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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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schwer zu einem bindenden Beschluß. So blieben oft Stellen lange Zeit
unbesetzt. Noch lässiger waren aber die Stände bei Zahlung der zur Er¬
haltung des Reichskammergerichts nöthigen Beiträge. So berichteten z. B.
am 18. Dezember 1713 die Visttatoren des Reichskammergerichts, daß die Noth
unter den Angehörigen des Reichskammergerichts, insonderheit der Kanzlei¬
verwandten, so groß geworden sei, daß sich die Visttatoren auf vielfältig be¬
wegte Vorstellung der letzteren gemüßigt gesehen hätten, um deren gänzliches
Verderben zu verhüten, den nothdürftigen einen vierteljährlichen Sold aus
den dem Reichskammergericht anvertrauten und gerichtlich niedergelegten
Geldern(!) vorschießen zu lassen. Auch zeigen sie an, daß das Gerichtsgebäude
im höchsten Grade baufällig, und außer dem untersten Stock von Holz und
Lehm errichtet sei. Sichere Gewölbe zur Unterbringung der Akten fehlten
gänzlich. Der jetzige Aufbewahrungsort sei so mangelhaft, daß viele Akten
bereits vermodert aufgefunden seien. Es ist deshalb erklärlich, daß der von
den Ständen gefaßte Beschluß: Die Zahl der Beisitzer des Reichskammer¬
gerichts auf SO zu erhöhen, niemals ausgeführt wurde, obgleich man sich
allseitig überzeugt hatte, daß die vorhandene geringere Zahl nicht im Stande
war, die von Jahr zu Jahr zunehmenden Reste auszuarbeiten.

Ein weiterer Grund der Unwirksamkeit des Reichskammergerichts lag in
dem schwerfälligen Prozeßverfahren.

Während bis dahin der Streit auf Grund mündlicher und öffentlicher
Verhandlung entschieden wurde, setzte man sich beim Reichskammergericht über
dieses alte Herkommen hinweg. Von Anfang an war das Verfahren ein
heimliches und schriftliches. Man behielt nur den Schein eines mündlichen
Verfahrens bei. Es fanden wohl Audienzen statt. Bei ihnen saß der
Kammerrichter, so hieß der Präsident des Neichskammergerichts, als Vertreter
des Kaisers, der bis dahin selbst zu Gericht gesessen hatte, zwar unter eine"
Thronhimmel. Außerdem war aber nur noch ein Beisitzer zugegen, welcher
auch genügte, weil diese mündlichen Vorträge sich nur auf unwichtige,
zur Prozeßleitung dienende Handlungen erstreckte. Alle diejenigen Behaupt¬
ungen und Ausführungen, welche den zu entscheidenden Streit selbst betrafen,
wurden schriftlich übergeben, ohne haß der Inhalt mündlich wiederholt wurde.
Die Entscheidung erfolgte später in den besonderen Senaten.

Um nun den im Senate sitzenden Richtern von dem Inhalt der gewechselten
Schriften Kenntniß zu geben, schlug man zuerst den möglichst schwerfälligen
Weg ein. Man las sämmtliche Schriftstücke Wort für Wort vor. Dies
Verfahren erwies sich aber so zeitraubend und ermüdend, daß man später
einen Referenten ernannte. Dieser hatte aber nicht die Aufgabe, dem Senate
den Inhalt der Akten mündlich, oder auf Grund einer vorher angefertigten
Relation vorzutragen, sondern er mußte diese Relation in Gegenwart des


schwer zu einem bindenden Beschluß. So blieben oft Stellen lange Zeit
unbesetzt. Noch lässiger waren aber die Stände bei Zahlung der zur Er¬
haltung des Reichskammergerichts nöthigen Beiträge. So berichteten z. B.
am 18. Dezember 1713 die Visttatoren des Reichskammergerichts, daß die Noth
unter den Angehörigen des Reichskammergerichts, insonderheit der Kanzlei¬
verwandten, so groß geworden sei, daß sich die Visttatoren auf vielfältig be¬
wegte Vorstellung der letzteren gemüßigt gesehen hätten, um deren gänzliches
Verderben zu verhüten, den nothdürftigen einen vierteljährlichen Sold aus
den dem Reichskammergericht anvertrauten und gerichtlich niedergelegten
Geldern(!) vorschießen zu lassen. Auch zeigen sie an, daß das Gerichtsgebäude
im höchsten Grade baufällig, und außer dem untersten Stock von Holz und
Lehm errichtet sei. Sichere Gewölbe zur Unterbringung der Akten fehlten
gänzlich. Der jetzige Aufbewahrungsort sei so mangelhaft, daß viele Akten
bereits vermodert aufgefunden seien. Es ist deshalb erklärlich, daß der von
den Ständen gefaßte Beschluß: Die Zahl der Beisitzer des Reichskammer¬
gerichts auf SO zu erhöhen, niemals ausgeführt wurde, obgleich man sich
allseitig überzeugt hatte, daß die vorhandene geringere Zahl nicht im Stande
war, die von Jahr zu Jahr zunehmenden Reste auszuarbeiten.

Ein weiterer Grund der Unwirksamkeit des Reichskammergerichts lag in
dem schwerfälligen Prozeßverfahren.

Während bis dahin der Streit auf Grund mündlicher und öffentlicher
Verhandlung entschieden wurde, setzte man sich beim Reichskammergericht über
dieses alte Herkommen hinweg. Von Anfang an war das Verfahren ein
heimliches und schriftliches. Man behielt nur den Schein eines mündlichen
Verfahrens bei. Es fanden wohl Audienzen statt. Bei ihnen saß der
Kammerrichter, so hieß der Präsident des Neichskammergerichts, als Vertreter
des Kaisers, der bis dahin selbst zu Gericht gesessen hatte, zwar unter eine«
Thronhimmel. Außerdem war aber nur noch ein Beisitzer zugegen, welcher
auch genügte, weil diese mündlichen Vorträge sich nur auf unwichtige,
zur Prozeßleitung dienende Handlungen erstreckte. Alle diejenigen Behaupt¬
ungen und Ausführungen, welche den zu entscheidenden Streit selbst betrafen,
wurden schriftlich übergeben, ohne haß der Inhalt mündlich wiederholt wurde.
Die Entscheidung erfolgte später in den besonderen Senaten.

Um nun den im Senate sitzenden Richtern von dem Inhalt der gewechselten
Schriften Kenntniß zu geben, schlug man zuerst den möglichst schwerfälligen
Weg ein. Man las sämmtliche Schriftstücke Wort für Wort vor. Dies
Verfahren erwies sich aber so zeitraubend und ermüdend, daß man später
einen Referenten ernannte. Dieser hatte aber nicht die Aufgabe, dem Senate
den Inhalt der Akten mündlich, oder auf Grund einer vorher angefertigten
Relation vorzutragen, sondern er mußte diese Relation in Gegenwart des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/246>, abgerufen am 27.09.2024.