Heinrich der Jüngere von Lüneburg hatte den Kaufleuten der
Stadt Lübeck sicheres Geleit für Leib, Habe und Güter versprochen. Als
aber im Jahre 1513 einige Lübecker Kaufleute auf mehreren Wagen Güter
durch sein Land führten, hatte er diese Güter angehalten und auf sein Schloß
Celle bringen lassen. Es geschah dies auf Ansuchen des Kurfürsten
Joachim von Brandenburg, bei welchem Paul Blankenfeld, ein Berliner,
dies beantragt hatte, indem er behauptete es ständen ihm Forderungen an
die Lübecker Kaufleute zu.

Nun erhoben nicht die Eigenthümer der Waaren, sondern die Stadt
Lübeck selbst wegen Verletzung des gemeinen Landfriedens Klage beim Reichs¬
kammergericht, welches denn auch an Blankenfeld ein Mandat erließ: daß er
sich an der von den Lübeckern erbotenen Bürgschaft und an dem Wege
Rechtens solle begnügen und deren Habe und Güter ohne Entgeldniß und
Verhinderung solle folgen lassen, und solches zu thun einwilligen und darin
uicht widerspenstig oder säumig sein. Dies Mandat erging bei Androhung
der Ungnade, Strafe und Buße, namentlich der Pön des gemeinen Land¬
friedens d. h. bei Strafe der Acht.


acht Jahre lang verhandelt. In der That gab es gar keine Schriften erster In¬
stanz, denn es hatte vor den Fürsten eben nur eine mündliche Verhandlung
stattgefunden. Die Appellanten konnten deshalb nur einen von den beiden
Landesherrn ausgefertigten Brief beibringen, in welchem bezeugt wurde, wie geklagt
und was erkannt worden. Bereits damals herrschte aber beim Reichskammergericht
die Ansicht, daß ohne ordentliche schriftliche Vorakten eine Entscheidung des
Reichskammergerichtes ein Ding der Unmöglichkeit sei. Die Appellanten baten
zwar, eine Kommission zu ernennen, damit vor derselben durch Zeugen und Eid das
in erster Instanz Verhandelte festgestellt würde. Darauf hat das Reichskammer¬
gericht aber keine Entscheidung getroffen. So blieb der Streit über die Beibrin¬
gung der Vorakten sowohl als in der Hauptsache unentschieden.

Dieser Fall beweist aber auch, daß zuerst das Reichskammerzericht einen Theil
des Kaiserlichen Hoflagers bildete, und mit dem Kaiser umherzog, denn die
Ladung erfolgte erst aus Augsburg, dann aus Nürnberg und zuletzt aus
Regensburg. In der nächsten Sache erging die Ladung erst aus Speier,
dann aus Worms.

Die obige Rüge, daß die richtenden Fürsten nicht, wie es sich gebührt,
gesessen haben, erinnert an die Vorschrift des Soester Stadtrechts: „Es soll
der Richter auf seinem Stuhl sitzen als ein griesgrimmender Löwe, den
rechten Fuß über den linken geschlagen, und wenn er aus der Sache nicht
könne herausfinden, so soll er dieselbe 123 mal überlegen." Die richtige Lese¬
art der Zahl ist natürlich 1, 2 und 3 mal. 123 mal wäre doch etwas
zu viel.

2) Herzog Heinrich der Jüngere von Lüneburg hatte den Kaufleuten der
Stadt Lübeck sicheres Geleit für Leib, Habe und Güter versprochen. Als
aber im Jahre 1513 einige Lübecker Kaufleute auf mehreren Wagen Güter
durch sein Land führten, hatte er diese Güter angehalten und auf sein Schloß
Celle bringen lassen. Es geschah dies auf Ansuchen des Kurfürsten
Joachim von Brandenburg, bei welchem Paul Blankenfeld, ein Berliner,
dies beantragt hatte, indem er behauptete es ständen ihm Forderungen an
die Lübecker Kaufleute zu.

Nun erhoben nicht die Eigenthümer der Waaren, sondern die Stadt
Lübeck selbst wegen Verletzung des gemeinen Landfriedens Klage beim Reichs¬
kammergericht, welches denn auch an Blankenfeld ein Mandat erließ: daß er
sich an der von den Lübeckern erbotenen Bürgschaft und an dem Wege
Rechtens solle begnügen und deren Habe und Güter ohne Entgeldniß und
Verhinderung solle folgen lassen, und solches zu thun einwilligen und darin
uicht widerspenstig oder säumig sein. Dies Mandat erging bei Androhung
der Ungnade, Strafe und Buße, namentlich der Pön des gemeinen Land¬
friedens d. h. bei Strafe der Acht.


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[0249] acht Jahre lang verhandelt. In der That gab es gar keine Schriften erster In¬ stanz, denn es hatte vor den Fürsten eben nur eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Die Appellanten konnten deshalb nur einen von den beiden Landesherrn ausgefertigten Brief beibringen, in welchem bezeugt wurde, wie geklagt und was erkannt worden. Bereits damals herrschte aber beim Reichskammergericht die Ansicht, daß ohne ordentliche schriftliche Vorakten eine Entscheidung des Reichskammergerichtes ein Ding der Unmöglichkeit sei. Die Appellanten baten zwar, eine Kommission zu ernennen, damit vor derselben durch Zeugen und Eid das in erster Instanz Verhandelte festgestellt würde. Darauf hat das Reichskammer¬ gericht aber keine Entscheidung getroffen. So blieb der Streit über die Beibrin¬ gung der Vorakten sowohl als in der Hauptsache unentschieden. Dieser Fall beweist aber auch, daß zuerst das Reichskammerzericht einen Theil des Kaiserlichen Hoflagers bildete, und mit dem Kaiser umherzog, denn die Ladung erfolgte erst aus Augsburg, dann aus Nürnberg und zuletzt aus Regensburg. In der nächsten Sache erging die Ladung erst aus Speier, dann aus Worms. Die obige Rüge, daß die richtenden Fürsten nicht, wie es sich gebührt, gesessen haben, erinnert an die Vorschrift des Soester Stadtrechts: „Es soll der Richter auf seinem Stuhl sitzen als ein griesgrimmender Löwe, den rechten Fuß über den linken geschlagen, und wenn er aus der Sache nicht könne herausfinden, so soll er dieselbe 123 mal überlegen." Die richtige Lese¬ art der Zahl ist natürlich 1, 2 und 3 mal. 123 mal wäre doch etwas zu viel. 2) Herzog Heinrich der Jüngere von Lüneburg hatte den Kaufleuten der Stadt Lübeck sicheres Geleit für Leib, Habe und Güter versprochen. Als aber im Jahre 1513 einige Lübecker Kaufleute auf mehreren Wagen Güter durch sein Land führten, hatte er diese Güter angehalten und auf sein Schloß Celle bringen lassen. Es geschah dies auf Ansuchen des Kurfürsten Joachim von Brandenburg, bei welchem Paul Blankenfeld, ein Berliner, dies beantragt hatte, indem er behauptete es ständen ihm Forderungen an die Lübecker Kaufleute zu. Nun erhoben nicht die Eigenthümer der Waaren, sondern die Stadt Lübeck selbst wegen Verletzung des gemeinen Landfriedens Klage beim Reichs¬ kammergericht, welches denn auch an Blankenfeld ein Mandat erließ: daß er sich an der von den Lübeckern erbotenen Bürgschaft und an dem Wege Rechtens solle begnügen und deren Habe und Güter ohne Entgeldniß und Verhinderung solle folgen lassen, und solches zu thun einwilligen und darin uicht widerspenstig oder säumig sein. Dies Mandat erging bei Androhung der Ungnade, Strafe und Buße, namentlich der Pön des gemeinen Land¬ friedens d. h. bei Strafe der Acht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/249>, abgerufen am 27.09.2024.