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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Einzelne seinen Werth in der Menschheit besitze und ^damit galt das Selbst¬
bewußtsein selbst als ein berechtigter und sogar wesensnothwendiger Bestand
der Seele; dann aber erschienen auch Denken, Fühlen und Wollen in ihrer
Gleichwerthigkeit als gleichzeitige Bethätigungen eines einheitlichen Wesens.
Leider aber hat der Mann, welcher vom Hellenismus zum Christenthum über¬
gegangen, die lebendige Persönlichkeit Gottes begründen, und die dreifachen
Functionen des Geistes als gleichwerthig und coordinirt aufzeigen wollte,
Augustin, gemeint, die drei Functionen des Geistes als drei Personen,
festhalten zu müssen; und er wurde dadurch grade die Veranlassung, daß
man in der Philosophie seit dem Untergang des Mittelalters, also grade
seit Aufkommen des Individualismus, die Persönlichkeitsidee sowohl bei der
Vorstellung von Gott, wie bei seinem Ebenbild, dem menschlichen Geist für
verfehlt ansah und noch ansieht. Man verwechselt dabei die morphologisch
beschränkte Person, die individuelle sinnliche Erscheinung der Persönlichkeit
mit der dynamischen Natur oder dem Wesen derselben, und verkennt, daß sie
als eine Kraft der Selbstbestimmung und des Vermögens aus inneren Prin¬
cipien zu handeln Herr und Meister ihres Thuns und Daseins ist. und daß
sie somit die Idee der höchsten menschlich denkbaren Kraft ist. Verharrend
aber in der morphologischen Bestimmung fährt daher die Psychologie nach
den Vorstellungen der Griechen fort, die Persönlichkeit als eine Schranke des
Unendlichen zu betrachten. Das Denken, vom Ich höchstens begleitet, steht
dem Wollen und Empfinden dualistisch und gar verächtlich gegenüber, und
selbst Schopenhauer und Hartmann kommen aus dem Dualismus nicht
heraus, denn ihrem Willen als dem Princip der Dummheit und des Unbe¬
wußten steht die Vorstellung als Leuchte zur Seite.

Natürlich daß für alle solche Anschauungen der Begriff der Ehre als
ein Luxus erscheint, den man vielleicht bei Soldaten, Studenten, Polytech-
nikern für eine eingebildete Nothwendigkeit ansieht, der aber im Uebrigen nur
als zufälliges Moment im Leben der Seele erwähnt wird. Kein kleines Ver¬
dienst, vielmehr eine bedeutende That für den Fortschritt im Begreifen der
Seele ist es daher, wenn Lazarus die Ehre als einen Wesensbestandthetl der
Seele hinstellt. Dabei wollen wir es ihm Dank wissen, daß er der ein
größeres Publicum, als blos die Fachphilosophen im Auge hatte, sich nicht
einließ in die abstracten schwierigen Begriffszergliederungen dessen, was Per¬
sönlichkeit sei, daß er vielmehr wie ein Naturforscher sich einfach an das in-
ductiv Gegebene hält, und das ist eben dies, daß jeder Mensch sich als Ich oder
Selbst fühlt!, denkt und weiß und erhalten will. Und da die meisten Men¬
schen wohl in ihrem Fühlen, Empfinden, Wünschen, Hoffen, Leiden eine
reichere Welt in sich erbaut haben, als im Wissen und Denken, so werden sie
um so wohlthuender angemuthet werden von Laznrus, der mit dem Ehrge-


Einzelne seinen Werth in der Menschheit besitze und ^damit galt das Selbst¬
bewußtsein selbst als ein berechtigter und sogar wesensnothwendiger Bestand
der Seele; dann aber erschienen auch Denken, Fühlen und Wollen in ihrer
Gleichwerthigkeit als gleichzeitige Bethätigungen eines einheitlichen Wesens.
Leider aber hat der Mann, welcher vom Hellenismus zum Christenthum über¬
gegangen, die lebendige Persönlichkeit Gottes begründen, und die dreifachen
Functionen des Geistes als gleichwerthig und coordinirt aufzeigen wollte,
Augustin, gemeint, die drei Functionen des Geistes als drei Personen,
festhalten zu müssen; und er wurde dadurch grade die Veranlassung, daß
man in der Philosophie seit dem Untergang des Mittelalters, also grade
seit Aufkommen des Individualismus, die Persönlichkeitsidee sowohl bei der
Vorstellung von Gott, wie bei seinem Ebenbild, dem menschlichen Geist für
verfehlt ansah und noch ansieht. Man verwechselt dabei die morphologisch
beschränkte Person, die individuelle sinnliche Erscheinung der Persönlichkeit
mit der dynamischen Natur oder dem Wesen derselben, und verkennt, daß sie
als eine Kraft der Selbstbestimmung und des Vermögens aus inneren Prin¬
cipien zu handeln Herr und Meister ihres Thuns und Daseins ist. und daß
sie somit die Idee der höchsten menschlich denkbaren Kraft ist. Verharrend
aber in der morphologischen Bestimmung fährt daher die Psychologie nach
den Vorstellungen der Griechen fort, die Persönlichkeit als eine Schranke des
Unendlichen zu betrachten. Das Denken, vom Ich höchstens begleitet, steht
dem Wollen und Empfinden dualistisch und gar verächtlich gegenüber, und
selbst Schopenhauer und Hartmann kommen aus dem Dualismus nicht
heraus, denn ihrem Willen als dem Princip der Dummheit und des Unbe¬
wußten steht die Vorstellung als Leuchte zur Seite.

Natürlich daß für alle solche Anschauungen der Begriff der Ehre als
ein Luxus erscheint, den man vielleicht bei Soldaten, Studenten, Polytech-
nikern für eine eingebildete Nothwendigkeit ansieht, der aber im Uebrigen nur
als zufälliges Moment im Leben der Seele erwähnt wird. Kein kleines Ver¬
dienst, vielmehr eine bedeutende That für den Fortschritt im Begreifen der
Seele ist es daher, wenn Lazarus die Ehre als einen Wesensbestandthetl der
Seele hinstellt. Dabei wollen wir es ihm Dank wissen, daß er der ein
größeres Publicum, als blos die Fachphilosophen im Auge hatte, sich nicht
einließ in die abstracten schwierigen Begriffszergliederungen dessen, was Per¬
sönlichkeit sei, daß er vielmehr wie ein Naturforscher sich einfach an das in-
ductiv Gegebene hält, und das ist eben dies, daß jeder Mensch sich als Ich oder
Selbst fühlt!, denkt und weiß und erhalten will. Und da die meisten Men¬
schen wohl in ihrem Fühlen, Empfinden, Wünschen, Hoffen, Leiden eine
reichere Welt in sich erbaut haben, als im Wissen und Denken, so werden sie
um so wohlthuender angemuthet werden von Laznrus, der mit dem Ehrge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/230>, abgerufen am 27.09.2024.