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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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sollte das so sein, und wenn es nicht, wie wir wünschen, immer und allent¬
halben der Fall ist, so thun wir es doch des Scheines wegen.

Ein junges Mädchen oder eine junge Frau darf einen jungen Mann
die Hand nicht drücken, und dieser wieder wird, wenn er Verstand und Takt
besitzt, seinerseits einer solchen Dame ebenso wenig die Hand drücken. Natur
lich gilt dies nur von rein äußerlichen Verhältnissen und entfernten Be¬
ziehungen der Betreffenden zu einander. Bei vertrauter Freundschaft giebt
es nichts Besseres als einen Händedruck, ein echtes "sdakekanüs", herzlich,
kräftig, wohl gemeint, das oft beredter als viele Worte ist. Aber es giebt
noch etwas Besseres, als den englischen Händedruck, d. h. die Begrüßung, wo
man den Freund nach einer Trennung sich beide Hände entgegenstrecken sieht,
um uns die unsere zu drücken, wo man sie in die seinen schließt, sie gleich¬
sam in Haft nimmt, als ob man fürchtete, sie würden wieder entfliehen.

Die Frauen geben die Hand, die Männer strecken sie hin.
Man wird gebeten, sich über den verschiedenen Ausdruck klar zu werden.
Figürlich bedeutet es, daß das weibliche Geschlecht gewährt, das männliche
verlangt, in Wirklichkeit sagt es, daß die Frauen (eine Folge des Gebrauchs
des Handkusses) den Rücken der Hand darbieten, während die Männer sie
umgekehrt, mit der Innenfläche nach oben hinstrecken. Der Mann ist's,
welcher der Frau zuerst die Hand bietet, weil er gewöhnlich der Aeltere ist.
Denn in Summa, wie es ein Act der Vertrautheit, ein Zeichen der Freund¬
schaft ist, so erwartet der jüngere von zwei sich Begegnenden, daß der ältere
oder höherstehende es ihm giebt. Ein junger Mann von zwanzig Jahren
ergreift die Hand, die ihm eine ältere Dame reicht. Diese wird nicht ab¬
warten, ob die jungen Leute ihr die Hand hinstrecken; sie würden es nicht
wagen. Aber zwischen Frauen und Männern von ungefähr gleichem Alter
liegt dem Darreichen der Hand eine vertraute Annäherung, ein Verlangen zu
Grunde und derartiges kund zu geben, ist der Frau nicht gestattet. Ein
Jüngerer oder seiner Stellung nach Geringerer kann wohl um eine Hand
bitten, wenn er Verzeihung verlangt oder Abschied nimmt, aber er wird es
hochachtungsvoll thun. Es kommt ihm nicht zu, die Hand lebhaft und innig
zu umschließen und lange in der seinigen zu behalten.

So kann, wie man sieht, in einem einfachen Händedruck viel von der
Kunst des Umgangs mit Menschen liegen. Aber hier wie anderwärts ver¬
fährt man in der Regel nach dem, was man empfindet. Trotz aller Uever-
legung läßt man am Händedruck fühlen, wie sehr oder wie wenig man von
den Gefühlen der Ehrerbietung, der Zuneigung, des Stolzes oder der Ge¬
ringschätzung erfüllt ist.

Die Männer bücken sich nicht, wenn sie auf der Straße grüßen. Sie


sollte das so sein, und wenn es nicht, wie wir wünschen, immer und allent¬
halben der Fall ist, so thun wir es doch des Scheines wegen.

Ein junges Mädchen oder eine junge Frau darf einen jungen Mann
die Hand nicht drücken, und dieser wieder wird, wenn er Verstand und Takt
besitzt, seinerseits einer solchen Dame ebenso wenig die Hand drücken. Natur
lich gilt dies nur von rein äußerlichen Verhältnissen und entfernten Be¬
ziehungen der Betreffenden zu einander. Bei vertrauter Freundschaft giebt
es nichts Besseres als einen Händedruck, ein echtes „sdakekanüs", herzlich,
kräftig, wohl gemeint, das oft beredter als viele Worte ist. Aber es giebt
noch etwas Besseres, als den englischen Händedruck, d. h. die Begrüßung, wo
man den Freund nach einer Trennung sich beide Hände entgegenstrecken sieht,
um uns die unsere zu drücken, wo man sie in die seinen schließt, sie gleich¬
sam in Haft nimmt, als ob man fürchtete, sie würden wieder entfliehen.

Die Frauen geben die Hand, die Männer strecken sie hin.
Man wird gebeten, sich über den verschiedenen Ausdruck klar zu werden.
Figürlich bedeutet es, daß das weibliche Geschlecht gewährt, das männliche
verlangt, in Wirklichkeit sagt es, daß die Frauen (eine Folge des Gebrauchs
des Handkusses) den Rücken der Hand darbieten, während die Männer sie
umgekehrt, mit der Innenfläche nach oben hinstrecken. Der Mann ist's,
welcher der Frau zuerst die Hand bietet, weil er gewöhnlich der Aeltere ist.
Denn in Summa, wie es ein Act der Vertrautheit, ein Zeichen der Freund¬
schaft ist, so erwartet der jüngere von zwei sich Begegnenden, daß der ältere
oder höherstehende es ihm giebt. Ein junger Mann von zwanzig Jahren
ergreift die Hand, die ihm eine ältere Dame reicht. Diese wird nicht ab¬
warten, ob die jungen Leute ihr die Hand hinstrecken; sie würden es nicht
wagen. Aber zwischen Frauen und Männern von ungefähr gleichem Alter
liegt dem Darreichen der Hand eine vertraute Annäherung, ein Verlangen zu
Grunde und derartiges kund zu geben, ist der Frau nicht gestattet. Ein
Jüngerer oder seiner Stellung nach Geringerer kann wohl um eine Hand
bitten, wenn er Verzeihung verlangt oder Abschied nimmt, aber er wird es
hochachtungsvoll thun. Es kommt ihm nicht zu, die Hand lebhaft und innig
zu umschließen und lange in der seinigen zu behalten.

So kann, wie man sieht, in einem einfachen Händedruck viel von der
Kunst des Umgangs mit Menschen liegen. Aber hier wie anderwärts ver¬
fährt man in der Regel nach dem, was man empfindet. Trotz aller Uever-
legung läßt man am Händedruck fühlen, wie sehr oder wie wenig man von
den Gefühlen der Ehrerbietung, der Zuneigung, des Stolzes oder der Ge¬
ringschätzung erfüllt ist.

Die Männer bücken sich nicht, wenn sie auf der Straße grüßen. Sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/186>, abgerufen am 20.10.2024.