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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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darüber, daß Lazarus die Ehre als Wesensbestandtheil der Seele auffaßt,
quillt eben daraus, daß wir mit Lazarus (S. 207) sagen: das Streben nach
Ehre ist eine sittliche Pflicht. Sie zu erstreben liegt ja auch im Wesen des
Menschen, der gar nicht anders kann, als von der Umgebenwelt sich zu unter¬
scheiden, sich dabei zugleich zu beurtheilen und in Vergleich und Schätzung mit
den Uebrigen zu setzen. Daß hierbei fasche Schätzung vorkommen kann ist
richtig, aber nichts Edles lebt , das bei der Freiheit des Menschen nicht ins
Gegentheil verkehrt werden könnte und so ist auch die Möglichkeit des Ehr¬
geizes, der Eitelkeit, des Hochmuthes u. s. w. kein Grund die sittliche Pflicht
des Strebens nach Ehre zu unterdrücken. Lazarus citirt (208) den schönen
Schluß des Simplicissimus: "Ich nahm meine Ehre in Acht nicht ihrer selbst
sondern meiner Erhöhung wegen." Und dies in der That ist das Kriterium
wahrer Ehre, daß sie die sittliche Natur der Gemeinschaft nicht aufgiebt,
daß darin der Einzelne sich zu veredeln, und durch Werke zu glänzen strebt
nicht seiner selbst, sondern der Gesellschaft, der Nächsten wegen mit denen
er lebt.

Hiermit aber stehe ich wieder vor der Gottesidee. Denn über der Ge¬
sellschaft steht die Menschheit und diese erblickt die Bestimmung ihres Wesens
in Gott, dessen geistiges Ebenbild der Mensch sein soll, d. i. als dessen Eben¬
bild er sich verwirklichen soll. Letzten Endes quillt daher der geistige Inhalt,
der in dem wahren Streben nach Ehre bethätigt werden soll, aus der Idee
Gottes. Sie ist es, deren Nacheiferung dem reinsten Trieb nach reinster Ehre
Leben ertheilt, und sie ist es, die- im Streben nach wahrer Ehre bewußt oder
unbewußt als Maßstab der Schätzung zu Grunde liegt, sie ist es zugleich,
die der Ehre den vollsten Charakter der Sittlichkeit giebt, denn wer nach ihr
sein Thun bestimmt, bestimmt es nicht nach menschlichen äußeren Rücksichten
nicht nach dem Anstand und der Schicklichkeit, sondern nach den Ideen des
ewig Wahren, Guten und Schönen, und er weiß, daß der Werth seines
Thuns sich bestimmt nach der Ehre welche dem ewig Unvergänglichen, welche
Gott in der Höhe dabei gegeben wird, nicht aber nach dem Ruhm oder
dem Lohn, den seine Selbstsucht dabei gewinnt.

Ich bin daher nicht ganz einverstanden, wenn Lazarus 211 sagt, "daß
die religiöse Moral und namentlich die des Christenthums sich von je oft
und stark gegen die Triebfeder des Ehrgefühls gewendet habe." Denn was
die engherzige Moral sagt, kann Lazarus gleichgültig sein, da, wie der ideale
Schwung seiner Anschauung zeigt, er auf auf dem freieren, reicheren Boden
der Sittlichkeit steht. In Betreff der Religion freilich ist es richtig, daß
insofern sie das Verhalten des Menschen zu Gott ist, in ihr der Mensch sich
oft in seiner Kleinheit und Niedrigkeit fühlt; aber sie ist ja grade wieder
eine erhebende Kraft, sie ist der Ort, wo der Mensch wieder seinen Werth


darüber, daß Lazarus die Ehre als Wesensbestandtheil der Seele auffaßt,
quillt eben daraus, daß wir mit Lazarus (S. 207) sagen: das Streben nach
Ehre ist eine sittliche Pflicht. Sie zu erstreben liegt ja auch im Wesen des
Menschen, der gar nicht anders kann, als von der Umgebenwelt sich zu unter¬
scheiden, sich dabei zugleich zu beurtheilen und in Vergleich und Schätzung mit
den Uebrigen zu setzen. Daß hierbei fasche Schätzung vorkommen kann ist
richtig, aber nichts Edles lebt , das bei der Freiheit des Menschen nicht ins
Gegentheil verkehrt werden könnte und so ist auch die Möglichkeit des Ehr¬
geizes, der Eitelkeit, des Hochmuthes u. s. w. kein Grund die sittliche Pflicht
des Strebens nach Ehre zu unterdrücken. Lazarus citirt (208) den schönen
Schluß des Simplicissimus: „Ich nahm meine Ehre in Acht nicht ihrer selbst
sondern meiner Erhöhung wegen." Und dies in der That ist das Kriterium
wahrer Ehre, daß sie die sittliche Natur der Gemeinschaft nicht aufgiebt,
daß darin der Einzelne sich zu veredeln, und durch Werke zu glänzen strebt
nicht seiner selbst, sondern der Gesellschaft, der Nächsten wegen mit denen
er lebt.

Hiermit aber stehe ich wieder vor der Gottesidee. Denn über der Ge¬
sellschaft steht die Menschheit und diese erblickt die Bestimmung ihres Wesens
in Gott, dessen geistiges Ebenbild der Mensch sein soll, d. i. als dessen Eben¬
bild er sich verwirklichen soll. Letzten Endes quillt daher der geistige Inhalt,
der in dem wahren Streben nach Ehre bethätigt werden soll, aus der Idee
Gottes. Sie ist es, deren Nacheiferung dem reinsten Trieb nach reinster Ehre
Leben ertheilt, und sie ist es, die- im Streben nach wahrer Ehre bewußt oder
unbewußt als Maßstab der Schätzung zu Grunde liegt, sie ist es zugleich,
die der Ehre den vollsten Charakter der Sittlichkeit giebt, denn wer nach ihr
sein Thun bestimmt, bestimmt es nicht nach menschlichen äußeren Rücksichten
nicht nach dem Anstand und der Schicklichkeit, sondern nach den Ideen des
ewig Wahren, Guten und Schönen, und er weiß, daß der Werth seines
Thuns sich bestimmt nach der Ehre welche dem ewig Unvergänglichen, welche
Gott in der Höhe dabei gegeben wird, nicht aber nach dem Ruhm oder
dem Lohn, den seine Selbstsucht dabei gewinnt.

Ich bin daher nicht ganz einverstanden, wenn Lazarus 211 sagt, „daß
die religiöse Moral und namentlich die des Christenthums sich von je oft
und stark gegen die Triebfeder des Ehrgefühls gewendet habe." Denn was
die engherzige Moral sagt, kann Lazarus gleichgültig sein, da, wie der ideale
Schwung seiner Anschauung zeigt, er auf auf dem freieren, reicheren Boden
der Sittlichkeit steht. In Betreff der Religion freilich ist es richtig, daß
insofern sie das Verhalten des Menschen zu Gott ist, in ihr der Mensch sich
oft in seiner Kleinheit und Niedrigkeit fühlt; aber sie ist ja grade wieder
eine erhebende Kraft, sie ist der Ort, wo der Mensch wieder seinen Werth


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[0235] darüber, daß Lazarus die Ehre als Wesensbestandtheil der Seele auffaßt, quillt eben daraus, daß wir mit Lazarus (S. 207) sagen: das Streben nach Ehre ist eine sittliche Pflicht. Sie zu erstreben liegt ja auch im Wesen des Menschen, der gar nicht anders kann, als von der Umgebenwelt sich zu unter¬ scheiden, sich dabei zugleich zu beurtheilen und in Vergleich und Schätzung mit den Uebrigen zu setzen. Daß hierbei fasche Schätzung vorkommen kann ist richtig, aber nichts Edles lebt , das bei der Freiheit des Menschen nicht ins Gegentheil verkehrt werden könnte und so ist auch die Möglichkeit des Ehr¬ geizes, der Eitelkeit, des Hochmuthes u. s. w. kein Grund die sittliche Pflicht des Strebens nach Ehre zu unterdrücken. Lazarus citirt (208) den schönen Schluß des Simplicissimus: „Ich nahm meine Ehre in Acht nicht ihrer selbst sondern meiner Erhöhung wegen." Und dies in der That ist das Kriterium wahrer Ehre, daß sie die sittliche Natur der Gemeinschaft nicht aufgiebt, daß darin der Einzelne sich zu veredeln, und durch Werke zu glänzen strebt nicht seiner selbst, sondern der Gesellschaft, der Nächsten wegen mit denen er lebt. Hiermit aber stehe ich wieder vor der Gottesidee. Denn über der Ge¬ sellschaft steht die Menschheit und diese erblickt die Bestimmung ihres Wesens in Gott, dessen geistiges Ebenbild der Mensch sein soll, d. i. als dessen Eben¬ bild er sich verwirklichen soll. Letzten Endes quillt daher der geistige Inhalt, der in dem wahren Streben nach Ehre bethätigt werden soll, aus der Idee Gottes. Sie ist es, deren Nacheiferung dem reinsten Trieb nach reinster Ehre Leben ertheilt, und sie ist es, die- im Streben nach wahrer Ehre bewußt oder unbewußt als Maßstab der Schätzung zu Grunde liegt, sie ist es zugleich, die der Ehre den vollsten Charakter der Sittlichkeit giebt, denn wer nach ihr sein Thun bestimmt, bestimmt es nicht nach menschlichen äußeren Rücksichten nicht nach dem Anstand und der Schicklichkeit, sondern nach den Ideen des ewig Wahren, Guten und Schönen, und er weiß, daß der Werth seines Thuns sich bestimmt nach der Ehre welche dem ewig Unvergänglichen, welche Gott in der Höhe dabei gegeben wird, nicht aber nach dem Ruhm oder dem Lohn, den seine Selbstsucht dabei gewinnt. Ich bin daher nicht ganz einverstanden, wenn Lazarus 211 sagt, „daß die religiöse Moral und namentlich die des Christenthums sich von je oft und stark gegen die Triebfeder des Ehrgefühls gewendet habe." Denn was die engherzige Moral sagt, kann Lazarus gleichgültig sein, da, wie der ideale Schwung seiner Anschauung zeigt, er auf auf dem freieren, reicheren Boden der Sittlichkeit steht. In Betreff der Religion freilich ist es richtig, daß insofern sie das Verhalten des Menschen zu Gott ist, in ihr der Mensch sich oft in seiner Kleinheit und Niedrigkeit fühlt; aber sie ist ja grade wieder eine erhebende Kraft, sie ist der Ort, wo der Mensch wieder seinen Werth

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/235>, abgerufen am 27.09.2024.