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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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dem niemand von den Kindern umgehen soll, und mit dem in Folge dessen
jedes und namentlich Tom insgeheim so viel als möglich verkehrt.

Die Bekanntschaft mit Huckleberry führt zu einer ernsten Episode. Der
Bettelknabe theilt Tom mit. daß er im Begriffe steht, demnächst Mitternachts
auf dem entlegnen Kirchhofe des Ortes den Teufel zu citiren. Tom bittet,
ihn dazu mitzunehmen, entwischt in der betreffenden Nacht durch's Fenster
und begiebt sich mit seinem unten wartenden Freunde, der ihm durch Miauen
das verabredete Zeichen gegeben, wirklich nach dem Kirchhofe. Dort werden
die Knaben ungesehen Zeugen zunächst eines Leichendiebstahls, dann eines
Mordes, den einer der Leichenräuber, ein verrufener Bösewicht, der "Indianische
Joe", aus Rache an dem jungen Arzte begeht, für welchen die Leiche aus'
gegraben worden ist. Ein späteres Kapitel erzählt uns dann, wie Tom trotz
seiner Furcht vor dem grausamen Schurken, und trotzdem, daß er sich Huckle¬
berry mit einem blutgeschriebenen Eide zum Schweigen verpflichtet, gewissen¬
haft und voll Mitleid vor Gericht in der Sache Zeugniß ablegt und dadurch
einen unschuldig Angeklagten vom Galgen rettet.

Wieder im komischen Fahrwasser sind wir mit dem Abschnitt, wo Tom,
von Weltschmerz und unglücklicher Liebe geplagt, zu siechen beginnt und von
seiner besorgten Tante allerlei Kuren unterzogen wird, bis er ihr endlich da¬
durch, daß er der Hauskatze die Medicin eingiebt, mit der sie ihn zuletzt ge¬
peinigt hat, die Augen über ihr thörichtes Treiben öffnet. Die Katze rast
wie toll durch das Haus, wirft Blumentöpfe um und fährt zum Fenster
hinaus. Die Tante schilt ihn darüber aus, zieht ihn "an dem gewöhnlichen
Henkel -- seinem Ohre -- zu sich herauf" und giebt ihm einen tüchtigen
Klaps mit ihrem Fingerhute auf den Kopf. "Na, Junge, warum mußt
Du das arme unvernünftige Thier so behandeln?" -- "Ich hab' es aus
Mitleid mit ihm gethan -- weil es keine Tante hat." -- "Keine Tante hat
-- Du Dummkopf? Was hat das hiermit zu schaffen?" -- "Ungeheuer
viel. Weil, wenn Peter eine Tante gehabt hätte, sie ihm die Eingeweide
selber verbrannt haben würde, ohne dabei mehr zu fühlen, als wie wenn er
ein Mensch gewesen wäre." Die Tante fühlt den Stich: was eine Grau¬
samkeit gegen eine Katze ist, kann auch eine Grausamkeit gegen einen
Knaben sein.

Im nächsten Kapitel folgt wohl ausgeführt und überaus belustigend eins
der Hauptabenteuer des Buches, die Geschichte, wie Tom in seinem Welt¬
schmerz und mit seinem gebrochenen Herzen in Gesellschaft seines gleichge-
sinnten Freundes Joe Harper und Huckleberrys den Entschluß faßt und aus¬
führt, Seeräuber zu werden, zu welchem Zwecke die drei Schlingel sich mit
gestohlenen Proviant auf eine Insel des Mississippi begeben, nachdem sich
jeder einen Schauernamen beigelegt hat, sodaß Tom fortan der schwarze Rächer der


dem niemand von den Kindern umgehen soll, und mit dem in Folge dessen
jedes und namentlich Tom insgeheim so viel als möglich verkehrt.

Die Bekanntschaft mit Huckleberry führt zu einer ernsten Episode. Der
Bettelknabe theilt Tom mit. daß er im Begriffe steht, demnächst Mitternachts
auf dem entlegnen Kirchhofe des Ortes den Teufel zu citiren. Tom bittet,
ihn dazu mitzunehmen, entwischt in der betreffenden Nacht durch's Fenster
und begiebt sich mit seinem unten wartenden Freunde, der ihm durch Miauen
das verabredete Zeichen gegeben, wirklich nach dem Kirchhofe. Dort werden
die Knaben ungesehen Zeugen zunächst eines Leichendiebstahls, dann eines
Mordes, den einer der Leichenräuber, ein verrufener Bösewicht, der „Indianische
Joe", aus Rache an dem jungen Arzte begeht, für welchen die Leiche aus'
gegraben worden ist. Ein späteres Kapitel erzählt uns dann, wie Tom trotz
seiner Furcht vor dem grausamen Schurken, und trotzdem, daß er sich Huckle¬
berry mit einem blutgeschriebenen Eide zum Schweigen verpflichtet, gewissen¬
haft und voll Mitleid vor Gericht in der Sache Zeugniß ablegt und dadurch
einen unschuldig Angeklagten vom Galgen rettet.

Wieder im komischen Fahrwasser sind wir mit dem Abschnitt, wo Tom,
von Weltschmerz und unglücklicher Liebe geplagt, zu siechen beginnt und von
seiner besorgten Tante allerlei Kuren unterzogen wird, bis er ihr endlich da¬
durch, daß er der Hauskatze die Medicin eingiebt, mit der sie ihn zuletzt ge¬
peinigt hat, die Augen über ihr thörichtes Treiben öffnet. Die Katze rast
wie toll durch das Haus, wirft Blumentöpfe um und fährt zum Fenster
hinaus. Die Tante schilt ihn darüber aus, zieht ihn „an dem gewöhnlichen
Henkel — seinem Ohre — zu sich herauf" und giebt ihm einen tüchtigen
Klaps mit ihrem Fingerhute auf den Kopf. „Na, Junge, warum mußt
Du das arme unvernünftige Thier so behandeln?" — „Ich hab' es aus
Mitleid mit ihm gethan — weil es keine Tante hat." — „Keine Tante hat
— Du Dummkopf? Was hat das hiermit zu schaffen?" — „Ungeheuer
viel. Weil, wenn Peter eine Tante gehabt hätte, sie ihm die Eingeweide
selber verbrannt haben würde, ohne dabei mehr zu fühlen, als wie wenn er
ein Mensch gewesen wäre." Die Tante fühlt den Stich: was eine Grau¬
samkeit gegen eine Katze ist, kann auch eine Grausamkeit gegen einen
Knaben sein.

Im nächsten Kapitel folgt wohl ausgeführt und überaus belustigend eins
der Hauptabenteuer des Buches, die Geschichte, wie Tom in seinem Welt¬
schmerz und mit seinem gebrochenen Herzen in Gesellschaft seines gleichge-
sinnten Freundes Joe Harper und Huckleberrys den Entschluß faßt und aus¬
führt, Seeräuber zu werden, zu welchem Zwecke die drei Schlingel sich mit
gestohlenen Proviant auf eine Insel des Mississippi begeben, nachdem sich
jeder einen Schauernamen beigelegt hat, sodaß Tom fortan der schwarze Rächer der


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[0224] dem niemand von den Kindern umgehen soll, und mit dem in Folge dessen jedes und namentlich Tom insgeheim so viel als möglich verkehrt. Die Bekanntschaft mit Huckleberry führt zu einer ernsten Episode. Der Bettelknabe theilt Tom mit. daß er im Begriffe steht, demnächst Mitternachts auf dem entlegnen Kirchhofe des Ortes den Teufel zu citiren. Tom bittet, ihn dazu mitzunehmen, entwischt in der betreffenden Nacht durch's Fenster und begiebt sich mit seinem unten wartenden Freunde, der ihm durch Miauen das verabredete Zeichen gegeben, wirklich nach dem Kirchhofe. Dort werden die Knaben ungesehen Zeugen zunächst eines Leichendiebstahls, dann eines Mordes, den einer der Leichenräuber, ein verrufener Bösewicht, der „Indianische Joe", aus Rache an dem jungen Arzte begeht, für welchen die Leiche aus' gegraben worden ist. Ein späteres Kapitel erzählt uns dann, wie Tom trotz seiner Furcht vor dem grausamen Schurken, und trotzdem, daß er sich Huckle¬ berry mit einem blutgeschriebenen Eide zum Schweigen verpflichtet, gewissen¬ haft und voll Mitleid vor Gericht in der Sache Zeugniß ablegt und dadurch einen unschuldig Angeklagten vom Galgen rettet. Wieder im komischen Fahrwasser sind wir mit dem Abschnitt, wo Tom, von Weltschmerz und unglücklicher Liebe geplagt, zu siechen beginnt und von seiner besorgten Tante allerlei Kuren unterzogen wird, bis er ihr endlich da¬ durch, daß er der Hauskatze die Medicin eingiebt, mit der sie ihn zuletzt ge¬ peinigt hat, die Augen über ihr thörichtes Treiben öffnet. Die Katze rast wie toll durch das Haus, wirft Blumentöpfe um und fährt zum Fenster hinaus. Die Tante schilt ihn darüber aus, zieht ihn „an dem gewöhnlichen Henkel — seinem Ohre — zu sich herauf" und giebt ihm einen tüchtigen Klaps mit ihrem Fingerhute auf den Kopf. „Na, Junge, warum mußt Du das arme unvernünftige Thier so behandeln?" — „Ich hab' es aus Mitleid mit ihm gethan — weil es keine Tante hat." — „Keine Tante hat — Du Dummkopf? Was hat das hiermit zu schaffen?" — „Ungeheuer viel. Weil, wenn Peter eine Tante gehabt hätte, sie ihm die Eingeweide selber verbrannt haben würde, ohne dabei mehr zu fühlen, als wie wenn er ein Mensch gewesen wäre." Die Tante fühlt den Stich: was eine Grau¬ samkeit gegen eine Katze ist, kann auch eine Grausamkeit gegen einen Knaben sein. Im nächsten Kapitel folgt wohl ausgeführt und überaus belustigend eins der Hauptabenteuer des Buches, die Geschichte, wie Tom in seinem Welt¬ schmerz und mit seinem gebrochenen Herzen in Gesellschaft seines gleichge- sinnten Freundes Joe Harper und Huckleberrys den Entschluß faßt und aus¬ führt, Seeräuber zu werden, zu welchem Zwecke die drei Schlingel sich mit gestohlenen Proviant auf eine Insel des Mississippi begeben, nachdem sich jeder einen Schauernamen beigelegt hat, sodaß Tom fortan der schwarze Rächer der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/224>, abgerufen am 27.09.2024.