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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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In etwas anderer Form möchte ich diesen Gedanken wiederholen. Die
objective Ehre quillt dem Einzelnen aus der Vorstellung von dem idealen
Inhalt und Werth der Familie, der Menschheit u. s. w. und diesen Ehre
gebenden idealen Inhalt erbt oder erwirbt er, aber die höchste Ehre wird
ihm, wenn er diesen idealen Inhalt mit seiner geistigen Kraft reiner und
reicher und tiefer erfaßt, und wenn er dann diese reicheren geistigen Schätze
zum Besitz der Gesammtheit zu machen weiß.

Das Streben nach dieser Ehre geht (192) dahin, nicht blos von den
Andern und durch sie, sondern in den Andern geachtet zu sein; nicht
Abbild der Gesammtheit, sondern Vorbild will er sein. Wenn Andere, was
sie thun, durch mich und nach mir thun, dann thue ich es in ihnen und
durch sie; sie sind mit diesem Thun Theile meiner Selbst, meiner durch
sie erweiterten Persönlichkeit. So ist es der Fall bei Stiftern von Ge¬
meinschaften, so auch bei Lehrern, Feldherrn, Königen. Eine Verkehrung in
Selbstsucht ist dabei möglich und erfahrungsmäßig, deshalb ist das Kriterion
(196) wahrer und falscher Apostel, patriotischer Helden und selbstsüchtiger
Eroberer eben dies, ob sie durch sich die Natur, oder durch die Natur sich
selbst erheben wollen.

Diese höchste Stufe führt (196) wie in unserer Betrachtung, so auch im
Leben zum Ruhm; denn Ruhm ist Ehre, ist Erweiterung des eignen Selbst¬
gefühls. Ehre aber leitet (197) unsere Handlungen nur vor denen und wird
verlangt von denen die uns kennen und bekannt sind; Ruhm dagegen ist das
Andenken und die Anerkennung ohne Grenzen des Raumes und der Zeit.
Die Ehre versetzt sich (198) in das Urtheil des Andern und will es erfüllen,
der Ruhm will es übertreffen. Die Ehre kann man (200) mit Andern zu¬
gleich erstreben und genießen, Ruhm schließt diese Gemeinschaft aus. Ehre
gründet die Republik im Reiche des Gemüths und der Sittlichkeit. Ruhm
die Despotie. Daraus folgt denn die unendlich größere Triebkraft des
Ruhmes, oft neben geringerem sittlichem Werth, die Größe der Kraft und
des Erfolges auch ohne Hoheit und Würde der Gesinnung. Dieser Erklärung
kann man, insofern bei der Ehre vorzugsweise ein sittliches Empfinden und
Fühlen thätig ist, hinzufügen, daß die Alten mehr den Ruhm erstrebten,
während die Ehre erst als germanisches Princip zur Verwirklichung kam.

Lazarus spricht nun (201) von der Schande als der Nachtseite der Ehre,
als Vernichtung des Selbstgefühls. Dabei zeigt sich wie das Ehrgefühl allein
das Leben lebenswerth macht; mit der Schande, als der Vernichtung der
eignen Werthschätzung, mag sie aus berechtigter oder unberechtigter Vorstellung
empfunden werden, tritt Verzweiflung, Unlust am Dasein, oft Selbstmord ein.

Lazarus spricht nun von den Vorwürfen, die man dem Streben nach
Ehre macht. Wir brauchen ihm dabei nicht zu folgen, denn unser Lob


In etwas anderer Form möchte ich diesen Gedanken wiederholen. Die
objective Ehre quillt dem Einzelnen aus der Vorstellung von dem idealen
Inhalt und Werth der Familie, der Menschheit u. s. w. und diesen Ehre
gebenden idealen Inhalt erbt oder erwirbt er, aber die höchste Ehre wird
ihm, wenn er diesen idealen Inhalt mit seiner geistigen Kraft reiner und
reicher und tiefer erfaßt, und wenn er dann diese reicheren geistigen Schätze
zum Besitz der Gesammtheit zu machen weiß.

Das Streben nach dieser Ehre geht (192) dahin, nicht blos von den
Andern und durch sie, sondern in den Andern geachtet zu sein; nicht
Abbild der Gesammtheit, sondern Vorbild will er sein. Wenn Andere, was
sie thun, durch mich und nach mir thun, dann thue ich es in ihnen und
durch sie; sie sind mit diesem Thun Theile meiner Selbst, meiner durch
sie erweiterten Persönlichkeit. So ist es der Fall bei Stiftern von Ge¬
meinschaften, so auch bei Lehrern, Feldherrn, Königen. Eine Verkehrung in
Selbstsucht ist dabei möglich und erfahrungsmäßig, deshalb ist das Kriterion
(196) wahrer und falscher Apostel, patriotischer Helden und selbstsüchtiger
Eroberer eben dies, ob sie durch sich die Natur, oder durch die Natur sich
selbst erheben wollen.

Diese höchste Stufe führt (196) wie in unserer Betrachtung, so auch im
Leben zum Ruhm; denn Ruhm ist Ehre, ist Erweiterung des eignen Selbst¬
gefühls. Ehre aber leitet (197) unsere Handlungen nur vor denen und wird
verlangt von denen die uns kennen und bekannt sind; Ruhm dagegen ist das
Andenken und die Anerkennung ohne Grenzen des Raumes und der Zeit.
Die Ehre versetzt sich (198) in das Urtheil des Andern und will es erfüllen,
der Ruhm will es übertreffen. Die Ehre kann man (200) mit Andern zu¬
gleich erstreben und genießen, Ruhm schließt diese Gemeinschaft aus. Ehre
gründet die Republik im Reiche des Gemüths und der Sittlichkeit. Ruhm
die Despotie. Daraus folgt denn die unendlich größere Triebkraft des
Ruhmes, oft neben geringerem sittlichem Werth, die Größe der Kraft und
des Erfolges auch ohne Hoheit und Würde der Gesinnung. Dieser Erklärung
kann man, insofern bei der Ehre vorzugsweise ein sittliches Empfinden und
Fühlen thätig ist, hinzufügen, daß die Alten mehr den Ruhm erstrebten,
während die Ehre erst als germanisches Princip zur Verwirklichung kam.

Lazarus spricht nun (201) von der Schande als der Nachtseite der Ehre,
als Vernichtung des Selbstgefühls. Dabei zeigt sich wie das Ehrgefühl allein
das Leben lebenswerth macht; mit der Schande, als der Vernichtung der
eignen Werthschätzung, mag sie aus berechtigter oder unberechtigter Vorstellung
empfunden werden, tritt Verzweiflung, Unlust am Dasein, oft Selbstmord ein.

Lazarus spricht nun von den Vorwürfen, die man dem Streben nach
Ehre macht. Wir brauchen ihm dabei nicht zu folgen, denn unser Lob


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[0234] In etwas anderer Form möchte ich diesen Gedanken wiederholen. Die objective Ehre quillt dem Einzelnen aus der Vorstellung von dem idealen Inhalt und Werth der Familie, der Menschheit u. s. w. und diesen Ehre gebenden idealen Inhalt erbt oder erwirbt er, aber die höchste Ehre wird ihm, wenn er diesen idealen Inhalt mit seiner geistigen Kraft reiner und reicher und tiefer erfaßt, und wenn er dann diese reicheren geistigen Schätze zum Besitz der Gesammtheit zu machen weiß. Das Streben nach dieser Ehre geht (192) dahin, nicht blos von den Andern und durch sie, sondern in den Andern geachtet zu sein; nicht Abbild der Gesammtheit, sondern Vorbild will er sein. Wenn Andere, was sie thun, durch mich und nach mir thun, dann thue ich es in ihnen und durch sie; sie sind mit diesem Thun Theile meiner Selbst, meiner durch sie erweiterten Persönlichkeit. So ist es der Fall bei Stiftern von Ge¬ meinschaften, so auch bei Lehrern, Feldherrn, Königen. Eine Verkehrung in Selbstsucht ist dabei möglich und erfahrungsmäßig, deshalb ist das Kriterion (196) wahrer und falscher Apostel, patriotischer Helden und selbstsüchtiger Eroberer eben dies, ob sie durch sich die Natur, oder durch die Natur sich selbst erheben wollen. Diese höchste Stufe führt (196) wie in unserer Betrachtung, so auch im Leben zum Ruhm; denn Ruhm ist Ehre, ist Erweiterung des eignen Selbst¬ gefühls. Ehre aber leitet (197) unsere Handlungen nur vor denen und wird verlangt von denen die uns kennen und bekannt sind; Ruhm dagegen ist das Andenken und die Anerkennung ohne Grenzen des Raumes und der Zeit. Die Ehre versetzt sich (198) in das Urtheil des Andern und will es erfüllen, der Ruhm will es übertreffen. Die Ehre kann man (200) mit Andern zu¬ gleich erstreben und genießen, Ruhm schließt diese Gemeinschaft aus. Ehre gründet die Republik im Reiche des Gemüths und der Sittlichkeit. Ruhm die Despotie. Daraus folgt denn die unendlich größere Triebkraft des Ruhmes, oft neben geringerem sittlichem Werth, die Größe der Kraft und des Erfolges auch ohne Hoheit und Würde der Gesinnung. Dieser Erklärung kann man, insofern bei der Ehre vorzugsweise ein sittliches Empfinden und Fühlen thätig ist, hinzufügen, daß die Alten mehr den Ruhm erstrebten, während die Ehre erst als germanisches Princip zur Verwirklichung kam. Lazarus spricht nun (201) von der Schande als der Nachtseite der Ehre, als Vernichtung des Selbstgefühls. Dabei zeigt sich wie das Ehrgefühl allein das Leben lebenswerth macht; mit der Schande, als der Vernichtung der eignen Werthschätzung, mag sie aus berechtigter oder unberechtigter Vorstellung empfunden werden, tritt Verzweiflung, Unlust am Dasein, oft Selbstmord ein. Lazarus spricht nun von den Vorwürfen, die man dem Streben nach Ehre macht. Wir brauchen ihm dabei nicht zu folgen, denn unser Lob

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/234>, abgerufen am 27.09.2024.