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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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diese ist eben Schwanau. Das echte Schwanau war ein Raubschloß des
Grafen von Geroldseck, eine Stunde oberhalb Straßburg gelegen. Dessen
Zerstörung war eine Großthat des oberrheinischen Bürgerthums, an der nicht
nur die Uferstädte, sondern auch Bern, Freiburg und Luzern sich betheiligten,
da die Räuberburg die Rheinschifffahrt störte und so auch den Handel
der Binnenschweiz beeinträchtigte, die ihre Waaren und Transitgüter zu
Basel verlud.

Die heutige Volksvorstellung kennt drei Telle und versteht unter diesen
Namen die drei Männer aus den Waldstätten, welche mit einem Gefolge
von dreiunddreißig Gleichgesinnten am Neujahrstage 1307 oder 1308 auf
der Wiese am Rutil berathend zusammentraten und sich hier einen gegen-
seitigen Eid für die Freiheit der drei Länder zuschwuren. Jene drei werden
darum auch die drei ersten Eidgenossen genannt. Sie heißen heute: Walter
Fürst, von Attinghausen aus Uri, Wernher Staufacher von Steinen in Schwyz
und Arnold Melchthal von Unterwalden ob dem Kernwald, Ihrem Drei¬
bunde wird als dessen heroischer Obmann Tell vorgesetzt, allein um nach
eignem Belieben handeln zu können, schließt er sich freiwillig von jener Be¬
rathung aus und bringt dann durch seine That den Aufstand ans Ziel.

Bei den älteren Chronisten herrscht weder über diese Dreizahl noch über
die Namen der Telle Uebereinstimmung. Einige nennen nur Tell, Staufacher
und Melchthal, andere fügen noch Kuno ab Altsellen nit dem Wald hin¬
zu, wieder andere Ali von Gruob Ob dem Wald. Das Seltsamste ist, daß
man zu diesem mythischen Mervereine den historischen Walter Fürst nicht
wählte, sondern an dessen Stelle sogar amtlich den sagenhaften Tell
setzte. Bei solchem Schwanken der Quellen geschah es, daß in Schillers
Tell Walter Fürst von Attinghausen sogar in zwei Personen zerfallen ist,
in den Freiherrn Wernher von Attinghausen und in den Walter Fürst. Auch
da wird der Bund geschlossen, ohne daß jener Freiherr davon weiß, ja er
stirbt inzwischen mit den Worten: "Hat sich der Landmann solcher That
verWogen, ja dann bedarf es unserer nicht mehr."

Dasselbe Wachsthum und Schwinden macht sich auch in der Zahl der
Landvögte und der gebrochnen Zwingburgen bemerklich. Getödtet werden der
Geßler in Küßnacht, der Wolfenschießen auf Rotzberg und der Schloßvogt
auf Schwanau. Der vierte ist Landenberg zu Tamm, der sich durch die
Flucht rettet. Zu ihren vier zerstörten Burgen kommt noch Zwing-Uri hin¬
zu. Ebenso hat man dem Ereignisse vier Kapellen gewidmet, die bekannten
drei Tellskapellen und die Staufacherskapclle zu Steinen.

Auch der Kanton Graubünden hält sich berechtigt, seine besonderen drei
Telle aufzustellen und diesen die republikanische Constituirung des Bündner¬
landes zuzuschreiben: Peter von Pultingen, Abt von Disentis, Hans Brun,


diese ist eben Schwanau. Das echte Schwanau war ein Raubschloß des
Grafen von Geroldseck, eine Stunde oberhalb Straßburg gelegen. Dessen
Zerstörung war eine Großthat des oberrheinischen Bürgerthums, an der nicht
nur die Uferstädte, sondern auch Bern, Freiburg und Luzern sich betheiligten,
da die Räuberburg die Rheinschifffahrt störte und so auch den Handel
der Binnenschweiz beeinträchtigte, die ihre Waaren und Transitgüter zu
Basel verlud.

Die heutige Volksvorstellung kennt drei Telle und versteht unter diesen
Namen die drei Männer aus den Waldstätten, welche mit einem Gefolge
von dreiunddreißig Gleichgesinnten am Neujahrstage 1307 oder 1308 auf
der Wiese am Rutil berathend zusammentraten und sich hier einen gegen-
seitigen Eid für die Freiheit der drei Länder zuschwuren. Jene drei werden
darum auch die drei ersten Eidgenossen genannt. Sie heißen heute: Walter
Fürst, von Attinghausen aus Uri, Wernher Staufacher von Steinen in Schwyz
und Arnold Melchthal von Unterwalden ob dem Kernwald, Ihrem Drei¬
bunde wird als dessen heroischer Obmann Tell vorgesetzt, allein um nach
eignem Belieben handeln zu können, schließt er sich freiwillig von jener Be¬
rathung aus und bringt dann durch seine That den Aufstand ans Ziel.

Bei den älteren Chronisten herrscht weder über diese Dreizahl noch über
die Namen der Telle Uebereinstimmung. Einige nennen nur Tell, Staufacher
und Melchthal, andere fügen noch Kuno ab Altsellen nit dem Wald hin¬
zu, wieder andere Ali von Gruob Ob dem Wald. Das Seltsamste ist, daß
man zu diesem mythischen Mervereine den historischen Walter Fürst nicht
wählte, sondern an dessen Stelle sogar amtlich den sagenhaften Tell
setzte. Bei solchem Schwanken der Quellen geschah es, daß in Schillers
Tell Walter Fürst von Attinghausen sogar in zwei Personen zerfallen ist,
in den Freiherrn Wernher von Attinghausen und in den Walter Fürst. Auch
da wird der Bund geschlossen, ohne daß jener Freiherr davon weiß, ja er
stirbt inzwischen mit den Worten: „Hat sich der Landmann solcher That
verWogen, ja dann bedarf es unserer nicht mehr."

Dasselbe Wachsthum und Schwinden macht sich auch in der Zahl der
Landvögte und der gebrochnen Zwingburgen bemerklich. Getödtet werden der
Geßler in Küßnacht, der Wolfenschießen auf Rotzberg und der Schloßvogt
auf Schwanau. Der vierte ist Landenberg zu Tamm, der sich durch die
Flucht rettet. Zu ihren vier zerstörten Burgen kommt noch Zwing-Uri hin¬
zu. Ebenso hat man dem Ereignisse vier Kapellen gewidmet, die bekannten
drei Tellskapellen und die Staufacherskapclle zu Steinen.

Auch der Kanton Graubünden hält sich berechtigt, seine besonderen drei
Telle aufzustellen und diesen die republikanische Constituirung des Bündner¬
landes zuzuschreiben: Peter von Pultingen, Abt von Disentis, Hans Brun,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/137>, abgerufen am 27.09.2024.