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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Jetzt erst stellt sich der Pascha von dem Flehen seines Opfers gerührt
und ruft hinab: "Es ist gut, ihr Bursche, laßt ihn los, es ist das erste
Mal, daß er gesündigt hat, und so will ich ihm verzeihen, aber Strafe soll
er mir zahlen, daß er sich's merkt und es nicht wieder thut. Bindet ihn los
und führt ihn wieder herauf." Und zum Kaufmann gewendet, sagt er: "Daß
Du mich beleidigt hast, Hund von einem Moskowiter, soll Dir für dießmal
verziehen sein. Aber künftig hüte Dich. Du hast mir einmal so und so viel
Beutel geliehen, und so und so viel lege ich Dir als Strafe auf, Du wirst
mir also noch so und so viel Beutel bringen." Als der Pascha von Sera-
jewo einst eine Reise nach Travnik vorhatte, erpreßte er von den christlichen
und jüdischen Kaufleuten auf die geschilderte Weise 90 Beutel, um auf dem
Wege nicht von seinem eignen Gelde zehren zu müssen.

Hält man diese Mißstände mit der natürlichen Ausstattung Bosniens
zusammen, nach der es eins der glücklichsten Länder der Erde sein könnte, so
erscheinen sie noch viel beklagenswerther. Die productive Kraft des Landes ist
ungeheuer. Selbst in seinem gegenwärtigen, nach allen Richtungen hin ver¬
nachlässigten Zustande erzeugt es an Getreide, Obst und Vieh mehr, als es
selbst verzehren kann, und schon jetzt findet von der Herzegowina aus eine
sehr beträchtliche Ausfuhr von Vieh nach der unfruchtbaren Küste Dalmatiens
statt, die den Bosniern dafür gegen 300,000 Gulden jährlich zahlen soll.
Unter günstigeren Verhältnissen, bei etwas mehr Strebsamkeit des Volkes,
mehr Sicherheit des Eigenthums und besseren Verkehrswegen würde das Fünf¬
fache, von intelligenten und arbeitsamen deutschen Colonisten aber wahrschein¬
lich das Zehnfache ausgeführt werden können.

Politisch organisirt ist Bosnien etwa folgendermaßen. Die oberste Re¬
gierungsgewalt in der Provinz übt der von der Pforte ernannte Wesir oder
Statthalter aus, der seinen Sitz in Travnik hat. Unter ihm stehen eine An¬
zahl Paschas oder Gouverneure, die über die einzelnen Bezirke des Landes
gesetzt sind, einer zu Zwornik, einer zu Banjaluka, einer zu Serajewo, einer zu
Bihacz u. s. w. Jedes Paschalik zerfällt wieder in Capitanate. Unter dem
Pascha stehen die Begs als Beamte. Der Wesir und ebenso jeder Pascha hat
seinen Hofstaat und seine Soldateska, unter der sich das roheste oder verwildertste
Volk befindet und die großentheils aus Arnauten, der wildesten der irregulären
osmanischen Truppen, bestehen. Gleich den höheren Beamten haben auch die
niederen ihre Trabanten, die zu jeder Zeit bereit sind, deren Befehle ohne
irgend welche Rücksichten auf das Recht und das menschliche Gefühl zu voll¬
strecken.

Neben diesen Beamtenposten, welche zum Theil in den betreffenden Fa¬
milien forterben, existirt in Bosnien eine doppelte Aristokratie, welche in die
Classe der Aga und die der Spahia zerfällt.


Jetzt erst stellt sich der Pascha von dem Flehen seines Opfers gerührt
und ruft hinab: „Es ist gut, ihr Bursche, laßt ihn los, es ist das erste
Mal, daß er gesündigt hat, und so will ich ihm verzeihen, aber Strafe soll
er mir zahlen, daß er sich's merkt und es nicht wieder thut. Bindet ihn los
und führt ihn wieder herauf." Und zum Kaufmann gewendet, sagt er: „Daß
Du mich beleidigt hast, Hund von einem Moskowiter, soll Dir für dießmal
verziehen sein. Aber künftig hüte Dich. Du hast mir einmal so und so viel
Beutel geliehen, und so und so viel lege ich Dir als Strafe auf, Du wirst
mir also noch so und so viel Beutel bringen." Als der Pascha von Sera-
jewo einst eine Reise nach Travnik vorhatte, erpreßte er von den christlichen
und jüdischen Kaufleuten auf die geschilderte Weise 90 Beutel, um auf dem
Wege nicht von seinem eignen Gelde zehren zu müssen.

Hält man diese Mißstände mit der natürlichen Ausstattung Bosniens
zusammen, nach der es eins der glücklichsten Länder der Erde sein könnte, so
erscheinen sie noch viel beklagenswerther. Die productive Kraft des Landes ist
ungeheuer. Selbst in seinem gegenwärtigen, nach allen Richtungen hin ver¬
nachlässigten Zustande erzeugt es an Getreide, Obst und Vieh mehr, als es
selbst verzehren kann, und schon jetzt findet von der Herzegowina aus eine
sehr beträchtliche Ausfuhr von Vieh nach der unfruchtbaren Küste Dalmatiens
statt, die den Bosniern dafür gegen 300,000 Gulden jährlich zahlen soll.
Unter günstigeren Verhältnissen, bei etwas mehr Strebsamkeit des Volkes,
mehr Sicherheit des Eigenthums und besseren Verkehrswegen würde das Fünf¬
fache, von intelligenten und arbeitsamen deutschen Colonisten aber wahrschein¬
lich das Zehnfache ausgeführt werden können.

Politisch organisirt ist Bosnien etwa folgendermaßen. Die oberste Re¬
gierungsgewalt in der Provinz übt der von der Pforte ernannte Wesir oder
Statthalter aus, der seinen Sitz in Travnik hat. Unter ihm stehen eine An¬
zahl Paschas oder Gouverneure, die über die einzelnen Bezirke des Landes
gesetzt sind, einer zu Zwornik, einer zu Banjaluka, einer zu Serajewo, einer zu
Bihacz u. s. w. Jedes Paschalik zerfällt wieder in Capitanate. Unter dem
Pascha stehen die Begs als Beamte. Der Wesir und ebenso jeder Pascha hat
seinen Hofstaat und seine Soldateska, unter der sich das roheste oder verwildertste
Volk befindet und die großentheils aus Arnauten, der wildesten der irregulären
osmanischen Truppen, bestehen. Gleich den höheren Beamten haben auch die
niederen ihre Trabanten, die zu jeder Zeit bereit sind, deren Befehle ohne
irgend welche Rücksichten auf das Recht und das menschliche Gefühl zu voll¬
strecken.

Neben diesen Beamtenposten, welche zum Theil in den betreffenden Fa¬
milien forterben, existirt in Bosnien eine doppelte Aristokratie, welche in die
Classe der Aga und die der Spahia zerfällt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/72>, abgerufen am 27.09.2024.