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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Kopps' urkundliche Forschungen beschafft worden. Nach diesen wissen wir
Folgendes.

Eine Persönlichkeit Namens Hermann Geßler, die angeblich bis 1307
als österreichischer Vogt in den Waldstätten regiert hätte und dort getödtet
worden wäre, existirt in der Geßler'schen Familie damaliger Zeit ebenso wenig
wie später. Das demselben beigelegte Amt eines Reichsvogtes der drei Länder
war damals gleichfalls noch nicht vorhanden, weil in der ganzen Zeit Albrechts,
als Herzogs und als Königs, Uri und Unterwalden kein Reichsland waren,
in Schwyz aber die Landesverwaltung durch Ammänner geführt wurde, über
welche ein Landmann als Richter gesetzt war. Ein solcher Richter aber schließt
in seiner Eigenschaft als Verweser der Vogtesgerichtsbarkeit das Bestehen
eines Landvogtes neben ihm aus.

Ein Hermann Geßler von Brunegg hat bis 1307 und noch geraume
Zeit später gleichfalls noch nicht gelebt, da diese Burg erst zu Ende des
vierzehnten Jahrhunderts in den Besitz eines Geßler, Heinrich's des Zweiten
dieses Namens kam, der 1403 starb.

Ein Vogt Geßler auf der Burg Küßnach ist ebenfalls eine Unmöglich¬
keit, da diese Schloßvogtei urkundlich von 1296 bis 1347 dem Rittergeschlechte
der Eppone von Chüssinach, dann als herzogliches Erdleben dem Walter von
Tottikon gehörte, hierauf durch dessen Tochter an deren Gemahl Heinrich
von Hunwile und endlich am 24. August 1402 durch Kauf an das Land
Schwyz kommt, ohne jemals einen Geßler zum Besitzer gehabt zu haben.

Hiermit wird, wie Rochholz sagt, "durch die Geschichtsforschung Geßler
aus der Tellensage befreit, wie durch die Sagenforschung Tell aus dem Ge¬
biete der Geschichte ausgewiesen ist. Tell wird aus dem politischen und
kirchlichen Credo gestrichen, Geßler ebenso aus dem Aberglauben des Volkes
und der Lesewelt. Ist Geßler der pragmatischen Geschichte sicher anheimge¬
stellt, so ist Tell um sein Schlachtopfer gebracht, so endet die bisherige
Zwillingsschaft dieser beiden Namen. Politische Bosheit eines von welschem
Solde lebenden und das deutsche Stammland hassenden Magnatenthuw.es
war es, die das Märchen vom Tyrannen Geßler auf die Bahn brachte und
es durch eine welschdenkende Priesterschaft sogar kirchlich sanctioniren ließ.
Dieses aufzudecken ist Aufgabe der historischen Gerechtigkeit."


Moritz Busch.


Kopps' urkundliche Forschungen beschafft worden. Nach diesen wissen wir
Folgendes.

Eine Persönlichkeit Namens Hermann Geßler, die angeblich bis 1307
als österreichischer Vogt in den Waldstätten regiert hätte und dort getödtet
worden wäre, existirt in der Geßler'schen Familie damaliger Zeit ebenso wenig
wie später. Das demselben beigelegte Amt eines Reichsvogtes der drei Länder
war damals gleichfalls noch nicht vorhanden, weil in der ganzen Zeit Albrechts,
als Herzogs und als Königs, Uri und Unterwalden kein Reichsland waren,
in Schwyz aber die Landesverwaltung durch Ammänner geführt wurde, über
welche ein Landmann als Richter gesetzt war. Ein solcher Richter aber schließt
in seiner Eigenschaft als Verweser der Vogtesgerichtsbarkeit das Bestehen
eines Landvogtes neben ihm aus.

Ein Hermann Geßler von Brunegg hat bis 1307 und noch geraume
Zeit später gleichfalls noch nicht gelebt, da diese Burg erst zu Ende des
vierzehnten Jahrhunderts in den Besitz eines Geßler, Heinrich's des Zweiten
dieses Namens kam, der 1403 starb.

Ein Vogt Geßler auf der Burg Küßnach ist ebenfalls eine Unmöglich¬
keit, da diese Schloßvogtei urkundlich von 1296 bis 1347 dem Rittergeschlechte
der Eppone von Chüssinach, dann als herzogliches Erdleben dem Walter von
Tottikon gehörte, hierauf durch dessen Tochter an deren Gemahl Heinrich
von Hunwile und endlich am 24. August 1402 durch Kauf an das Land
Schwyz kommt, ohne jemals einen Geßler zum Besitzer gehabt zu haben.

Hiermit wird, wie Rochholz sagt, „durch die Geschichtsforschung Geßler
aus der Tellensage befreit, wie durch die Sagenforschung Tell aus dem Ge¬
biete der Geschichte ausgewiesen ist. Tell wird aus dem politischen und
kirchlichen Credo gestrichen, Geßler ebenso aus dem Aberglauben des Volkes
und der Lesewelt. Ist Geßler der pragmatischen Geschichte sicher anheimge¬
stellt, so ist Tell um sein Schlachtopfer gebracht, so endet die bisherige
Zwillingsschaft dieser beiden Namen. Politische Bosheit eines von welschem
Solde lebenden und das deutsche Stammland hassenden Magnatenthuw.es
war es, die das Märchen vom Tyrannen Geßler auf die Bahn brachte und
es durch eine welschdenkende Priesterschaft sogar kirchlich sanctioniren ließ.
Dieses aufzudecken ist Aufgabe der historischen Gerechtigkeit."


Moritz Busch.


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[0147] Kopps' urkundliche Forschungen beschafft worden. Nach diesen wissen wir Folgendes. Eine Persönlichkeit Namens Hermann Geßler, die angeblich bis 1307 als österreichischer Vogt in den Waldstätten regiert hätte und dort getödtet worden wäre, existirt in der Geßler'schen Familie damaliger Zeit ebenso wenig wie später. Das demselben beigelegte Amt eines Reichsvogtes der drei Länder war damals gleichfalls noch nicht vorhanden, weil in der ganzen Zeit Albrechts, als Herzogs und als Königs, Uri und Unterwalden kein Reichsland waren, in Schwyz aber die Landesverwaltung durch Ammänner geführt wurde, über welche ein Landmann als Richter gesetzt war. Ein solcher Richter aber schließt in seiner Eigenschaft als Verweser der Vogtesgerichtsbarkeit das Bestehen eines Landvogtes neben ihm aus. Ein Hermann Geßler von Brunegg hat bis 1307 und noch geraume Zeit später gleichfalls noch nicht gelebt, da diese Burg erst zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts in den Besitz eines Geßler, Heinrich's des Zweiten dieses Namens kam, der 1403 starb. Ein Vogt Geßler auf der Burg Küßnach ist ebenfalls eine Unmöglich¬ keit, da diese Schloßvogtei urkundlich von 1296 bis 1347 dem Rittergeschlechte der Eppone von Chüssinach, dann als herzogliches Erdleben dem Walter von Tottikon gehörte, hierauf durch dessen Tochter an deren Gemahl Heinrich von Hunwile und endlich am 24. August 1402 durch Kauf an das Land Schwyz kommt, ohne jemals einen Geßler zum Besitzer gehabt zu haben. Hiermit wird, wie Rochholz sagt, „durch die Geschichtsforschung Geßler aus der Tellensage befreit, wie durch die Sagenforschung Tell aus dem Ge¬ biete der Geschichte ausgewiesen ist. Tell wird aus dem politischen und kirchlichen Credo gestrichen, Geßler ebenso aus dem Aberglauben des Volkes und der Lesewelt. Ist Geßler der pragmatischen Geschichte sicher anheimge¬ stellt, so ist Tell um sein Schlachtopfer gebracht, so endet die bisherige Zwillingsschaft dieser beiden Namen. Politische Bosheit eines von welschem Solde lebenden und das deutsche Stammland hassenden Magnatenthuw.es war es, die das Märchen vom Tyrannen Geßler auf die Bahn brachte und es durch eine welschdenkende Priesterschaft sogar kirchlich sanctioniren ließ. Dieses aufzudecken ist Aufgabe der historischen Gerechtigkeit." Moritz Busch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/147>, abgerufen am 27.09.2024.