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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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rechtmäßige Behandlung und Nerfassungsverletzungen seitens des Königs,
der von seinen nördlichen Unterthanen in seinen Handlungen unterstützt
wurde. Die Holländer klagten nach dem Ausbruch des Aufstandes über Ver¬
letzung der Verträge des Wiener Congresses. Sie drangen in den König
nicht nachzugeben und die Hülfe der Großmächte zu verlangen. Dieser An¬
sicht war auch Thorbecke. Doch konnte er sich gleichzeitig des Gedankens
nicht erwehren, daß eine Wiedervereinigung unmöglich geworden sei, wenn
nicht die Regierung nach aller Kraft darnach strebe, Belgien der Dynastie
der Oranier zu erhalten. Ader auch dieser Hoffnung muß er schließlich ent¬
sagen; er meint, die Großmächte seien durch das Überhandnehmen des revo¬
lutionären Zeitgeistes gezwungen, alle Forderungen Belgiens zu unterstützen.
Endlich rückt die holländische Armee gegen die belgische, und eine französische
Armee kommt der letztern zu Hülfe. Die Holländer müssen sich zurückziehen,
und die Londoner Conferenz macht Friedensbedingungen, welche der König
Wilhelm nicht annehmen will. "Ich glaube", schreibt Thorbecke, "wir müssen
die Kosacken und die englische Flotte abwarten, die uns dazu (zur Annahm?
dieser Bedingungen) zwingen sollen." Man weiß, daß der König noch acht
Jahre lang zum größten Schaden seines Landes und unter wachsender Un¬
zufriedenheit der Holländer gezaudert hat.

Daß der König und die Holländer die Trennung von Belgien so langsam
verwinden konnten, trotzdem sie die Unmöglichkeit der Vereinigung schon bald
nach dem Aufstand im August 1830 einsahen, lag vielleicht daran, daß der
König und die Königsmacher, die ihn auf den Thron gehoben, noch im Jahre
1813 von der Vereinigung aller Niederlande im Norden geschwärmt hatten. Das
Volk hatte sich freilich an dieser Art von Schwärmerei in keiner Weise betheiligt.

Als die Trennung sich nun vorbereitete und vollzog, erklärten die¬
selben Königsmacher, daß Belgien durch den Wiener Congreß den
Holländern gewissermaßen aufgedrungen worden sei, so namentlich im
^ahre 1829 der Graf van Hogendorp, der eifrigste der manischen Partei¬
führer des Jahres 1813, welcher nun, da die Trauben sauer wurden, be¬
hauptete, daß bei der Bereinigung "unser Wille nicht in Betracht gezogen
Wurde." Diese Behauptung wagte er, obwohl von demselben Hogendorp,
wahrscheinlich schon im Jahre 1812 ein Memorandum ausgearbeitet, jeden¬
falls aber im November des Jahres 1813 dem englischen Cabinet überreicht
Wurde, in welchem Belgien und Theile Deutschlands für Holland verlangt
wurden, Thorbecke scheint diese Thatsache damals noch nicht gekannt zu
^ben, aber im Jahre 1860, in Veranlassung des Erscheinens der Corre-
spondenz Falk's (der ebenfalls 1813 zu der Erhebung Oranien's und der
Reinigung mit Belgien sehr viel beigetragen hatte) schrieb er "die Ver¬
ätzung aller Niederlande ist bis jetzt gewöhnlich betrachtet worden als


rechtmäßige Behandlung und Nerfassungsverletzungen seitens des Königs,
der von seinen nördlichen Unterthanen in seinen Handlungen unterstützt
wurde. Die Holländer klagten nach dem Ausbruch des Aufstandes über Ver¬
letzung der Verträge des Wiener Congresses. Sie drangen in den König
nicht nachzugeben und die Hülfe der Großmächte zu verlangen. Dieser An¬
sicht war auch Thorbecke. Doch konnte er sich gleichzeitig des Gedankens
nicht erwehren, daß eine Wiedervereinigung unmöglich geworden sei, wenn
nicht die Regierung nach aller Kraft darnach strebe, Belgien der Dynastie
der Oranier zu erhalten. Ader auch dieser Hoffnung muß er schließlich ent¬
sagen; er meint, die Großmächte seien durch das Überhandnehmen des revo¬
lutionären Zeitgeistes gezwungen, alle Forderungen Belgiens zu unterstützen.
Endlich rückt die holländische Armee gegen die belgische, und eine französische
Armee kommt der letztern zu Hülfe. Die Holländer müssen sich zurückziehen,
und die Londoner Conferenz macht Friedensbedingungen, welche der König
Wilhelm nicht annehmen will. „Ich glaube", schreibt Thorbecke, „wir müssen
die Kosacken und die englische Flotte abwarten, die uns dazu (zur Annahm?
dieser Bedingungen) zwingen sollen." Man weiß, daß der König noch acht
Jahre lang zum größten Schaden seines Landes und unter wachsender Un¬
zufriedenheit der Holländer gezaudert hat.

Daß der König und die Holländer die Trennung von Belgien so langsam
verwinden konnten, trotzdem sie die Unmöglichkeit der Vereinigung schon bald
nach dem Aufstand im August 1830 einsahen, lag vielleicht daran, daß der
König und die Königsmacher, die ihn auf den Thron gehoben, noch im Jahre
1813 von der Vereinigung aller Niederlande im Norden geschwärmt hatten. Das
Volk hatte sich freilich an dieser Art von Schwärmerei in keiner Weise betheiligt.

Als die Trennung sich nun vorbereitete und vollzog, erklärten die¬
selben Königsmacher, daß Belgien durch den Wiener Congreß den
Holländern gewissermaßen aufgedrungen worden sei, so namentlich im
^ahre 1829 der Graf van Hogendorp, der eifrigste der manischen Partei¬
führer des Jahres 1813, welcher nun, da die Trauben sauer wurden, be¬
hauptete, daß bei der Bereinigung „unser Wille nicht in Betracht gezogen
Wurde." Diese Behauptung wagte er, obwohl von demselben Hogendorp,
wahrscheinlich schon im Jahre 1812 ein Memorandum ausgearbeitet, jeden¬
falls aber im November des Jahres 1813 dem englischen Cabinet überreicht
Wurde, in welchem Belgien und Theile Deutschlands für Holland verlangt
wurden, Thorbecke scheint diese Thatsache damals noch nicht gekannt zu
^ben, aber im Jahre 1860, in Veranlassung des Erscheinens der Corre-
spondenz Falk's (der ebenfalls 1813 zu der Erhebung Oranien's und der
Reinigung mit Belgien sehr viel beigetragen hatte) schrieb er „die Ver¬
ätzung aller Niederlande ist bis jetzt gewöhnlich betrachtet worden als


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[0167] rechtmäßige Behandlung und Nerfassungsverletzungen seitens des Königs, der von seinen nördlichen Unterthanen in seinen Handlungen unterstützt wurde. Die Holländer klagten nach dem Ausbruch des Aufstandes über Ver¬ letzung der Verträge des Wiener Congresses. Sie drangen in den König nicht nachzugeben und die Hülfe der Großmächte zu verlangen. Dieser An¬ sicht war auch Thorbecke. Doch konnte er sich gleichzeitig des Gedankens nicht erwehren, daß eine Wiedervereinigung unmöglich geworden sei, wenn nicht die Regierung nach aller Kraft darnach strebe, Belgien der Dynastie der Oranier zu erhalten. Ader auch dieser Hoffnung muß er schließlich ent¬ sagen; er meint, die Großmächte seien durch das Überhandnehmen des revo¬ lutionären Zeitgeistes gezwungen, alle Forderungen Belgiens zu unterstützen. Endlich rückt die holländische Armee gegen die belgische, und eine französische Armee kommt der letztern zu Hülfe. Die Holländer müssen sich zurückziehen, und die Londoner Conferenz macht Friedensbedingungen, welche der König Wilhelm nicht annehmen will. „Ich glaube", schreibt Thorbecke, „wir müssen die Kosacken und die englische Flotte abwarten, die uns dazu (zur Annahm? dieser Bedingungen) zwingen sollen." Man weiß, daß der König noch acht Jahre lang zum größten Schaden seines Landes und unter wachsender Un¬ zufriedenheit der Holländer gezaudert hat. Daß der König und die Holländer die Trennung von Belgien so langsam verwinden konnten, trotzdem sie die Unmöglichkeit der Vereinigung schon bald nach dem Aufstand im August 1830 einsahen, lag vielleicht daran, daß der König und die Königsmacher, die ihn auf den Thron gehoben, noch im Jahre 1813 von der Vereinigung aller Niederlande im Norden geschwärmt hatten. Das Volk hatte sich freilich an dieser Art von Schwärmerei in keiner Weise betheiligt. Als die Trennung sich nun vorbereitete und vollzog, erklärten die¬ selben Königsmacher, daß Belgien durch den Wiener Congreß den Holländern gewissermaßen aufgedrungen worden sei, so namentlich im ^ahre 1829 der Graf van Hogendorp, der eifrigste der manischen Partei¬ führer des Jahres 1813, welcher nun, da die Trauben sauer wurden, be¬ hauptete, daß bei der Bereinigung „unser Wille nicht in Betracht gezogen Wurde." Diese Behauptung wagte er, obwohl von demselben Hogendorp, wahrscheinlich schon im Jahre 1812 ein Memorandum ausgearbeitet, jeden¬ falls aber im November des Jahres 1813 dem englischen Cabinet überreicht Wurde, in welchem Belgien und Theile Deutschlands für Holland verlangt wurden, Thorbecke scheint diese Thatsache damals noch nicht gekannt zu ^ben, aber im Jahre 1860, in Veranlassung des Erscheinens der Corre- spondenz Falk's (der ebenfalls 1813 zu der Erhebung Oranien's und der Reinigung mit Belgien sehr viel beigetragen hatte) schrieb er „die Ver¬ ätzung aller Niederlande ist bis jetzt gewöhnlich betrachtet worden als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/167>, abgerufen am 27.09.2024.