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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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seine Ernennung zum Präsidenten des Staatsministeriums vollzogen war,
an dem gleichen Tage das noch unter Mathy's Auspicien berathene Wehr¬
und Contingentsgesetz als verantwortlicher Minister eontrasignirte. Diese
Gesetze schufen uns ein Heer nach preußischem Muster, sie gaben uns ein
Armeecorps, das die heldenmütigen Kämpfe bei nuits, Belfort u. A. sieg¬
reich bestehen konnte. Bekannt ist, in welch' kühner Führung der jetzt zu¬
rückgetretene Staatsminister das nationale Banner vorantrug, als der
Wogenschlag des drohenden Krieges sich brandend an den Grenzgestaden
unseres badischen Landes vernehmen ließ. Jolly's Namen unter dem
Versailler Protokoll vom 15. November 1870 ist von den Namen der sieben
Unterzeichner derjenige, dessen Träger nebst Btsmarck die größte innere Berech¬
tigung besaß, ihn unter dieses ewig denkwürdige Aktenstück zu setzen.

nachhaltige Spuren wird das Wirken des bisherigen Premiers in
unserem innerbadischen Staatsleben zurücklassen für alle Zeiten. Die libe¬
ralen Principien wurden mit eonsequentester Energie verwirklicht. Unter Jolly
z. B. erfolgte die Verweisung der politischen und der Preßvergehen vor die
Schwurgerichte, unter ihm hatten mehrfache, tiefeingreifende Verfassungs¬
änderungen in freiheitlichen Sinne statt, das Wahlrecht zum Landtag wurde
erweitert, das Gesetz über Ministerverantwortlichkeit votirt und das Verfahren
bei Mintsteranklagen geregelt, die Gemeindeordnung erfuhr eine zeitgemäße
Revision, die Städteordnung trat in's Leben, schließlich gewährte noch das
auf dem letzten Landtag beschlossene Gesetz über Einrichtung und Befugnisse
der Oberrechnungskammer eine höchst werthvolle Bereicherung der konstitutio¬
nellen Institutionen. Den Kirchen wurde bezüglich ihres inneren Lebens
durchweg freie Bewegung gelassen, nicht minder wurde aber auch die Staats¬
hoheit ihnen gegenüber nachdrücklichst zur Geltung gebracht. Das die recht¬
liche Stellung der Kirchen im Staat regelnde Gesetz vom 9. Oktober 1860
wurde in einigen wichtigen Punkten ergänzt und verschärft; bereits zu Ende
1869 wurde die bürgerliche Standesbeamtung den Geistlichen abgenommen und
die Civilehe obligatorisch eingeführt; das Sttftungsgesetz vom 5. Mai 1870
Machte durchgreifende Ordnung eines vielverwirrten Gebietes; das Altkatho-
Ukengesetz vom 15. Juni 1874 kam den berechtigten Forderungen, welche
Folge dieser Bewegung in der römischen Kirche zu Tagen traten, in
Weiser Berücksichtigung entgegen. Wie sehr der jetzt zurückgetretene Staats-
Minister die hohe Bedeutung der Kirche würdigte und wie sehr er geneigt
^r. sie in der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen, zeigte sein ernstliches
Bemühen für das Zustandekommen des auf dem letzten Landtag votirten sog.
Pfarrdotationsgesetzes. Eine ganz besondere Fürsorge widmete Jolly der
Volksbildung und Volkserziehung. Das gesammte Volksschulwesen erfuhr
eine neue Regelung, die Lehrergehalte wurden auf die entsprechende Höhe


seine Ernennung zum Präsidenten des Staatsministeriums vollzogen war,
an dem gleichen Tage das noch unter Mathy's Auspicien berathene Wehr¬
und Contingentsgesetz als verantwortlicher Minister eontrasignirte. Diese
Gesetze schufen uns ein Heer nach preußischem Muster, sie gaben uns ein
Armeecorps, das die heldenmütigen Kämpfe bei nuits, Belfort u. A. sieg¬
reich bestehen konnte. Bekannt ist, in welch' kühner Führung der jetzt zu¬
rückgetretene Staatsminister das nationale Banner vorantrug, als der
Wogenschlag des drohenden Krieges sich brandend an den Grenzgestaden
unseres badischen Landes vernehmen ließ. Jolly's Namen unter dem
Versailler Protokoll vom 15. November 1870 ist von den Namen der sieben
Unterzeichner derjenige, dessen Träger nebst Btsmarck die größte innere Berech¬
tigung besaß, ihn unter dieses ewig denkwürdige Aktenstück zu setzen.

nachhaltige Spuren wird das Wirken des bisherigen Premiers in
unserem innerbadischen Staatsleben zurücklassen für alle Zeiten. Die libe¬
ralen Principien wurden mit eonsequentester Energie verwirklicht. Unter Jolly
z. B. erfolgte die Verweisung der politischen und der Preßvergehen vor die
Schwurgerichte, unter ihm hatten mehrfache, tiefeingreifende Verfassungs¬
änderungen in freiheitlichen Sinne statt, das Wahlrecht zum Landtag wurde
erweitert, das Gesetz über Ministerverantwortlichkeit votirt und das Verfahren
bei Mintsteranklagen geregelt, die Gemeindeordnung erfuhr eine zeitgemäße
Revision, die Städteordnung trat in's Leben, schließlich gewährte noch das
auf dem letzten Landtag beschlossene Gesetz über Einrichtung und Befugnisse
der Oberrechnungskammer eine höchst werthvolle Bereicherung der konstitutio¬
nellen Institutionen. Den Kirchen wurde bezüglich ihres inneren Lebens
durchweg freie Bewegung gelassen, nicht minder wurde aber auch die Staats¬
hoheit ihnen gegenüber nachdrücklichst zur Geltung gebracht. Das die recht¬
liche Stellung der Kirchen im Staat regelnde Gesetz vom 9. Oktober 1860
wurde in einigen wichtigen Punkten ergänzt und verschärft; bereits zu Ende
1869 wurde die bürgerliche Standesbeamtung den Geistlichen abgenommen und
die Civilehe obligatorisch eingeführt; das Sttftungsgesetz vom 5. Mai 1870
Machte durchgreifende Ordnung eines vielverwirrten Gebietes; das Altkatho-
Ukengesetz vom 15. Juni 1874 kam den berechtigten Forderungen, welche
Folge dieser Bewegung in der römischen Kirche zu Tagen traten, in
Weiser Berücksichtigung entgegen. Wie sehr der jetzt zurückgetretene Staats-
Minister die hohe Bedeutung der Kirche würdigte und wie sehr er geneigt
^r. sie in der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen, zeigte sein ernstliches
Bemühen für das Zustandekommen des auf dem letzten Landtag votirten sog.
Pfarrdotationsgesetzes. Eine ganz besondere Fürsorge widmete Jolly der
Volksbildung und Volkserziehung. Das gesammte Volksschulwesen erfuhr
eine neue Regelung, die Lehrergehalte wurden auf die entsprechende Höhe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/155>, abgerufen am 27.09.2024.