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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Es gehörte mithin ein sehr langes Leben, eine unermüdliche Geduld und
eine unausgesetzte aufmerksame Thätigkeit dazu, um vom Reichskammergericht
eine endgültige Entscheidung zu erreichen, wenn der Gegner die ihm so reich¬
lich zu Gebote stehenden Mittel benutzte, um die endgültige Entscheidung
hinauszuschieben.

So erklärt es sich, daß die meisten der Schleswig-Holsteinischen Sachen
des Reichskammergerichtes endigen, ohne daß dasselbe irgend eine endgültige
Entscheidung getroffen hat.

Die folgenden Streitsachen schildern aber nicht blos den damaligen
Zustand der Rechtspflege, sondern sie geben zugleich das anschaulichste Bild
der damaligen sittlichen Zustände. Wir finden die schamloseste Rohheit, die
offenbarste Mißachtung der öffentlichen Gewalt an der Tagesordnung,
Solche Zustände äußern auch ihren Einfluß auf die Richter. Die Rich¬
ter sind auch Kinder ihrer Zeit. Wir dürfen es daher nicht so scharf tadeln,
wenn sie die Gewaltthätigkeiten und Widersetzlichkeiten nicht so hart oder
auch wohl gar nicht rügten.

1) Der älteste Rechtsfall vom Jahre 1499 betraf die Appellation gegen
ein Erkenntniß, welches gleich im ersten Audienztermin durch die Herren
Johann König von Dänemark und Friedrich Herzog zu Holstein gesprochen
und von Herrn Nikolaus Krummendiek sogleich mündlich verkündet ist.
Dabei waren die Herren in Rüstung, auch gestiefelt und gespornt, um hin-
wegzuziehn.

Die Appellation stützte sich hauptsächlich darauf: 1. Das Urtheil sei
ohne Vorberathung und eilfertig gesprochen, denn König und Herzog hätten
desselben Tages, als sie gerüstet und reisefertig gewesen, das Urtheil ohne
Weiteres verkünden lassen, -- 2. der größere Theil der Mannen sei dabei
nicht gegenwärtig gewesen, -- 3. Ihre fürstliche Gnaden sowohl als derjenige,
welcher das Urtheil eröffnet, hätten gestanden, seien auch gerüstet und ange¬
legt gewesen, als das Urtheil eröffnet worden, da doch ein Richter, wenn er
ein Urtheil giebt, sitzen und nicht stehen soll. -- 4. Das Urtheil sei nicht,
wie es sich gehöre in Schriften gefaßt, auch nicht von einem Notarius
eröffnet.

Dies Erkenntniß war also nach altem deutschen Brauche von den Fürsten
selbst unter Zuziehung ihrer Mannen gesprochen. Auch vor Errichtung des Reichs¬
kammergerichts hatte der Kaiser an seinem jedesmaligen Hoflager unter Zuziehung
Reichsunmittelbarer die an ihn gediehenen Streitigkeiten mündlich entschieden.
Als jedoch das Reichskammergericht, an seine Stelle tretend, ein schriftliches Ver¬
fahren einführte, untergrub es das mündliche Verfahren der anderen deutschen Ge¬
richte, wie gerade dieser Prozeß beweist. Denn vor allen Dingen verlangte das
Reichskammergericht Beibringung der Akten der vorigen Instanz. Hierüber wurde


Es gehörte mithin ein sehr langes Leben, eine unermüdliche Geduld und
eine unausgesetzte aufmerksame Thätigkeit dazu, um vom Reichskammergericht
eine endgültige Entscheidung zu erreichen, wenn der Gegner die ihm so reich¬
lich zu Gebote stehenden Mittel benutzte, um die endgültige Entscheidung
hinauszuschieben.

So erklärt es sich, daß die meisten der Schleswig-Holsteinischen Sachen
des Reichskammergerichtes endigen, ohne daß dasselbe irgend eine endgültige
Entscheidung getroffen hat.

Die folgenden Streitsachen schildern aber nicht blos den damaligen
Zustand der Rechtspflege, sondern sie geben zugleich das anschaulichste Bild
der damaligen sittlichen Zustände. Wir finden die schamloseste Rohheit, die
offenbarste Mißachtung der öffentlichen Gewalt an der Tagesordnung,
Solche Zustände äußern auch ihren Einfluß auf die Richter. Die Rich¬
ter sind auch Kinder ihrer Zeit. Wir dürfen es daher nicht so scharf tadeln,
wenn sie die Gewaltthätigkeiten und Widersetzlichkeiten nicht so hart oder
auch wohl gar nicht rügten.

1) Der älteste Rechtsfall vom Jahre 1499 betraf die Appellation gegen
ein Erkenntniß, welches gleich im ersten Audienztermin durch die Herren
Johann König von Dänemark und Friedrich Herzog zu Holstein gesprochen
und von Herrn Nikolaus Krummendiek sogleich mündlich verkündet ist.
Dabei waren die Herren in Rüstung, auch gestiefelt und gespornt, um hin-
wegzuziehn.

Die Appellation stützte sich hauptsächlich darauf: 1. Das Urtheil sei
ohne Vorberathung und eilfertig gesprochen, denn König und Herzog hätten
desselben Tages, als sie gerüstet und reisefertig gewesen, das Urtheil ohne
Weiteres verkünden lassen, — 2. der größere Theil der Mannen sei dabei
nicht gegenwärtig gewesen, — 3. Ihre fürstliche Gnaden sowohl als derjenige,
welcher das Urtheil eröffnet, hätten gestanden, seien auch gerüstet und ange¬
legt gewesen, als das Urtheil eröffnet worden, da doch ein Richter, wenn er
ein Urtheil giebt, sitzen und nicht stehen soll. — 4. Das Urtheil sei nicht,
wie es sich gehöre in Schriften gefaßt, auch nicht von einem Notarius
eröffnet.

Dies Erkenntniß war also nach altem deutschen Brauche von den Fürsten
selbst unter Zuziehung ihrer Mannen gesprochen. Auch vor Errichtung des Reichs¬
kammergerichts hatte der Kaiser an seinem jedesmaligen Hoflager unter Zuziehung
Reichsunmittelbarer die an ihn gediehenen Streitigkeiten mündlich entschieden.
Als jedoch das Reichskammergericht, an seine Stelle tretend, ein schriftliches Ver¬
fahren einführte, untergrub es das mündliche Verfahren der anderen deutschen Ge¬
richte, wie gerade dieser Prozeß beweist. Denn vor allen Dingen verlangte das
Reichskammergericht Beibringung der Akten der vorigen Instanz. Hierüber wurde


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[0248] Es gehörte mithin ein sehr langes Leben, eine unermüdliche Geduld und eine unausgesetzte aufmerksame Thätigkeit dazu, um vom Reichskammergericht eine endgültige Entscheidung zu erreichen, wenn der Gegner die ihm so reich¬ lich zu Gebote stehenden Mittel benutzte, um die endgültige Entscheidung hinauszuschieben. So erklärt es sich, daß die meisten der Schleswig-Holsteinischen Sachen des Reichskammergerichtes endigen, ohne daß dasselbe irgend eine endgültige Entscheidung getroffen hat. Die folgenden Streitsachen schildern aber nicht blos den damaligen Zustand der Rechtspflege, sondern sie geben zugleich das anschaulichste Bild der damaligen sittlichen Zustände. Wir finden die schamloseste Rohheit, die offenbarste Mißachtung der öffentlichen Gewalt an der Tagesordnung, Solche Zustände äußern auch ihren Einfluß auf die Richter. Die Rich¬ ter sind auch Kinder ihrer Zeit. Wir dürfen es daher nicht so scharf tadeln, wenn sie die Gewaltthätigkeiten und Widersetzlichkeiten nicht so hart oder auch wohl gar nicht rügten. 1) Der älteste Rechtsfall vom Jahre 1499 betraf die Appellation gegen ein Erkenntniß, welches gleich im ersten Audienztermin durch die Herren Johann König von Dänemark und Friedrich Herzog zu Holstein gesprochen und von Herrn Nikolaus Krummendiek sogleich mündlich verkündet ist. Dabei waren die Herren in Rüstung, auch gestiefelt und gespornt, um hin- wegzuziehn. Die Appellation stützte sich hauptsächlich darauf: 1. Das Urtheil sei ohne Vorberathung und eilfertig gesprochen, denn König und Herzog hätten desselben Tages, als sie gerüstet und reisefertig gewesen, das Urtheil ohne Weiteres verkünden lassen, — 2. der größere Theil der Mannen sei dabei nicht gegenwärtig gewesen, — 3. Ihre fürstliche Gnaden sowohl als derjenige, welcher das Urtheil eröffnet, hätten gestanden, seien auch gerüstet und ange¬ legt gewesen, als das Urtheil eröffnet worden, da doch ein Richter, wenn er ein Urtheil giebt, sitzen und nicht stehen soll. — 4. Das Urtheil sei nicht, wie es sich gehöre in Schriften gefaßt, auch nicht von einem Notarius eröffnet. Dies Erkenntniß war also nach altem deutschen Brauche von den Fürsten selbst unter Zuziehung ihrer Mannen gesprochen. Auch vor Errichtung des Reichs¬ kammergerichts hatte der Kaiser an seinem jedesmaligen Hoflager unter Zuziehung Reichsunmittelbarer die an ihn gediehenen Streitigkeiten mündlich entschieden. Als jedoch das Reichskammergericht, an seine Stelle tretend, ein schriftliches Ver¬ fahren einführte, untergrub es das mündliche Verfahren der anderen deutschen Ge¬ richte, wie gerade dieser Prozeß beweist. Denn vor allen Dingen verlangte das Reichskammergericht Beibringung der Akten der vorigen Instanz. Hierüber wurde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/248>, abgerufen am 27.09.2024.